SPD-Vize Ralf Stegner stichelt gegen die Union Foto: dpa

Angesichts der trüben Konjunkturaussichten brechen alte Streitereien zwischen Union und SPD wieder auf. Statt erst einmal Ruhe walten zu lassen, gibt es Nervosität und Gereiztheit.

Berlin - Da ist zum Beispiel Ralf Stegner. Der SPD-Vize wurde zu Wochenbeginn von CDU-Generalsekretär Peter Tauber als „rote Null“ abgekanzelt. Nun teilt er via Twitter gegen die Union aus und mokiert sich über das „geistige Niveau der Wirtschaftsdebatten“ dort. „Der hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun“, keilt Stegner gegen CSU-Mann Peter Ramsauer. Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses hatte ins Spiel gebracht, wegen der schwächelnden Konjunktur die SPD-Projekte 8,50 Euro Mindestlohn und Rente mit 63 auszusetzen.

Neulich im Bundestags-Aufzug, eine SPD-Frau zu einem Parteifreund: „Fast alle Konjunkturdaten der Institute sehen düster aus, das kann ja heiter werden in der Koalition.“ Dieser Tage im politischen Berlin kann man fast schon den Eindruck gewinnen, es gäbe einen Einbruch um fünf Prozent wie in der Finanzkrise 2008. Aber Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) erwartet für dieses Jahr immer noch 1,2 Prozent Wachstum in Deutschland und 1,3 Prozent für 2015.

Statt erst einmal Ruhe walten zu lassen, gibt es Nervosität und Gereiztheit. Und es wird vieles mit vielem verrührt. Stegner und weitere SPD-Linke pochen auf neue Schulden, um mehr in Bildung, Straßen und Brücken zu investieren. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warnt hingegen im Bundestag vor „Strohfeuerprogrammen“. Auch SPD-Chef Gabriel lässt seine Generalsekretärin versichern, die „schwarze Null“, also der erste Etat seit 1969 ohne neue Schulden, werde 2015 kommen – es ist ein erklärtes Prestigeprojekt der Union.

Als Retourkutsche nehmen Teile von CDU und CSU Anliegen der SPD ins Visier, ebenfalls mit Verweis auf die schwächelnde Konjunktur. So solle man die 30-prozentige Frauenquote für Aufsichtsräte lieber erst später umsetzen. Der Wirtschaftsflügel der Union, in dem es ohnehin rumort, verlangt einen kategorischen Stopp für weitere Belastungen der Wirtschaft. „Jetzt muss Schluss sein mit der Sozialromantik“, wettert Christian von Stetten (CDU), Vormann des Parlamentskreises Mittelstand. Namentlich die SPD-Ressortchefs Gabriel, Andrea Nahles (Arbeit) und Manuela Schwesig (Familie) hätten mit ihrem Kurs „der positiven Stimmung der Wirtschaft schwer geschadet“.

Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) sprach sich für Sparmaßnahmen in allen Bundesministerien aus, um Spielraum für Investitionen zu gewinnen. Man könne bei einem Etat von über 300 Milliarden Euro auch hier über Einsparungen nachdenken, sagte er. Im Arbeitsministerium gebe es viele Programme, um Menschen in Jobs zu bringen. Dabei sei die Arbeitslosigkeit gerade auf einem niedrigen Stand. Etwas könne jedes Ministerium einsparen: „Das eine Prozent ist kaum spürbar, das funktioniert überall“, sagte Fuchs.

Die schwarz-roten Fraktionschefs haben die Koalition zu Besonnenheit angesichts der abflauenden Konjunktur gemahnt. „Keine Panik wegen der wirtschaftlichen Situation“, sagte Thomas Oppermann (SPD) am Donnerstag im Bundestag. Sein Unions-Kollege Volker Kauder (CDU) auf „Spiegel Online“: „Wir sollten jetzt keine Krise herbeireden. Panik ist nicht angebracht.“

Bisher war die Zustimmung zur Koalition auch deshalb hoch, weil es keinen Streit wie unter den schwarz-gelben Partnern gab, die sich schon mal als „Gurkentruppe“ und „Wildsau“ titulierten. Schwarz-Rot machte bisher Wohlfühl-Politik, weil die Zeiten gut schienen. Die von der Union durchgesetzte Rentenerhöhung für 9,5 Millionen Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, kostet 6,5 Milliarden Euro im Jahr, das SPD-Projekt der Rente mit 63 bei 45 Beitragsjahren zwei bis drei Milliarden. Ohne diese Projekte hätte man schon neun Milliarden Euro mehr für Investitionen in Krisenzeiten.

Wo man bisher fast miteinander kuschelte und sich schonte, scheinen nun, da es ungemütlicher wird, Differenzen deutlicher hervorzutreten. Das war auch bei der vorigen Großen Koalition nach ein paar Monaten Harmonie der Fall. Damals mokierte sich die SPD über Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die vom „außenpolitischen Sonnendeck“ winke, während sich die SPD „im Maschinenraum“ plage. Gabriel hätte es am liebsten, wenn seine Partei nun Ruhe bewahrt – geht es mit der Konjunktur weiter bergab, müsste sich die Union wahrscheinlich von sich aus von der schwarzen „Haushaltsnull“ verabschieden. Aber die SPD wirkt nicht mehr so geschlossen wie im Frühjahr, denn die Umfragen sind schlecht.

Merkel segelt dagegen weiter auf hohen Zustimmungswerten. Aufgeregte Debatten über die Wirtschaftspolitik will sie nicht aufkommen lassen und versucht, Brandherde auszutreten. Die Frauenquote sei vereinbart und werde auch kommen, signalisiert sie in die eigenen Reihen. Kauder hält fest: „Wir stehen zu dem Vereinbarten.“ Herausholen will die Union aber doch etwas bei der Umsetzung ungeliebter Projekte wie der Quote – etwa Entlastungen für Start-up-Unternehmen bei der Bürokratie.

Die nächste Bewährungsprobe für den koalitionären Frieden dürfte schon bald kommen, wenn es beim CSU-Prestigeprojekt einer Pkw-Maut im Herbst ernst wird. Auch bei diesem Reizthema kreuzten Kontrahenten schon die Klingen und gifteten sich als „Geisterfahrer“ an - allerdings entlang ungewohnter Fronten innerhalb von CDU und CSU.