Die Bande von Blutbrustpavianen hat es Zootester Anthony Sheridan in der Wilhelma besonders angetan. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Tierparkexperte Anthony Sheridan gefällt die Wilhelma in Stuttgart-Bad Cannstatt – trotz des ganzen verbauten Betons. Er erklärt, wie er als Tester den Zoo bewertet.

Bad Cannstatt - Mit großen Schritten läuft Anthony Sheridan zum Gehege der Blutbrustpaviane und Mähnenspringer in der Wilhelma. „Es ist gut, dass ich so sportlich bin. Ich spiele Tennis“, erklärt der Brite in Deutsch mit typischem Akzent. Gute Kondition ist wertvoll. Als Zootester legt er oft viele Kilometer an einem Tag zurück. Gerade schaut er sich in der Wilhelma um, hält Vorträge und stellt sein neues Buch vor: „Europas Zoo unter der Lupe“.

Die große Affenbande mit 30 bis 40 Blutbrustpavianen, die sich um den künstlichen Berg tummelt, gefällt ihm in der Wilhelma besonders. Mehr noch freut ihn aber die ungewöhnliche Mischung von Tieren in dem Gehege: „Die ist ganz selten. Die Paviane reiten manchmal auf den Schafen“, sagt er lachend. Weitere Highlights sind für ihn beispielsweise die Krokodile im Amazonienhaus und die Okapis. Aber: „Ich mag es, wenn es ganz natürlich aussieht“, sagt der kleine, drahtige Mann mit dem typisch britischen Charme. Beton wolle er im Zoo am liebsten nicht sehen.

Persönliche Vorlieben klammert Sheridan aus

In diesem Punkt treffe das neue Affenhaus der Wilhelma nicht seinen Geschmack. Trotzdem habe er es mit sechs von sechs Punkten bewertet, genauso gut, wie sehr viel natürlicher gestaltete Anlagen. „Ich kann nicht sagen, dass es den Affen deshalb schlechter geht“, macht er deutlich. Aus diesem Grund fließe sein Geschmack nicht in die Wertung ein. Es freue ihn aber zu sehen, dass Wilhelma-Direktor Thomas Kölpin ähnlich denke wie er. Was er im neuen Masterplan gelesen habe, sei sehr erfreulich. Masterpläne seien ohnehin eine ganz wichtige Quelle für ihn.

Sein Ranking ist anerkannt, selbst von Stiftung Warentest. Die Wilhelma belegt aktuell Platz 9 von 30 der getesteten großen Tierparks mit einer Million Besuchern pro Jahr. Sprecher Harald Knitter lobt: „Das Ranking ist sehr umfassend, mit 40 Faktoren.“ Untersucht werden Besucher-Faktoren, Bildung und Artenschutz, Wirtschaft und Organisation – mit unterschiedlichem Stellenwert. Kritik werde manchmal an seiner Gewichtung laut, sagt Sheridan, der sein Alter nur mit „über 70“ angibt. Der Artenschutz fließt deutlich weniger in die Bewertung ein, als Besucherfaktoren und Wirtschaft. Das kann er allerdings begründen: Nur mit den beliebten Tierarten könne der Zoo Besucher, Sponsoren und Politiker für sich gewinnen. Und Geld sei nunmal die Basis. „Mein Herz gehört dem Artenschutz, mein Kopf jedoch dem Finanziellen“, macht Sheridan deutlich. Seine Liste der Lieblingsarten europäischer Zoobesucher führt der Elefant an, gefolgt von Gorilla und Giraffe. Der Wilhelma fehlt nur eine Art der Top-12. Noch. Es sind die Löwen, die im März schon wieder einziehen sollen.

Beliebte Tierarten sind für die Finanzen unverzichtbar

Seit 2007 reist Sheridan schon durch die Zoos. Mehr als 120 Einrichtungen in 28 Ländern kennt er. Zuhause sei er „schon mal“, sagt er schmunzelnd. Den Winter verbringe er dort, aber von März bis Oktober sei er unterwegs. „Manchmal begleitet mich meine Frau und macht Fotos.“

Derzeit würden Einrichtungen viel Geld in bessere Gehege investieren. Das sei auch eine Folge der neuen Vorschriften für Tierhaltung, die es seit 2014 gebe. Besonders beliebt seien bei Besuchern natürliche Gehege und größere Gruppen oder Herden, gern mit Nachwuchs. Was Angebot und Akzeptanz betreffe, seien die deutschsprachigen Länder mit ihrer Zoolandschaft haushoch führend, erklärt der Fachmann. 45 Prozent aller europäischen Zoos lägen dort. In Italien dagegen, wo die Zoogegner sehr stark und besonders aktiv seien, sei es für die Zoos besonders schwierig.

Deutschsprache Länder führen Europas Zoolandschaft an

Das heißt aber nicht, dass Zooleitungen hierzulande nicht mit Problemen zu kämpfen hätten, vor allem neue Chefs, sagt der Fachmann. Beim Wechsel gehe es Besuchern und Förderern oft nicht schnell genug mit dem Fortschritt, doch die Direktoren könnten meist nichts dafür. „Wenn der Zoo dem Land gehört, ist der Prozess für ein neues Gehege keine schnelle Sache.“ Das sei in Stuttgart nicht anders als etwa in Berlin, Frankfurt oder Köln. Langwierige Schritte müssten abgearbeitet werden, bevor eine Freigabe erfolge. „Das ist der größte Nachteil.“ In der Hinsicht könne man schon manchmal neidisch auf Privatzoos wie in Frankreich und Belgien schauen.