Der Gemeinderat diskutierte über den Windkraftstandort Stuttgart Foto: dpa

Dürfen im Tauschwald in Stuttgart zwei Windkraftanlagen gebaut werden, die 5000 Haushalte mit Strom versorgen könnten? Das will die Stadt jetzt genau wissen. Eine knappe Mehrheit im Gemeinderat setzte durch, dass Behörden die Zulässigkeit prüfen.

Stuttgart - Der von den Stadtwerken Stuttgart (SWS) beabsichtigte Bau zweier Windkraftanlagen zwischen Feuerbach, Weilimdorf und Botnang wird vorerst weiterverfolgt. Das beschloss am Donnerstag eine knappe Mehrheit im Gemeinderat: fast alle Grünen-Stadträte, die SPD, die Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus sowie OB Fritz Kuhn (Grüne). Zahlreiche Projektgegner auf der Tribüne protestierten, weil nun die Genehmigung beantragt und die Zulässigkeit der Windräder überprüft wird.

Den 31 Befürwortern standen im Gemeinderat 29 Gegner gegenüber: CDU, Freie Wähler und AfD, zwei FDP-Stadträte, der Stadtist Ralph Schertlen und Clarissa Seitz (Grüne). Dr. Heinz Lübbe (FDP) fehlte, sonst wäre der Genehmigungsantrag mit nur einer Stimme und nicht mit zwei Stimmen Vorsprung beschlossen worden.

350 000 Quadratmeter ungenutzt

Knappe Zustimmung war seit Tagen absehbar gewesen. Denn da hatte sich abgezeichnet, dass die kritisch eingestellte Grünen-Stadträtin Gabriele Munk aus Weilimdorf die weitere Prüfung mittragen könnte. Gespannt war man aber auf die grüne Abweichlerin Clarissa Seitz, ebenfalls aus Weilimdorf. Sie zeigte dann klare Kante gegen das Projekt, schlug aber auch eine Alternative vor: Im Gewerbegebiet Weilimdorf seien knapp 350 000 Quadratmeter Dachflächen ungenutzt. Würde man auf einem Drittel Fotovoltaikzellen installieren, könnte man die Windräder „überkompensieren“.

Zwei Jahre lang habe sie für die Windräder geworben, sagte Seitz. Seit ein paar Wochen lehne sie die Anlagen ab – hauptsächlich wegen der Bedrohung zahlreicher seltener Tierarten wie Baumfalken und Wespenbussarde. Eine sach- und fachgerechte Abwägung im Genehmigungsverfahren könne nur zur Ablehnung der Windräder führen. „Alles andere wäre ein naturschutzpolitischer Skandal.“ Deshalb wolle sie von vornherein auf die rund 150 000 Euro teure Prüfung verzichten. Auch ohne Windräder gebe es in Stuttgart „jede Menge Optionen für die Urbanisierung der Energiewende“, hielt sie Kuhn entgegen.

Kuhn spricht sich für Prüfung aus

Der OB hatte zuvor unterstrichen, dass die Windkraftnutzung die größte Ökostromausbeute pro eingesetzter Million Euro ermögliche. Er sprach sich entschieden für die Prüfung aus. Ob es danach zum Bau der Windräder kommt, ließ Kuhn offen. Einen Automatismus gebe es nicht. Über den Bau entscheide man gesondert. Bis dahin will er einen Plan B erarbeiten lassen für ein Alternativprojekt in den Stadtbezirken zur Stromeinsparung oder Stromerzeugung in gleicher Dimension. Nötig wären dafür 100 000 Quadratmeter Fotovoltaikflächen oder neue Heizungsumwälzpumpen in 60 000 Heizungskellern. Stuttgart habe noch viel für die Energiewende zu tun. Die Stadt müsse interessieren, ob daheim Windräder möglich wären oder nicht. Kuhn: „Wir können nicht sagen, die Stuttgarter Energiewende soll bei Würzburg stattfinden.“

Peter Pätzold sagte, die Grünen hätten auch Bedenken beim Artenschutz. Alle Fragen wolle man aber durch die Fachbehörde „im Verfahren“ geklärt wissen. Wenn die SWS anderswo als Käufer auftreten und dort mit Bürgerinitiativen konfrontiert werden, gehe es auch um Stuttgarts Glaubwürdigkeit, meinte Hans H. Pfeifer (SPD) – ähnlich wie Kuhn und Pätzold. Unmut auf der Tribüne löste besonders Christoph Ozasek (Die Linke) aus. Grund: Er sagte, weil im Tauschwald schon eine Straße vorhanden sei, seien die Eingriffe gering. Nennenswerte gesundheitliche Beeinträchtigungen von Anwohnern durch Infraschall von den Rotoren seien nicht zu erwarten. Das Projekt müsse man auch im Lichte des drohenden Klimawandels sehen. Stuttgart habe bei der Energiewende Nachholbedarf. Einen Zielkonflikt mit dem Artenschutz gebe es, jedoch seien die Lebensräume von Tieren durch andere Maßnahmen reduziert worden. Ein Selbstläufer in Richtung Windradbau sei das Prüfverfahren nicht.

CDU kritisiert das Vorhaben

Alexander Kotz (CDU) nannte es „absurd“, für die Windräder zwei Hektar Wald abzuholzen und ins Wohnumfeld von 70 000 Anrainern einzugreifen. Der OB treibe die Menschen förmlich in den Widerstand gegen die Energiewende. Er spalte die Gesellschaft weiter. Jürgen Zeeb (Freie Wähler) sagte, Stuttgart übernehme anstelle weniger zentraler Kommunen Lasten. Dann könne es auch bei der Windkraftnutzung einen „Lastenausgleich“ geben. Bernd Klingler (AfD) forderte, die Stadt müsse sich auf Energieeinsparung konzentrieren. Die Stadtwerke sollten das Geld lieber in Förderprogramme für die Bevölkerung statt in Windkraftanlagen stecken. Hier gehe es nicht um Wohl und Wehe der urbanen Energiewende an und für sich, sondern um Windenergie als einen Aspekt davon, meinte Matthias Oechsner (FDP).