Winfried Kretschmann – kein Freund des Taktierens Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Grüne und SPD wollten alles dafür tun, eine Nachfolge-, ja eine Altersdebatte um Winfried Kretschmann vor der Landtagswahl zu vermeiden. Nun aber ist sie da, vom Chef selbst verursacht.

Stuttgart - Wer Winfried Kretschmann kennt, der weiß, dass der Ministerpräsident kein Freund des Taktierens ist. Er redet so wie er denkt. Mal etwas verquer, mal geradeaus. So auch jetzt wieder, als er laut darüber nachdachte, im Fall einer Niederlage bei der Landtagswahl am 13. März 2016 die Politik zu verlassen. Mit dann bald 68 Jahren ist das durchaus verständlich. Aber im Lager der Grünen, bei den Strategen in der Wahlkampfleitung, finden nicht alle den Ausspruch des Übervaters so glücklich. „Bei ihm muss man immer damit rechnen, dass der so einen Satz raushaut“, heißt es am Montag aus der Parteiführung. Allein, die Konsequenzen mag Kretschmann nicht bedacht haben. Denn nun ist eine Alters- und Nachfolgedebatte entbrannt, die man im Regierungslager unbedingt vermeiden wollte.

Kein Wunder, dass es Reaktionen aus allen Himmelsrichtungen gibt – positive wie negative. Während die einen sagen, Kretschmanns Vorgehen grenze an Erpressung nach dem Motto – Wenn ihn doch 70 Prozent der Baden-Württemberger so mögen, sollten sie sich hüten, ihn nicht zu wählen, weil er sonst weg ist –, zeigen andere volles Verständnis für die Positionierung des Übervaters der Grünen. Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) zum Beispiel zeigt großes Wohlwollen für einen möglichen Ausstieg Kretschmanns aus der Politik. „Es ist doch selbstverständlich, dass der dann keine kleinen Anfragen mehr stellt“, sagt der Minister. Auch Tübingens OB Boris Palmer findet den Ausspruch nicht verwerflich. „Er redet nicht drumherum, sondern spricht das aus, was jeder wissen sollte: Wenn er nicht wiedergewählt wird, geht er eben in den Ruhestand“, sagt Palmer am Montag.

Das Stadtoberhaupt gilt ebenso wie Freiburgs OB Dieter Salomon als potenzieller Nachfolger, sollte Kretschmann wiedergewählt werden und nach ein oder zwei Jahren seinen Posten räumen. Doch Salomon wiegelt wie schon seit Monaten ab: „Winfried Kretschmann ist nicht amtsmüde und kämpft darum, wiedergewählt zu werden.“

Auch Hans-Ulrich Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Landtagsfraktion, will von derartigen Debatten nichts wissen. Kretschmanns Aussage sei „eine völlig normale und ehrliche Reaktion“, sagte Sckerl am Montag unserer Zeitung. Kretschmann sei kein Taktiker. „Es ist doch klar, dass im Fall einer Niederlage bei der Landtagswahl er nicht mehr den Oppositionsführer gibt.“ Gedanken an eine Niederlage gebe es bei den Südwest-Grünen aber ohnehin nicht: „Wir setzen auf Sieg.“

Erst vor kurzem, so Sckerl, habe Kretschmann in der Grünen-Landtagsfraktion deutlich gemacht, dass er die gesamte Legislaturperiode von 2016 bis 2021 amtieren wolle. „Es gibt bei uns keine Nachfolgedebatte. Wir haben keinen Plan B und es gibt auch keinen geborenen Nachfolger.“

Für die Landtags-Opposition ist Kretschmanns Aussage hingegen Wasser auf die Mühlen. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Karl-Wilhelm Röhm, meint: „Zu einer Wahl gehört auch, vorher zu sagen, wer hinterher an der Spitze stehen soll. Die Wähler im Land interessiert deshalb die Frage: Wer kommt nach Kretschmann? Und sie haben ein Recht auf Antwort.“ Auch CDU-Spitzenkandidat und Kretschmann-Herausforderer Guido Wolf hatte sich zuvor ähnlich geäußert.

Fakt ist: Sollte Grün-Rot nicht erneut eine Regierungsmehrheit bekommen, verlässt Kretschmann die politische Bühne. Das dürfte auch der Fall sein, falls die SPD ein besseres Ergebnis erzielt als die Grünen und man dann den Ministerpräsidenten stellt. Sollte Grün-Rot hingegen gewinnen, wird Kretschmann weiterhin Regierungschef bleiben. Nur wie lange? Hinter den Kulissen werden bei den Grünen seit Monaten mehrere Namen gehandelt. Neben den beiden Oberbürgermeistern Palmer und Salomon sind dies Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, Umweltminister Franz Untersteller, Landtags- Fraktionschefin Edith Sitzmann sowie der Bundesparteichef Cem Özdemir.

Und was denken externe Politikbeobachter über die Aussage Kretschmanns? Der Politologe Ulrich Eith hält den Ministerpräsidenten nicht für amtsmüde. „Ich gehe davon aus: Wer zur Wahl antritt, will auch gewählt werden. Und wenn er dann nicht das Vertrauen der Wähler bekommt, muss er sich eben nach etwas anderem umschauen.“ Kretschmann hätte dann auch wenig Alternativen. „Dass er nicht als Oppositionsführer weitermacht, ist doch klar“, so der Freiburger Professor für Politikwissenschaft. Für den Wahlausgang habe Kretschmanns Äußerung keine Relevanz, glaubt Eith. Ob Grün-Rot die Macht im Südwesten auch nach der Landtagswahl im März behalten kann, ist nach Umfragen aber derzeit noch offen.