Das Konzept für die Bebauung des Neckarparks basiert komplett auf der mittelbaren Belegung. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Dass ein zentraler Baustein des sozialen Wohnungsbaus in Stuttgart von der EU auf seine Rechtmäßigkeit geprüft werden soll, hat eine Welle der Kritik an Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut ausgelöst.

Stuttgart - Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) steht massiv in der Kritik. Wie die Stuttgarter Nachrichten exklusiv berichtet haben, löst ihre Entscheidung, einen zentralen Baustein der Wohnbauförderung des Landes von der EU prüfen zu lassen, Unverständnis aus.

Gestritten wird um die mittelbare Belegung. Dieses Förderinstrument ermöglicht es Bauherren, einen Teil der für ein Quartier vorgegebenen Sozialwohnungen an anderer Stelle zu schaffen. In Stuttgart basiert etwa das Konzept für die Bebauung des Neckarparks auf dieser Art der Wohnbauförderung.

Auf Anfrage unserer Zeitung erklärt OB Fritz Kuhn (Grüne): „Für Stuttgart wäre der Wegfall der mittelbaren Belegung ein schlimmer Rückschlag und würde die Ziele im sozialen Wohnungsbau gefährden.“ Deshalb werde er in der kommenden Woche das Gespräch mit der Ministerin suchen.

Aufgrund der Prüfung in Brüssel besteht für die Wohnbauunternehmen die Gefahr, dass Fördermittel für den Bau neuer Sozialwohnungen zurückbezahlt werden müssen.

Die Caritas übt scharfe Kritik an der Ministerin: Mit ihrer Entscheidung „torpediert sie das Bündnis für Wohnen“, so die Aussage von Manfred Blocher, Bereichsleiter Armut, Wohnungsnot und Schulden im Caritasverband Stuttgart. Er fügt hinzu: „Ohne die Möglichkeit der mittelbaren Belegung wird der soziale Mietwohnungsbau zum Stillstand kommen.“ Aufgrund der steigenden Mieten könnten sich breite Teile der Bevölkerung das Leben in Stuttgart nicht mehr leisten, so Blocher. Und: „Geht diese Entwicklung so weiter und setzt die Landesregierung zusätzlich die Bemühungen des Bündnisses für Wohnen aufs Spiel, dann riskiert sie den sozialen Frieden in der Stadt“.

Basis des Bündnis für Wohnen

Thomas Wolf, Sprecher aller ehemals gemeinnützigen Stuttgarter Wohnbauunternehmen, ergänzt: „Die mittelbare Belegung ist die Basis des Bündnisses für Wohnen.“

Auch der Mieterbund zeigt sich verwundert über die Entscheidung der Ministerin. „Europarechtliche Bedenken bestehen in keinem Bundesland, außer in Baden-Württemberg“, heißt es in einer Stellungnahme des baden-württembergischen Mieterbunds. Acht Bundesländer, darunter Bayern, Hessen und Hamburg, wenden die mittelbare Belegung zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus an, so das Fazit des Verbands. Der Landesvorsitzende Rolf Gaßmann erklärt: „Der Mieterbund bedauert, dass die Landesregierung dem einmütigen Votum der Wohnraum-Allianz, nämlich den Gang nach Brüssel zu unterlassen, nicht gefolgt ist, und sieht darin eine Missachtung der Arbeitsgruppen.“ Weil viele Wohnungsbauer das Urteil der EU abwarten müssten, drohten in der Wohnbauförderung wieder verlorene Jahre, so Gaßmann weiter.

Kritik kommt zudem vonseiten der kommunalen Wohnungsunternehmen. „Die mittelbare Belegung ist für unsere Mitglieder ein wichtiges Instrument und ist für die Ausweitung des Bestands an erforderlichen Sozialwohnungen unerlässlich“, betont Sigrid Feßler, Direktorin des Verbands baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen.

Interessenverbände haben mit Klage gedroht

Erwartungsgemäß findet auch die Opposition im Landtag deutliche Worte: Daniel Born, wohnungspolitischer Sprecher der SPD, erklärt: „Auf der einen Seite lässt die Ministerin die Wohnraum-Allianz Vorschläge für mehr Wohnraum erarbeiten, auf der anderen Seite torpediert sie den Rat der Experten in der Allianz den sozialen Wohnungsbau. Ist das Absicht oder einfach nur dämlich?“ Der Fraktionschef der SPD im Stuttgarter Gemeinderat, Martin Körner, fügt hinzu: „Die grün-schwarze Landesregierung sät völlig ohne Not Zweifel an der mittelbaren Belegung. Sie ist aber von zentraler Bedeutung für eine Wiederbelebung des sozialen Mietwohnungsbaus.“

Die Ministerin verteidigt ihre Entscheidung im Anschluss an die zweite Sitzung der Wohnraum-Allianz am Donnerstag: „Wir brauchen Rechtssicherheit“, sagt Hoffmeister-Kraut. Interessenverbände innerhalb der Allianz hätten zudem mit rechtlichen Schritten gedroht, hätte das Ministerium der Prüfung bei der EU nicht zugestimmt, fügt die Ministerin hinzu.