Auf den umrandeten Flächen ist Platz für Wohnungen, Praxen und Büros Foto: Google

Beobachter im Stuttgarter Westen wundern sich, wenn sie am Vogelsang sind: Sieht so der Kampf der Stadt gegen den Wohnungsmangel aus? Seit Jahren hätten auf einem Grundstück der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) rund 40 Wohnungen gebaut werden können. Passiert ist nichts.

Stuttgart - Einkäufer in der Markthalle im Stuttgarter Westen kennen die Szenerie: Gleich hinter dem Gebäude liegen rund 8000 Quadratmeter Baufläche brach. Es ist die Stelle, an der einmal der alte Bauernmarkt in einem ehemaligen SSB-Depot angesiedelt war. Die Halle wurde 2010 abgerissen. Seither ist dort nichts mehr geschehen.

8000 Quadratmeter sind nicht übermäßig viel – aber genug, um dort drei bis vier Dutzend Wohnungssuchende und deren Familien zu beglücken. Von 35 möglichen Wohnungen hatte man gesprochen, als im Stadtplanungsamt vor Jahren der Bebauungsplan auf den Weg gebracht wurde. Heutzutage, da man eher auf einen Mix unterschiedlicher Wohnungsgrößen und auf neue Wohnformen setzt, reicht der Platz für etwas mehr.

Andere Teile des SSB-Areals, das von den Verkehrsbetrieben nicht mehr benötigt wurde, sind längst bebaut. An der Stadtbahnverbindung nach Botnang entstand unter der Regie der SSB ein Riegel mit Wohnungen. Und an anderer Stelle „Der Markt am Vogelsang“, eine neue Markthalle. Daneben gibt es momentan einen Parkplatz, der allerdings auch bebaut werden soll – nach bisherigen Vorstellungen mit Büros und Praxen.

Obwohl man vor rund 15 Jahren für ein neues Planungsrecht gesorgt habe, seien die SSB mit dem Projekt anstelle der alten Bauernmarkthalle nie in die Pötte gekommen, sagt Bezirksvorsteher Reinhard Möhrle (Grüne). Die SSB-Immobilienabteilung habe das damals nicht hingekriegt. Firmenintern hatten auch andere Bauprojekte Vorrang. Etwa beim Möhringer Bahnhof. Später trennten sich die Verkehrsbetriebe von Restflächen und verkauften sie an einen Investor. Und diesen Kurs verfolgen die SSB-Lenker nun auch im Fall des Vogelsangs.

Die Vermarktung sei für 2015 geplant, sagt Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU), der auch für die Beteiligungsunternehmen der Stadt zuständig ist. Die SSB sondierten zurzeit die Nachfrage beim Gewerbe nach dem Standort auf dem Parkplatzgelände. Von dem Ergebnis hänge es auch ab, welchen Mix man dort anpeile. Nicht mehr die SSB, sondern ein anderer Investor soll diesen Gewerbebau dann realisieren – und möglichst auch die Wohnungen.

Dass die SSB nun nicht mehr selbst als Bauherrin auftreten sollen, hat mit dem Kurswechsel der Chefs im Rathaus und bei dem städtischen Tochterunternehmen zu tun, der bereits in Möhringen deutlich wurde. Die SSB sollen sich auf die Herausforderungen beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs konzentrieren. Da die Zuschussgeber Bund und Land in den letzten Jahren knauserten, mussten die SSB deren Kostenanteile gelegentlich vorfinanzieren. Die SSB müssen flüssig bleiben – und Tafelsilber veräußern.

Natürlich sei man bemüht, die Wohnungsversorgung in Stuttgart zu verbessern, sagt Föll. Er dränge auch, was die Bebauung im Vogelsang angehe. Aber in Fölls Brust schlagen zwei Herzen. Er muss aufpassen, dass die SSB über solche Transaktionen kein zu gutes Jahresergebnis produzieren. Das wäre steuerlich nicht günstig – und so ein Ergebnis wäre auch künstlich. Ohne Sondereffekte ergibt sich bei der SSB ein jährliches Defizit in der Größenordnung von 20 Millionen Euro. Darum ist es Föll nicht unrecht, wenn das Gelände 2014 nicht mehr verkauft wird.

Unterdessen ist der Abverkauf der SSB-Immobilien weit vorangekommen. „Bei den nicht betriebsnotwendigen SSB-Grundstücken der größeren Art sind wir weitgehend durch“, sagt Föll. Beim Rest gibt es noch Klärungsbedarf. Bei einem Grundstück in Neuhausen/Fildern hängt die Bebaubarkeit noch von der Verlängerung der S-Bahn-Linie 2 ab. Anstelle des ehemaligen Busdepots in Cannstatt, das verpachtet ist, hätte Föll gern das neue Sporthallenbad mit 50-Meter-Becken bauen lassen. Doch eine Gemeinderatsmehrheit will es anstelle von Hotelbauten in der Nähe der Schleyerhalle errichten. Vor der Verwertung des SSB-Grundstücks muss man klären, wie viel Erweiterungsfläche die benachbarte Feuerwehr benötigt.

Und dann ist da noch das SSB-Depot Ostendplatz. Im Umfeld der Wagenhallen soll es umfangreichen Wohnungsbau geben, für den die SSB wohl auch nicht mehr zur Verfügung stehen. Die mindestens 6,7 Millionen Euro teure Sanierung des eigentlichen Depots – seit langem für Kultur, Soziales und Bezirkseinrichtungen genutzt – sollen die SSB umsetzen. Nach einem Grundsatzbeschluss des Gemeinderats will die Stadt ihrer Tochter sogar Mieteinnahmen auf 30 Jahre vorstrecken, damit es klappt. Im Gegenzug kommen dort Jugendmusikschule, Jugendhaus und ein Familienzentrum unter.