Ist das Objekt der Begierde gut ausgekundschaftet, haben Einbrecher oft leichtes Spiel – sagt ein einschlägig Vorbestrafter den Stuttgarter Nachrichten Foto: dpa

Der Jahr für Jahr massive Anstieg der Wohnungseinbrüche scheint vorerst gestoppt. Doch das kann trügerisch sein. Denn noch immer versprechen Einbrüche fette Beute. Alexander K., ein verurteilter Einbrecher, erzählt, warum.

Stuttgart - Er sieht die Welt mit anderen Augen. Er sieht genau, wo etwas zu holen ist. Er sieht an diesem Abend, dass es ein Spaziergang ist, in dieses Haus einzubrechen. Stichwort Spaziergang. Dazu hat Alexander K. an diesem Abend eingeladen. „Kommen Sie mit“, sagt er freundlich, „dann zeige ich Ihnen die Schwachstellen der Häuser. Und wie sich die Leute besser schützen können.“

Alexander K. spricht nicht wie der Blinde von der Farbe. Er hat gewissermaßen als Einbrecher Karriere gemacht. Obwohl er erst 29 Jahre alt ist.

Schon in Jugendjahren verurteilten ihn die Richter reihenweise. Drei Jahre Bau wegen schwerer Körperverletzung. Kleine Knast-Intermezzi wegen Diebstählen oder Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Sofern er nicht rückfällig wird, endet seine aktuelle Bewährung im September 2016. Es ist die Strafe für seinen letzten Bruch.

An diesem Donnerstagabend ist es wie immer ruhig in dieser noblen Gegend von Degerloch. Alexander K. zeigt bei einem Spaziergang auf das mondäne Haus am Waldrand und lächelt. Das Haus wirkt wie eine Festung. Alexander K. schreckt das nicht. „Wenn ich wollte, kam ich überall rein. Ein einfacher Schlitzschraubenzieher genügt mir.“

„Menschen glauben, dass alles, was einen Deckel hat, ein Tresor wäre“

Eigentlich sind es nicht die Werkzeuge, die ihm Tür und Tor öffnen. Es ist seine Erfahrung, sein Blick für die Schwächen der Menschen und deren Objekte. „Ich konnte an den Kleinigkeiten erkennen, ob es sich lohnte und wie gefahrlos ein Bruch sein würde.“

Hier, in Degerloch, scheint der Hausherr ausgeflogen zu sein. Der Briefkasten quillt über. Die Fenster sind zu, die Rollos auf halbmast. „Normalerweise hätte ich dieses Haus früher noch ausgespäht, um zu sehen, ob am Abend die Lichter an- und ausgehen. Dann wäre ich ganz sicher gewesen.“

Er betont das Wort früher. Denn heute sei alles anders. Auch der Richter nahm Alexander K. die aufrichtige Reue und Schuld-einsicht ab. Zudem konnte er offenbar glaubhaft vermitteln, dass er die oft abgebrochene Suchttherapie tatsächlich erfolgreich zu Ende führen wolle. Für Alexander K. bedeutete das Bewährung statt Gefängnis. Der Richter ließ Konzilianz walten.

Was in diesem Fall angemessen sein dürfte, mag in vielen anderen Fällen ein falsches Maß sein. Alexander K. weiß, dass Einbrecher daher oft so dreist vorgehen. „Sie wissen, dass das Strafmaß eher gering ist. Zudem wissen alle, dass auch die Ermittlungsziffer sehr gering ist.“ Im Jahr 2014 wurden in Stuttgart nur 17,6 Prozent aller Brüche aufgeklärt. „Wenn man sich da nicht ganz blöd anstellt, wird man nicht erwischt. Einbrechen ist unkompliziert, man kann schnell an gutes Geld für Drogen kommen.“

Das gekippte Fenster eines anderen Hauses an der Waldau erinnert Alexander K. an seinen brutalsten Coup. Zusammen mit zwei Komplizen stand er im Schlafzimmer eines Einfamilienhauses und stöberte hemmungslos nach Wertsachen. Dass im Bett eine Frau lag, störte das Trio nicht. „Wir ahnten, dass sie sich nur schlafend stellte.“ Später bestätigt sich die Vermutung. Die Frau machte wegen ihrer Todesangst keinen Mucks. Später gibt sie die Folgen ihres Traumas zu Protokoll und erklärt die Gefühlslage vieler Einbruchsopfer: „Wenn man sein Sicherheitsgefühl einmal komplett verloren hat, wird es unmöglich, in diesen vier Wänden weiter zu wohnen.“

"Man handelt völlig hemmungslos"

Heute machen Alexander K. solche Aussagen betroffen. Damals ließ ihn alles kalt. Skrupel, Mitleid, Bedenken: „Nein“, sagt er, „man handelt völlig hemmungslos.“ Kokain oder Heroin raubte ihm jede Empathie. „Die Drogen betäuben alles.“ Moral, Gewissen und die Angst, erwischt zu werden: „Haut man sich mit Koks erst mal die Nase platt, denkt man darüber nicht mehr nach“, sagt er und fügt hinzu: „Unglaublich.“

Damit meint er seine Dreistigkeit. Aber auch die Gleichgültigkeit der Nachbarn seiner Opfer. Keiner scherte sich darum, wenn er durch offene Fenster kletterte. Und keinen kümmerte es, dass er mit seinem Diebesgut gemütlich das Weite suchte. Einmal mit einem Flachbildfernseher unterm Arm in der Stadtbahn. Ein anderes Mal wickelte er Elektrogeräte, Schmuck und andere Wertgegenstände in ein Leintuch und schulterte das Ganze wie einen Sack. Auffälliger geht es kaum, aber kein Passant reagierte. „Ich wurde gesehen, aber niemand sprach mich an“, wundert er sich, „es ist schon erstaunlich, wie unaufmerksam die Menschen sind.“

Nicht nur das. Menschen sind offenbar auch unkreativ beim Verstecken ihrer Wertsachen. „Es ist überall dasselbe“, sagt Alexander K., „die Menschen sind fantasielos. Sie glauben, alles, was einen Deckel hat, wäre ein Tresor.“

Diese trügerische Sicherheit ist es, die Einbrechern die Arbeit erleichtert. Auch der Hausherr in Degerloch fühlt sich offenbar sicher. Wieder schüttelt Alexander K. ungläubig den Kopf. „Wie kann man nur?“, fragt er. Auf die Gegenfrage, wie er sein Haus schützen würde, holt er aus: „Ganz wichtig sind Bewegungsmelder mit Flutlicht.“ Attrappen von Überwachungskameras hingegen erkenne jeder Profi sofort. Ein fehlender Kabelschacht oder Hohlraum enttarne solche Attrappen schnell. „Besäße ich ein eigenes Haus, würde ich auf einen äußeren Zugang vollkommen verzichten. Ideal wäre ein Zugang durch die Garage; der Trakt zum Wohnbereich ließe sich dann durch eine Stahltür hervorragend schützen.“

Gut möglich, dass Alexander K. selbst einmal zum Hausbesitzer wird. Derzeit ist er clean und bemüht, ein „normales Leben“ zu führen. Seit zwei Jahren lebt er mit einer Partnerin zusammen und wünscht sich „nichts mehr, als eine Familie zu gründen“. Seine Therapie ist abgeschlossen, dennoch besucht er regelmäßig eine Selbsthilfegruppe, die Suchtberatung und unterzieht sich sogenannten Drogen-Screenings.

Wichtiger als das ist dem Mann aber die Unterstützung seines Bewährungshelfers der Neustart gGmbH. Neustart-Sprecher Michael Haas verweist angesichts der Geschichte von Alexander K. auf ein Spezialprogramm seines Hauses: „50 Spezialisten für Sexualstraftäter, jugendliche Straftäter, Klienten mit psychischen Erkrankungen und Suchtproblematik, für Gewaltstraftäter, aber auch Klienten mit Migrationshintergrund oder Finanzproblematik sind bereits landesweit bei Neustart tätig. Das kommt insbesondere Klienten wie Alexander K. zugute.“

Alexander K. nickt eifrig und lobt: „Mein Bewährungshelfer betrachtet mich nicht nur als Klienten. Er sieht mich als Menschen mit eigener Biografie und Geschichte. Viele Dinge wurden mir erst durch ihn bewusst: die Ursachen meiner Straffälligkeit, aber auch die Konsequenzen meines Handelns für die Opfer. Er hilft mir, meine schweren Phasen zu überstehen und nicht aus dem Tritt zu kommen.“

Heute sieht der frühere Einbrecher die Welt offenbar wirklich mit anderen Augen.

Info

Wo’s brennt: Die Stadtbezirke Vaihingen, Bad Cannstatt, Stuttgart-Ost und -West gelten als die Brennpunkte der Einbrüche in Stuttgart.

Wie oft es passiert: Knapp 1700 Diebstähle aus Wohnungen sind in Stuttgart der höchste Wert seit 1992. Die Steigerungsquote im vergangenen Jahr lag bei 25 Prozent. Im neuen Jahr scheint sich die Lage etwas zu beruhigen: Die Zahl neuer Fälle ging deutlich zurück – ob das so bleibt, ist aber zweifelhaft.

Was die Polizei tut: Mehr Streifen, unterstützt von der Bereitschaftspolizei, sind unterwegs. Ermittlungsgruppen versuchen die Fährten der Täter zu lesen, wo es verdächtige Aktivitäten gibt, legen sich Polizisten auf die Lauer. Die Aufklärungsquoten sind bisher aber bescheiden: letztes Jahr 17,6 Prozent, vorletztes 11,7 Prozent.

Wer die Täter sind: Mehr als 40 Prozent der erwischten Verdächtigen sind serbischer oder georgischer Herkunft.

Was man tun kann: Nachrüstung beim Einbruchschutz kann helfen. Der Bund will bis 2017 insgesamt 30 Millionen Euro für sichere Türen und Schlösser als Zuschüsse bereitstellen.