Blick in eine Notunterkunft fuer Obdachlose in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Eine wachsende Zahl von arbeits- und wohnungslosen EU-Bürgern belasten das Hilfesystem der Landeshauptstadt. Das Gros von mehr als 300 wohnungslosen Personen, welche die Stadt Stuttgart im Laufe eines Jahres zusätzlich unterbringen musste, stammen aus dieser Gruppe.

Stuttgart - Seit etlichen Jahren schon ist die Lage der Wohnungsnotfallhilfein Stuttgart schwierig, stetig wächst die Zahl der Betroffenen. Rund 3800 Personen ohne eigene Bleibe müssen inzwischen unterstützt werden. Als zusätzliches Problem erweisen sich seit geraumer Zeit wohnungslose Menschen aus anderen EU-Staaten. Nun hofft die Stadt auf eine Entspannung durch ein neues Bundesgesetzt.

Am Mittwoch hat das Bundeskabinett in Berlin beschlossen, dass die Leistungen für EU-Bürger eingeschränkt werden und diese erst nach fünf Jahren Hartz IV oder Sozialhilfe bekommen sollen. „Ich begrüße die Entscheidung“, sagt Stuttgarts Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne).

Immer mehr Menschen brauchen Unterstützung

Darum geht es: Seit Jahren steigt der Druck in der Wohnungsnotfallhilfe der Landeshauptstadt, weil Menschen, die Unterstützung brauchen, mangels günstigen Wohnraums das Hilfesystem nicht wieder verlassen können. So hält die Stadt rund 1850 Wohn- und Betreuungsplätze für Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten vor, darunter alte Menschen, chronisch Kranke und Familien. Fast 2400 Betroffene sind 2015 dort untergekommen und betreut worden.

Auch in diesem Bereich des Hilfesystems ist der Druck groß, es gibt aber auch Fortschritte. „Hier sind die Verhältnisse relativ stabil“, sagt der Leiter des Sozialamts, Stefan Spatz. So ist es dank der städtischen Fachstelle zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit gelungen, die Zahl der geräumten Mieter von 394 im Jahr 2014 auf 321 im Vorjahr zu senken. Zur Verbesserung der Prävention hat man „aufsuchende Hilfen“ eingeführt, die Problemmieter noch besser erreichen.

Viele Wohnungslose werden in Hotels und Pensionen einquartiert

Anders sieht die Entwicklung in einem zweiten Bereich des Hilfesystems aus: bei der sogenannten ordnungsrechtlichen Unterbringung, die alle anderen Gruppen erfasst, die unfreiwillig wohnungslos werden. Hier haben die Zahlen in den vergangenen zwei Jahren deutlich zugenommen, von 1617 Personen im Jahr 2014 auf 1946 in 2015. Das ist ein Plus von rund 20 Prozent. Dieser Zuwachs ist zu einem Gutteil auf die steigende Zahl wohnungsloser EU-Ausländer zurückzuführen. Das Problem dabei für die Stadt: „Diese Entwicklung ist für uns nicht steuerbar“, sagt Stefan Spatz.

Da sich die Zahl der vorhandenen Fürsorgeunterkünfte nicht nach Belieben vermehren lässt, sind immer mehr Menschen in Sozialhotels und in Pensionen einquartiert. Vor zwei Jahren waren es 443 Personen, inzwischen sind es schon 682. Auch die vor Jahren noch vorwiegend als Winternotquartier genutzte Hauptstätter Straße 150 ist längst ganzjährig belegt.

Wer kurz gearbeitet hat, ist anspruchsberechtigt

Von den insgesamt rund 3800 Betroffenen in der Stuttgarter Wohnungsnotfallhilfe stammen inzwischen 18 Prozent aus anderen Ländern der EU, rund 680, von denen die meisten aus osteuropäischen Ländern wie Polen, Rumänien, Bulgarien oder Ungarn kommen, aber auch aus Südeuropa wie aus Italien oder Spanien. 20 Prozent, etwa 750 Personen, kommen aus sogenannten Drittstaaten, allen voran aus der Türkei, aber auch vom Westbalkan oder aus Ländern wie Russland und der Ukraine.

Eigentlich haben EU-Bürger, die auf dem Wege der Freizügigkeit hier Arbeit suchen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Doch dies ändert sich, wenn sie eine Beschäftigung finden, dann aber arbeitslos werden. So hätten manche etwa „einen Pflückerjob in der Landwirtschaft“ gehabt, nennt Harald Wohlmann von der Caritas ein Beispiel. Zusammen mit der Evangelischen Gesellschaft betreibt der Caritasverband die Orientierungsberatungsstelle für EU-Bürger in Wohnungsnot (OBS), finanziert mit Geld der Europäischen Union.

Haben die Menschen gearbeitet, steht ihnen ein halbes Jahr Hartz IV zu. Danach aber müssten sie das Land wieder verlassen. Dies hat sich mit einem Urteil des Bundessozialgerichts vom Dezember 2015 geändert. Dieses hat entschieden, dass Kommunen doch Sozialhilfe bezahlen müssen, weil nach dieser Zeit von einem „verfestigten Aufenthalt“ der EU-Bürger auszugehen sei.

Auch die Stadt Stuttgart hat schon in sechs Fällen gegen die Zahlungsverpflichtung geklagt, ohne Erfolg. Durch das „nicht nachvollziehbare Konstrukt“ seien die EU-Bürger „in das Sozialhilfesystem hineingerutscht“, sagt Amtsleiter Spatz. Es könne nicht sein, dass ein Hilfesystem wie das Sozialgesetzbuch XII, das zur Unterstützung von Senioren und von behinderten, kranken oder erwerbsgeminderten Menschen gedacht sei, für Personen herhalten müsse, „die zu 90 Prozent arbeitsfähig sind“, so Spatz. Die Kommunen müssten als „Ausfallbürge“ herhalten, weil im Bund eine klare Regelung fehle. Entsprechend haben die Kommunalverbände Druck auf die Bundessozialministerin gemacht.

Das geplante Gesetz, das nun in die parlamentarische Beratung kommt, soll das Problem lösen, indem von einem verfestigten Aufenthalt erst nach fünf Jahren ausgegangen wird. Stefan Spatz: „Wir hoffen, dass uns das eine Entlastung bringt.“