Viel Körper- und Hautkontakt kann dem Vater dabei helfen, eine Beziehung zu seinem Baby aufzubauen. Foto: Simon Dannhauer – Fotolia

Angst vor der Verantwortung, Stress im Beruf oder in der Beziehung: Dass Väter sich von ihrem Baby entfremdet fühlen, kann viele Gründe haben. Doch nur die wenigsten sprechen darüber.

Stuttgart - In einem beigen Wickeltuch trägt Fletcher seine Tochter Willow vor sich. Das Baby schläft – ein seltener Zustand, wie er seinem besten, kinderlosen, Freund Josh erklärt, der vor ihm auf dem Sofa sitzt: „Du wachst auf, wenn es Zeit für Willows Zwei-Uhr-Mahlzeit ist. Und wenn es Zeit für ihre Fünf-Uhr-Mahlzeit ist. Und jedes weitere Mal, wenn sie aufwacht.“

Im Nachhinein, sagt er, hätten ihm neun Monate Schwangerschaft als Erfahrung eigentlich gereicht. Seine Weltsicht habe sich durch seine Tochter nicht verändert: „Ich liebe mein Baby. Die wichtigste Person in meinem Leben bin aber noch immer ich.“ Und: „Um ehrlich zu sein, fällt es mir ein bisschen schwer, eine Beziehung zu einem Neugeborenen aufzubauen.“

Die Szene mit Adam Horovitz (Fletcher) und Ben Stiller (Josh) ist nur eine Randnotiz in Noah Bachbaums Tragikomödie „Gefühlt Mitte 20“ (Originaltitel: „While We’re Young“). Und doch bringt sie ein Thema zur Sprache, das bis heute in der öffentlichen Wahrnehmung nicht wirklich angekommen ist: Dass es einigen Vätern – gerade in den ersten Lebensmonaten ihres Kindes – schwerfällt, eine emotionale Bindung zu ihrem Nachwuchs aufzubauen.

Viele Väter trauen sich nicht, ihr Problem anzusprechen

Die Münchner Psychotherapeutin Heike Melzer schätzt, dass zwischen drei und fünf Prozent der Väter betroffen sind – valide wissenschaftliche Zahlen gebe es aufgrund der hohen Dunkelziffer nicht. Viele Väter, meint Melzer, würden sich nicht trauen, ihr Problem anzusprechen. „Es entspricht nicht dem gesellschaftlichen Rollenbild, dass Männer zu Säuglingen schon eine sehr gute und enge Bindung haben“, sagt sie. Vielmehr werde erwartet, dass die Mutter in der ersten Zeit die Hauptbezugsperson des Kindes sei. „Die Erwartungshaltung an Männer ist eine andere“, so die Psychotherapeutin. Daher falle es oft gar nicht so sehr auf, dass einige Väter große Schwierigkeiten haben.

Aus Rücksicht auf seine Partnerin äußerte Markus P. seine Ängste in einem anonymen Elternforum im Internt, statt sie direkt mit ihr zu besprechen. Seine Tochter sei eineinhalb Wochen alt, schreibt der Endzwanziger, und eigentlich sei alles in Ordnung – „aber irgendwie kann ich keine Beziehung zu der kleinen Maus aufbauen und ich weiß nicht, warum.“ Er sei mit den Nerven am Ende, weil er Angst habe, „dass sich dieses Gefühl nicht einstellt und ich mit der Kleinen einfach nicht warm werde.“ Obwohl Markus P. unter der Situation leidet, traut er sich nicht, seiner Lebensgefährtin davon zu erzählen: „Sie hat als frischgebackene Mutter schon genug Stress und soll sich nicht noch einen Kopf um meine Probleme machen.“

Was ihm, wie vielen anderen Vätern, wohl nicht bewusst ist: Wochenbettdepressionen kommen nicht nur bei 10 bis 15 Prozent der Mütter vor. Sondern – wenn auch weniger häufig – genauso bei den Vätern. Studien aus den USA und Australien zeigen, dass etwa jeder zehnte Vater in dem ersten Lebensjahr seines Kindes eine psychische Krise erlebt.

Während manche Männer sich selbst und ihre Gefühle in den ersten Monaten nach der Geburt zu stark in den Hintergrund stellen, fällt es anderen im Vergleich zu Frauen noch immer schwerer, über diese zu sprechen. „Statt sich aktiv mit ihnen auseinanderzusetzen, kanalisieren sie die Entfremdungsgefühle eher in Stolz auf das Neugeborene, in Arbeit oder in Sport“, sagt Heike Melzer.

„Irgendwann ist man nur noch müde und verzweifelt“

Seit der Geburt seines Sohns Ben vor neun Wochen empfindet auch Niklas Ahrendt (Namen geändert) die Arbeit als so etwas wie eine Pause – eine Pause vom Füttern, vom Windelnwechseln, vor allem aber von dem ständigen Weinen des Kleinen. „Wenn man drei Stunden lang alles Mögliche versucht hat und das Kind einfach nicht aufhört zu schreien, ist man irgendwann nur noch müde und verzweifelt“, sagt der 41-Jährige. Er möge sein Kind, sagt Niklas Ahrendt. Eine tiefgreifende emotionale Bindung, wie seine Frau sie Ben gegenüber spüre, habe sich bei ihm aber noch nicht eingestellt. „Viele Väter können mit einem Säugling nicht sehr viel anfangen“, meint er. „Sobald das Kind auf einen reagiert – sobald es spricht, spielt, einen anschaut – wird das sicher anders.“

In den meisten Fällen sorgt praktischerweise die Natur dafür, dass sich sowohl bei der Mutter als auch beim Vater von Anfang an ein Gefühl der Nähe zum Baby einstellt. Die israelische Neurobiologin Ruth Feldman fand 2010 heraus, dass in der Regel beide Elternteile nach der Entbindung das Bindungshormon Oxytocin produzieren.

Ist das nicht der Fall, kann es sein, dass sich die emotionale Nähe erst einmal nicht einstellen will. Daneben können aber auch zahlreiche andere Gründe dies verhindern, sagt der Psychologe Andreas Eickhorst vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen München: War das Baby nicht geplant, hat der Vater viel Stress im Beruf oder in der Beziehung oder sind finanzielle Ressourcen knapp, kann das so belastend sein, dass die Bindung zum Kind erst einmal nicht zustande kommt. Angst vor der Verantwortung, eine Depression sowie Persönlichkeitsstörungen können ebenfalls dazu beitragen, dass der Säugling zunächst nicht als Bereicherung, sondern als Belastung wahrgenommen wird.

Die Mutter übt eine Art Torhüter-Funktion aus

Ein weiterer Auslöser für die blockierte Beziehung kann aber auch die Kindsmutter sein. Nicht zuletzt wegen des Stillens übt sie eine Art Torhüter-Funktion aus: Sie kann darüber bestimmen, wer wann und wie viel Zugang zu dem Säugling bekommt.

Nach einer Langzeitstudie des deutschen Familien- und Sozialforschers Wassilios Fthenakis kommt das im Fachjargon als „Maternal Gatekeeping“ bezeichnete Phänomen bei etwa jeder fünften Frau in Deutschland vor. Erschwert die Mutter ihrem Partner den Kontakt zum Kind – sei es, weil sie unfähig ist, sich auf mehr als eine Beziehung einzulassen oder weil sie den arbeitenden Vater nicht noch mehr belasten will – kann das dazu führen, dass der Mann sich überflüssig fühlt und immer unsicherer im Umgang mit dem Kind wird. „Natürlich gehören dazu immer zwei“, sagt Eickhorst. „Wenn die Mutter das Tor zumacht, ist auch ein Vater da, der das zulässt.“ Er rät Vätern dazu, sich in den Familienalltag einzubringen, die Nähe zum Kind aktiv einzufordern.

Stelle sich der Bezug zum Baby nicht ein, sollten Väter mit ihrer Partnerin darüber sprechen und gegebenenfalls Hilfe suchen, sagt der Psychologe: „Vielen Männern ist es gar nicht bewusst, dass es anderen auch so geht.“ Hier könnten Filme wie „While We’re Young“ einen Denkanstoß geben.

Eine Beziehung zum Baby herstellen

Vorbereitung: Vor der Geburt kann sich der werdende Vater mit speziellen Vorbereitungskursen und einem engen Kontakt zur Partnerin auf seine neue Rolle einstellen. Indem er bei den Ultraschalluntersuchungen dabei ist, mit dem Baby im Mutterleib spricht und seine Bewegungen durch die Bauchdecke spürt, kann der Vater einen Bezug schon zu dem Ungeborenen aufbauen.

Entbindung: Nach der Entbindung sollte nicht nur die Mutter, sondern auch der Vater so bald wie möglich Hautkontakt zum Baby bekommen, sagt die Psychotherapeutin Heike Melzer: „Diese Zeit ist nicht zu unterschätzen, hier findet eine tiefe emotionale Bindung statt.“

Eingewöhnung: In den ersten Tagen nach der Geburt sollte sich der Vater viel Zeit für das Baby und seine Partnerin nehmen. Je früher er sich einbringt, desto besser. Kleine, alltägliche Aufgabe wie das Wickeln oder das Baden des Kindes schaffen Vertrauen. Wichtig ist auch der direkte Hautkontakt – durch ihn wird das Bindungshormon Oxytocin frei.

Hilfe: Hat ein Vater das Gefühl, dass etwas schief läuft oder dass ihm etwas fehlt, sollte er professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Erste Unterstützung bieten der Hausarzt sowie Frühberatungsstellen wie etwa die Babyambulanz in Stuttgart. Infos dazu unter www.babyambulanz-stuttgart.de