Die Pose des Erfolgreichen: Roger Federer eilt seinem achten Sieg in Wimbledon entgegen – bisher ohne Satzverlust. Foto: AFP

Roger Federer zeigt zurzeit nahezu perfektes Rasentennis. Der 35-Jährige steht vor seinem achten Erfolg in Wimbledon, womit er zum alleinigen Rekordhalter avancieren würde.

London - Es besteht kein Zweifel daran, dass das ehemalige Wohnzimmer des Boris Becker längst einen neuen Eigentümer gefunden hat. Wenn nämlich Roger Federer den 14 979 Tennisfans fassenden Centre-Court an der Londoner Church Road betritt, dann ist die Bewunderung der Massen für diesen Ausnahmekönner des weißen Sports fast physisch greifbar. Eine besondere Schwingung liegt dann in der Luft, und die Liebesbekundungen erreichen hymnische Ausmaße. Den „ewigen Gärtner“ hat der Londoner „Telegraph“ den siebenfachen Wimbledon-Champion getauft.

„Rasenflüsterer“ und „Fed-Express“

Der Schweizer Maestro ist für einige der „Rasenflüsterer“, für andere der „Fed-Express“ – während der Fanclub aus seiner Heimstadt Basel die Heldenverehrung auf die Spitze treibt: „Roger, du bist unser Genie!“, heißt es auf dem Plakat der Eidgenossen. Der US-Altmeister und BBC-Experte John McEnroe sagt: „Roger ist schlichtweg der beste Spieler, den das Rasentennis je gesehen hat.“

An diesem Freitag kehrt Federer, der King of the Court, zurück auf seinen Heiligen Rasen, der schon bessere Zeiten gesehen hat als in diesem Jahr. Die für englische Verhältnisse ungewöhnliche Trockenheit hat den Weidegrashalmen arg zugesetzt. Doch wenn Federer auch im Halbfinale gegen Tomas Berdych, gegen den er 2010 im Viertelfinale verlor, so auftritt wie bisher, dann spielen Unebenheiten rund um die Grundlinie eine Nebenrolle – dann scheinen Raum und Zeit still zu stehen.

„Ich bin selbstbewusst, frisch und ausgeruht“

„Ich bin selbstbewusst, frisch und ausgeruht – dann passieren große Dinge“, sagt Federer, der auf dem Weg in die Vorschlussrunde noch keinen Satz abgegeben hat. „Ich könnte nicht besser in Form sein, als ich es derzeit bin “, entgegnet der groß gewachsene Berdych, der voll überzeugt hat, ehe er in der Runde der letzten acht auch von der Verletzung des Novak Djokovic profitierte. Nimmt man aber die Turnierleistungen Federers zum Maßstab, ist ein Sieg des Tschechen kaum vorstellbar. Bisher hat der Meister sie alle mühelos weggeputzt: Im Viertelfinale war auch der aufschlagstarke Milos Raonic ohne jede Chance. Noch im Vorjahr hatte der Kanonier aus Kanada Federer im Semifinale eliminiert.

Ein Meister der Taktik

„Mein Traum lebt“, sagt der Schweizer nun, weil er nicht nur federleicht spielt, sondern auch ein Meister der Taktik ist. „Die anderen sind alle größer und stärker als ich – also muss ich mir etwas einfallen lassen“, erklärt der Weltranglistenfünfte auch angesichts der zwei weiteren Halbfinalisten Sam Querrey (USA) und Marin Cilic (Kroatien). Also streut Federer weiter gekonnt Slices und Stopps in sein Spiel ein. Zwei Siege fehlen dem Sohn einer Südafrikanerin und eines Schweizers noch, und ihm ist ein weiterer Eintrag ins Geschichtsbuch des Welttennis sicher. Gewinnt der Rasenflüsterer im All England Club erstmals seit 2012 wieder den Titel, dann ist er mit insgesamt acht Wimbledon-Erfolgen an dem Amerikaner Pete Sampras und dem Briten William Renshaw vorbeigezogen, die ebenfalls jeweils sieben Titel gewannen. „Es ist eine Inspiration“, sagt Federer, dem diese Bestmarke sehr viel bedeuten würde: „Ich spüre, ein großer Teil der Wimbledon-Geschichte zu sein. Das treibt mich an.“

Also hat der vierfache Familienvater gerade aus der Halbfinalniederlage von 2016 gegen Milos Raonic seine Lehren gezogen. Damals schmerzten die Knie und der Rücken – und der Maestro mit der Erfahrung von 18 Grand-Slam-Erfolgen wusste, was es nun zu tun galt. Also zog Roger Federer die Notbremse, er verzichtete ganz schweren Herzens auf die Olympischen Spiele in Rio, auf die US Open und die ATP-WM in London zum Saisonausklang.

Eine Pause mit positiven Folgen

Zu Beginn des Jahres meldete sich der 35-Jährige dann auf der Tour zurück, wo er mit Siegen bei den Australian Open, in Indian Wells und Miami beeindruckte. In dieser Saison hat Federer überhaupt nur zwei seiner 32 Partien verloren. Dass eine davon ausgerechnet die Niederlage im Auftaktmatch beim Weissenhof-Turnier gegen Tommy Haas im Anschluss an eine elfwöchige Auszeit war, schmerzte das Stuttgarter Publikum sehr. Doch Federer will auch 2018 wieder auf dem Killesberg spielen – und sieht sich in seinem dosierten Formaufbau bestätigt. Nach Stuttgart schnappte sich der Schweizer seinen neunten Titel im westfälischen Halle. „Der Plan war, in der zweiten Turnierwoche von Wimbledon topfit zu sein“, sagt Federer: „Und um ehrlich zu sein: Das klappt bisher ganz gut.“