Die Schätzungen, wie viele Anlagen für die Energiewende nötig sind, gehen weit auseinander. Foto: dpa

Für die Energiewende sind die meisten, aber nicht unbedingt vor ihrer Haustür, wie die Informationstour des Verbands Region Stuttgart zur Windkraft zeigt. Allerdings sind eine Menge Windräder nötig – nicht nur in der Nordsee.

Stuttgart - Die Landesregierung will in zehn Jahren 38 Prozent des in Baden-Württemberg erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen. 2011 waren es knapp 19 Prozent, die aus Wasserkraft, Sonnenstrahlen oder Biomasse stammten. Die Windenergie, die vergangenes Jahr gerade einmal ein Prozent beitrug, soll bis 2020 zehn Prozent bringen. Dafür sind nach Angaben des Staatsministeriums etwa 120 neue Windräder der Drei-Megawatt-Klasse pro Jahr nötig – macht insgesamt also 1200.

Ein Leser unserer Zeitung, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will, bezweifelt die Zahlen. „Dass da immer die Spitzenleistung genannt wird, erweckt den Eindruck, dass ein Windrad rund um die Uhr das ganze Jahr hindurch den optimalen Wind bekommt, damit es Volllast abgeben kann“, sagt der Ingenieur der Elektrotechnik. Dabei stehen die Windräder hierzulande deutlich häufiger still als auf hoher See – manchmal auch, weil zu viel Wind bläst und die Anlage abgeschaltet werden muss. Folglich könne man zum Beispiel die 840 Megawatt, auf die der im vergangenen Jahr abgeschaltete Atommeiler Neckarwestheim I ausgelegt war, nicht einfach durch entsprechend viele Windräder etwa der Drei-Megawatt-Klasse ersetzen. Schließlich sei die Auslastung sehr unterschiedlich, da das Kraftwerk unabhängig von äußeren Einflüssen läuft, während das Rad Wind braucht.

Alles richtig, sagt Po-Wen Cheng. Der Professor vom Lehrstuhl für Windenergie am Institut für Flugzeugbau der Universität Stuttgart korrigiert aber die Annahmen zur Auslastung moderner Windräder. „Ein Kernkraftwerk kann sicherlich einen Auslastungsfaktor von 90 Prozent haben“, sagt Cheng, „aber ein Windrad, das nur zu zehn Prozent ausgelastet ist, stellt keiner hin. Das ist nicht wirtschaftlich.“

Neue Technik tut not

Der Windkraftexperte gibt die durchschnittliche Auslastung einer Anlage auf hoher See mit 50 Prozent an, ein guter Standort an der Küste könnte 35 bis 40 Prozent bringen, einer in den sogenannten Schwachwindgebieten im Inland 20 bis 30 Prozent. Gemeint sind die Gebiete mit dem stärksten Wind im Land, der in der Regel aber immer noch schwächer ist als über dem Meer.

Cheng betont, dass die Technologie unter dem Eindruck der politischen Diskussion um die Energiewende in den vergangenen ein, zwei Jahren auch im Schwachwindbereich enorme Fortschritte gemacht habe. Haben die im Ballungsraum jüngst eingeweihten Windräder einen Durchmesser von 90 Metern, gebe es inzwischen schon ein Modell mit 117 Metern. Mit diesen Anlagen, die auch immer höher werden, sei eine ganz andere Stromausbeute möglich. Windräder wie das erst im Frühjahr in Betrieb genommene Objekt in Ingersheim (Kreis Ludwigsburg) seien technologisch betrachtet schon wieder überholt. Insofern hält Po-Wen Cheng auch den 1200-Windräder-für-zehn-Prozent-Strom-Plan des Landes nicht für unrealistisch.

Betrachtet man die Zahlen des vergangenen Jahres, tut die neue Technik auch not. Damals gab es 380 Anlagen im Land, die nach Angaben des Umweltministeriums 595 Gigawattstunden produzierten. Das sind etwa so viel, wie 150.000 Haushalte im Jahr verbrauchen. Zum Vergleich: In Stuttgart gibt es rund 300.000 Haushalte. Würde man nun die Durchschnittsproduktion der 380 Räder hochrechnen, bräuchte Baden-Württemberg für eine Verzehnfachung rund 3800 neue Anlagen bis 2020. Für Cheng ist diese Rechnung aber nicht fair, schließlich zählen dazu auch Kleinstanlagen wie jene auf dem Grünen Heiner bei Weilimdorf. Diese ist auf ein halbes Megawatt ausgelegt und hat bei einer Gesamthöhe von 66 Metern einen Rotor mit 40 Meter Durchmesser.

Region hat keine Vorgaben vom Land, wie viele Windräder im Ballungsraum unterkommen sollen

Auch im Vergleich zum stillgelegten Reaktor bei Neckarwestheim müssen die Windräder noch stärker werden. Er hat nach Angaben der EnBW in seinem letzten kompletten Betriebsjahr 2010 knapp 7900 Gigawattstunden produziert – bei einer Auslastung von nur noch 30 Prozent. Doch schon dafür bräuchte man mehr als 1400 der bisherigen Durchschnitts-Windräder.

Die Region hat keine Vorgaben vom Land, wie viele Windräder im Ballungsraum unterkommen sollen. Sie hat aber zusammen mit den Kommunen 96 Standorte gefunden, an denen mindestens zwei, wunschgemäß aber durchschnittlich drei Anlagen Platz finden könnten. Das wären knapp 300 Windräder. „Auch wir müssen einen Beitrag zur Energiewende bringen“, sagt Chefplaner Thomas Kiwitt, „und mit der Windkraft kann man mal anfangen.“ Das sei besser, als lange hin und her zu rechnen, wie viele Räder man nun genau brauche. Schließlich würden die Anlagen mit privatem Geld gebaut, hätten sich nach 20 Jahren bezahlt gemacht und könnten auch wieder beseitigt werden, wenn es Probleme gäbe.