Im Kreis Ludwigsburg steht bisher ein Windrad in Ingersheim, in der ganzen Region Stuttgart sollen noch viele folgen Foto: Peter Petsch

Vier Jahre währt die Diskussion um mögliche Standorte für Windräder in der Region Stuttgart. An diesem Mittwoch fällt der Beschluss. Befürworter und Skeptiker werden in der Debatte noch einmal alle Register ziehen.

Stuttgart -

Die Grundlage

Die Regionalversammlung beschließt an diesem Mittwoch ab 15.30 Uhr in der Sparkassenakademie am Pariser Platz nicht, wo künftig tatsächlich Windräder gebaut werden. Das hängt von vielen Voraussetzungen ab, die Investoren im einzelnen Genehmigungsverfahren erfüllen müssen. Das Gremium legt aber fest, wo keine Anlagen gebaut werden dürfen – nämlich dort, wo keine sogenannten Vorranggebiete für die Windkraft sind. Von 96 blieben in der vorentscheidenden Ausschusssitzung vor zwei Wochen 44 übrig. Mehrere Fraktionen kündigten an, erneut über einzelne Standorte diskutieren zu wollen. Die Grünen mit Stuttgarts OB Fritz Kuhn geben sich nicht damit zufrieden, dass die Mehrheit den einzigen Standort in der Landeshauptstadt im Tauschwald zwischen Botnang und Weilimdorf aus dem Plan gekegelt hat.

Die kleinen Standorte

Nicht alle Argumente für und wider die Windkraft können auf der Ebene der groben Planung des Raumes, für den die Versammlung zuständig ist, geklärt werden. Ein wichtiges Thema ist die Größe der Standorte und wie stark dort der Wind bläst. Für kleine Standorte, die Platz für höchstens zwei Räder bieten, interessieren sich selten Unternehmen. Meist wollen hier Bürger einen Beitrag zur Energiewende leisten und sind auch mit einer kleinen Rendite zufrieden. Sie gründen dann Genossenschaften. Im Tauschwald sind es dagegen die Stadtwerke mit ihrem Aufsichtsratsvorsitzenden Kuhn, die prüfen, ob dort zwei Anlagen hinpassen. Die Mehrheit in der Regionalversammlung um CDU, Freie Wähler, FDP und AfD lehnt solch kleine Standorte, die oft in Gebieten mit nicht besonders starkem Wind liegen, ab. Sie findet, dass sich die Beeinträchtigung der Landschaft an diesen Stellen nicht lohnt, auch wenn sich das Windrad aufgrund des rentierlichen Strompreises rechnet. Der Genossenschaftsverband bemängelt, dass drei Initiativen im Kreis Ludwigsburg in Bönnigheim, Kirchheim/Neckar und Steinheim/Murr vor dem Aus stehen.

Der Ballungsraum

Während in den eher windschwachen Kreisen Böblingen und Ludwigsburg nur noch jeweils zwei Standorte übrig sind, ballt sich das Angebot im Osten der Region, wo insbesondere auf der Schwäbischen Alb, dem Schwäbischen Wald und auf dem Schurwald der Wind deutlich stärker bläst. Speziell auf der Alb und dem Schwäbischen Wald drohen allerdings Orte wie Böhmenkirch (Kreis Göppingen) von Windrädern regelrecht umzingelt zu werden. Deshalb könnten noch einige ansonsten gute Standorte wegfallen. Ein anderes Thema im Ballungsraum ist der Abstand zur nächsten Wohnsiedlung. Hier überlasst es der Bundesgesetzgeber den Ländern, eigene Richtlinien aufzustellen. Grün-Rot hält ungefähr 700 Meter für ausreichend, wobei Gutachter und Behörden für die einzelne Genehmigung überprüfen müssen, ob dies tatsächlich reicht. Windkraft-Gegner kritisieren jedoch, dass Hessen 1000 Meter Abstand vorsieht und Bayern sogar das Zehnfache der Anlagenhöhe, was 1,5 bis zwei Kilometer sind.

Die Schutzgebiete

Die Landesregierung hat im sogenannten Windenergieerlass von 2012 auch festgelegt, dass Windräder in Landschaftsschutzgebieten erstellt werden dürfen. Voraussetzung ist, dass das zuständige Landratsamt den Zuschnitt des Gebiets ändert oder die Ausnahme in der entsprechenden Verordnung verankert – ein kompliziertes Verfahren. Im Entwurf des Regionalplans stehen zahlreiche Standorte, die Landschaftsschutzgebiete berühren, deren Verordnungen sämtlich noch nicht geändert sind. Ausnahmen sind auch in europäischen Vogel- und Fledermausschutzgebieten vorgesehen, wenn der Schutz entsprechend berücksichtigt werden kann. Auch dies wird erst für die Einzelgenehmigung genau geprüft. Kritiker sorgen sich vor allem um den Rotmilan, von dem es gut 10 000 Brutpaare in Deutschland geben soll – die Hälfte aller Artgenossen auf der ganzen Welt. Die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten hat im Frühjahr einen Mindestabstand zwischen Brutplätzen und Windrädern von 1500 Metern empfohlen. Kritiker bemängeln, dass die Landesregierung weiterhin von einem Kilometer ausgeht. Auch die Pläne in Landschaftsschutzgebieten sind selbst unter Naturschützern sehr umstritten. Zu Naturschutzgebieten allerdings müssen die Windräder in Baden-Württemberg einen Abstand von rund 200 Metern haben.

Die Erholungssuche

Sehr umstritten in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass viele Vorranggebiete auf Höhenrücken mit Wäldern liegen. Einige Naturschützer lehnen es ab, für den Bau der Windräder mehrere Hektar Wald abzuholzen, die später wieder aufgeforstet werden müssen. Etwa ein Hektar muss für die Anlage selbst frei bleiben. Die Befürworter halten dagegen, dass der Eingriff vorübergehend sei und die meisten Tiere zwischen den Bäumen unter den Rotoren leben. Die Windkraft-Realos um die CDU räumen zudem der Erholungssuche in den Wäldern des Ballungsraums vielfach einen höheren Wert ein als etwa die Grünen. Immer wieder wird das Argument der Gewöhnung ins Feld geführt, wonach Menschen mit Windrädern in der Umgebung diese bald akzeptierten. Bei der Debatte um den Kuchberg bei Bad Überkingen-Unterböhringen im Kreis Göppingen etwa sagte Grünen-Sprecherin Dorothee Kraus-Prause: „Die Kurgäste dort können Windräder auch toll finden.“

Der Lärm

Für die Regionalräte spielen die Geräusche, die Windräder machen, oder die Schatten, die sie werfen, keine Rolle. Solche Auswirkungen werden ebenfalls erst später geprüft. Gegner kritisieren jedoch, dass die wiederkehrenden Geräusche der Rotoren schädlicher seien als konstante Geräusche. Außerdem gehe es auch um den Infraschall mit einer tiefen Frequenz, die der Menschen zwar nicht bewusst hört, die ihn aber dennoch krank machen könne. Diese These ist äußerst umstritten und kaum belegt, außerdem wird der Infraschall bei mehreren hundert Meter Abstand von jenem anderer Quellen überlagert – etwa dem Wind selbst. Das gilt auch für das Rotorgeräusch, das bei zunehmendem Abstand schnell leiser wird.

Die Energiewende

Das große Argument der Befürworter ist die Energiewende, die der Bundestag im Sommer 2011 unter dem Eindruck der Fukushima-Katastrophe beschlossen hat. Zu ihr stehen auch alle Fraktionen in der Regionalversammlung. Umstritten ist nur die Rolle, die die Windkraft im dicht besiedelten Ballungsraum dabei spielen soll.