US-Ökonomen Richard H. Thaler Foto: dpa

Die gängige Rede vom informierten Bürger lautet: Wer die Wahlprogramme liest, weiß, kann sich ein Urteil erlauben. Doch der Mensch ist erschreckend einfach zu beeinflussen. Selbst Menschen, die sich für rational halten, erliegen leicht unterschwelligen Einflüssen, die kaum wahrnehmbar sind.

Stuttgart - Wirtschaftswissenschaftler beschäftigen sich viel mit dem Verhalten von Menschen, doch für den Menschen selbst haben sie sich jahrzehntelang erstaunlich wenig interessiert. Mit mathematischen Modellen versuchten sie zwar zu errechnen, welche Entscheidung wann optimal ist. Dass Menschen aber – selbst wenn sie es wollen – im täglichen Leben nur begrenzte Möglichkeiten haben, das Optimum zu erreichen, es auch gar nicht immer wollen, dass sie einerseits sich selbst überschätzen und andererseits irrationale Ängste haben: All das haben Ökonomen lange Zeit vernachlässigt. Dabei haben die menschlichen Eigenheiten einen überragenden Einfluss auf ihr Verhalten.

Mit dem US-Ökonomen Richard H. Thaler bekommt nun ein Wissenschaftler den Wirtschaftsnobelpreis, der sich mit der Frage beschäftigt, welche Irrationalitäten das Verhalten der Menschen aufweist – und wie man das nutzen kann.

Schönen Menschen wird eher geglaubt – ein Einfallstor für Manipulationen

Wie leicht der Mensch dazu gebracht werden kann, Dinge zu glauben oder für richtig zu halten, hat bereits der US-Psychologe Daniel Kahneman in einem atemberaubenden Buch nachgewiesen. Kahneman, der 2002 den Nobelpreis erhalten und zusammen mit Thaler Forschungsergebnisse veröffentlicht hat, unterscheidet zwischen zwei Denkweisen, die der Mensch in sich vereinige: System 1 ist schnell, ständig aktiv und schätzt Menschen und Situation aus dem Bauch heraus ein. System 2 ist dagegen analytisch, logisch, anstrengend und langsam. Eine Vielzahl von Experimenten, über die Kahneman berichtet, zeigt, dass die meisten Menschen von System 1 dominiert werden – auch diejenigen, die sich für rational halten.

Gut aussehende Personen werden nicht nur für sympathischer gehalten, sondern auch für kompetenter – ein Mechanismus, den sich die Werbung zunutze macht. Texten, die mit hohem Kontrast auf hochwertigem Papier gedruckt sind, wird mehr geglaubt als Texten, die verwaschen auf schlechtem Papier gedruckt sind – was sich Auto- und Immobilienverkäufer bei ihren Prospekten zunutze machen. Und Aussagen, die oft genug wiederholt werden, sind vielen Menschen irgendwann so vertraut, dass System 1 diese Vertrautheit mit Glaubwürdigkeit gleichsetzt. Mit diesem Mechanismus enttabuisiert US-Präsident Donald Trump im Nordkorea-Konflikt gerade den Gebrauch von Atomwaffen.

Der Staat kann sich die Psychologie zunutze machen – darf er das auch?

Kann der Staat sich System 1 zunutze machen, um Menschen zu beeinflussen? Das ist der Ansatz, für den nun Kahnemans Kollege Thaler den Nobelpreis erhalten hat. Kein Mensch legt etwa Wert darauf, für Heizung und Strom mehr zu bezahlen als nötig – und dennoch lassen viele das Licht brennen. Die momentane Bequemlichkeit ist ihnen wichtiger als eine niedrige Rechnung zum Jahresende. Thaler hat erkannt, dass schon die Information auf der Rechnung, wie viel der Empfänger im Vergleich zur Nachbarschaft zahlen muss, das Verhalten ändern kann.

Die Frage, welche Vorgaben der Staat machen soll, stellt sich auch bei der Organspende. Auch in Deutschland wurde diskutiert, ob man die Zahl der Spenderorgane nicht schon dadurch erhöhen kann, dass man deren Entnahme zum Standard macht, dem der Einzelne aber widersprechen kann. Bisher sieht Deutschland davon ab.

Deutschland hat Thalers Erkenntnisse bereits umgesetzt

In einer ganz anderen Frage aber hat Deutschland vor wenigen Monaten Thalers Erkenntnisse berücksichtigt: bei der Reform der Betriebsrente. Viele haben das Geld lieber heute zur Verfügung als im Alter, obwohl man da vielleicht noch mehr darauf angewiesen ist. Freiwillige Programme wie die Riester-Rente haben das nicht grundlegend ändern können. Deshalb hat Deutschland nun eine sogenannte Opt-Out-Möglichkeit eingeführt: Die Tarifparteien können nun vereinbaren, dass eine betriebliche Zusatzrente mit Eigenbeteiligung der Beschäftigten zum Standard wird – und dass jeder dem widersprechen kann. Niemand wird zur Betriebsrente gezwungen, aber sie wird den Menschen gewissermaßen nahegelegt. Falls in Deutschland die Beteiligung an der Betriebsrente steigt, ist dies ein weiterer Beweis dafür, dass Thaler und Kahneman richtigliegen.

Strittig ist allerdings die Frage, ob es dem Staat überhaupt zusteht, die Menschen derart zu beeinflussen. Gegen den „Veggie-Day“, den einige Grüne ihnen auferlegen wollten, können sie aufbegehren – dem subtilen Einfluss der Psychologie können sie sich dagegen nicht so einfach entziehen. Thaler und Kahnemann kommt aber das Verdienst zu, dieses Herrschaftswissen der Manipulateure öffentlich gemacht zu haben.