Leerstand in der Kirche wegen der Winterkälte: In Heumaden-Süden will die evangelische Kirche das vermeiden, indem sie auf den Gemeindesaal ausweicht. Foto: dpa

Für die einen ist es eine Zumutung, für die anderen eine Möglichkeit, Heizkosten zu sparen und die Umwelt zu entlasten. Im Winter verlegt die evangelische Gemeinde in Heumaden-Süd die Gottesdienste ins Gemeindehaus. Andere tun das auch.

Fildern - Pfarrerin Jutta Seifert hält die Argumente für und wider den Kirchenumzug in der Hand. Im Gemeindebrief, in dem sie blättert, ist aufgelistet, warum es eine gute Sache ist, in den Wintermonaten im Gemeindesaal und nicht in der Kirche Gottesdienst zu feiern und damit Heizkosten zu sparen. Aber es ist auch zusammengefasst, warum eine solche Lösung eine Zumutung für die Gläubigen ist.

Der Kirchengemeinderat und die Pfarrerin haben sich zwar bereits entschieden, dass die Zumutung kommen wird. Dennoch, im Gemeindebrief will sie auch die Argumente würdigen, die dagegen sprechen. „Ich kann die Gläubigen verstehen, die mit unserer Entscheidung nur schlecht zurechtkommen“, sagt die Pfarrerin.

Sie steht etwas ratlos in dem Saal, in dem von Anfang Januar bis Palmsonntag Ende März jeden Sonntag ein Altar aufgestellt wird. Seifert wird dann den Gottesdienst im Gemeindesaal halten. Und sie kann nachvollziehen, dass manche sich nicht ganz so wohlfühlen werden wie in der Kirche – egal, was sie den Gläubigen im Gottesdienst zu sagen hat. „Viel machen können wir im Gemeindesaal nicht, um Stimmung zu erzeugen“, sagt sie.

Im Gemeindesaal ist es angenehm warm

Tatsächlich, der Gemeindesaal ist nichts weiter als ein nackter funktionaler Raum, der viel Platz bietet. Für circa 60 bis 80 Personen sei Platz, schätzt die Pfarrerin. „Im Gemeindesaal gibt es das Seniorencafé oder mal einen Vortrag. Das kriegen die Leute natürlich nicht aus dem Kopf, wenn sie dann plötzlich hier Gottesdienst feiern sollen“, sagt die Pfarrerin. Eines muss man dem Gemeindesaal aber lassen. Es ist mollig warm, und das bleibt er auch, wenn nebenan im Kirchenraum die Heizung runtergedreht wird. In dem niedrigen Raum staut sich die Wärme anders als nebenan im Kirchenschiff.

Das beste Argument für den anstehenden Umzug sind die paar Schritte in den Kirchenraum. Sofort wird es unangenehm kalt im Gesicht. Ohne Mantel und Handschuhe ist es nur unwesentlich wärmer als draußen. Die hohen Betonwände scheinen die Kälte förmlich auszustrahlen. Die Pfarrerin Jutta Seifert trägt einen schwarzen Wintermantel und dicke Handschuhe. Das könnte sie als Pfarrerin auf der Kanzel natürlich nicht tun. Sie müsste eben frieren. Im Moment ist die Heizung aus. Die alten Heizrohre im Boden schaffen es natürlich, die Temperaturen in der Kirche etwas anzuheben, wenn der Brenner nur lang genug befeuert wird. Aber der Effekt sei viel zu gering, um den Aufwand zu rechtfertigen, sagt Jutta Seifert. „Wir müssen schon am Freitag anfangen mit dem Heizen, damit es am Sonntag beim Gottesdienst einigermaßen geht“, sagt Jutta Seifert.

Die Winterkirche wird immer beliebter

Im vergangenen Winter war nicht einmal das möglich, weil Fugen im Kirchenraum undicht waren. Also entschied sich die Gemeinde das erste Mal, das Experiment Winterkirche zu wagen. So nennt sich der Umzug einer Kirchengemeinde in einen anderen Raum während der kalten Jahreszeit. Der vorübergehende Auszug der Gläubigen aus ihrer Kirche wird immer beliebter in Stuttgart, wo viele Gemeinden Heizkosten sparen und so auch etwas für die Umwelt tun wollen.

Genaue Zahlen, wie viele Kirchen in Stuttgart sich für das Ausweichen in ein Ersatzquartier im Winter entscheiden, gibt es laut Angaben der Kirche aber nicht. Ein Sprecher schätzt, dass ein Fünftel der Gemeinden in Stuttgart in den Wintermonaten ihre Kirchen räumen und in andere Gebäude umziehen.

In Plieningen bleibt die Kirche geöffnet

In Sillenbuch feiert die evangelische Gemeinde ihre Gottesdienste vom 6. Januar bis 15. Februar im Äckerwaldzentrum statt in der Martin-Luther-Kirche. Im Steckfeld ziehen die Gläubigen vom 5. Januar bis zum 14. März von der Kirche in den Gemeindesaal um. In Plieningen bleibt die Martinskirche dagegen geöffnet. Obwohl beide Kirchen zu der einen evangelische Gemeinde Plieningen-Hohenheim gehören, gibt es für die Gläubigen zwei Angebote. Im Gemeindebrief heißt es, dass man damit sowohl dem Bedürfnis derjenigen gerecht werden wolle, die in einem Kirchenraum feiern möchten, als auch dem Anliegen vieler, durch den Verzicht auf das Heizen der Kirche, etwas für die Umwelt zu tun.

Die evangelische Gemeinde Heumaden-Süd hat im vergangenen Jahr festgestellt, dass sie mehrere Tausend Euro gespart hat, weil die Kirche nicht beheizt werden musste. Jutta Seifert gibt zu, dass das finanzielle Argument auch dieses Jahr den Ausschlag gegeben hat für die Entscheidung erneut in ein Winterquartier auszuweichen. „Wir sind keine reiche Gemeinde. Wir müssen auf das Geld achten“, sagt die Pfarrerin. Ihr sei es wichtiger, die begrenzten Ressourcen vorrangig der karitativen Arbeit zur Verfügung zu stellen, betont sie.

Pfarrerin sieht großen Rückhalt in der Gemeinde

Die Gläubigen hätten für diese Sichtweise durchaus Verständnis, sagt sie. Auch diejenigen, die unglücklich wären über den Umzug, würden deshalb keinen Groll hegen, sagt die Pfarrerin. „Es wird wegen der Entscheidung keine Kirchenaustritte geben, da bin ich sicher“, sagt die Pfarrerin.

Jutta Seifert betont zudem, dass protestantische Christen grundsätzlich überall Gottesdienst feiern können und nicht angewiesen seien auf einen Kirchenraum. „Das ist bei uns Protestanten etwas anders als bei den Katholiken“, sagt sie. Dennoch versteht die Pfarrerin, dass sich viele Gläubige Gott in „ihrer“ Kirche eben näher fühlen als nebenan im Gemeindesaal.