Badisches Schäufele gilt als „Krönung des bäuerlichen Speisezettels im Schwarzwald“ und ist als eines der badischen Lieblingsgerichte in der guten badischen Küche unverzichtbar. Foto: dpa

Warum die Badener sich selbst genug sind, die Schwaben aber trotzdem brauchen. Eine Betrachtung von Nachbarn, die sich nicht mögen ... oder doch?

Stuttgart - Um das gleich klarzustellen: Dies ist kein Pamphlet gegen die Schwaben. Von denen soll hier überhaupt nicht die Rede sein. Warum auch? Es geht ausdrücklich nicht um sie, sondern um die Badener. Und die stehen für sich allein.

Nun gut, man verwechselt sie gern. Vor allem nördlich des Mains. Zwar nimmt auch der Durchschnittsberliner zur Kenntnis, dass der Landstrich am Oberrhein von der Natur verwöhnt ist, aber mit dem Badener an sich kann er nicht viel anfangen. Im Süden leben für ihn die Schwaben, basta. Und selbst die Schweizer, die es als Alemannen ja eigentlich besser wissen müssten, behaupten frech: Im Norden leben die Schwaben. Aufklärung tut also not.

In Sinsheim knödeln 10 000 Kehlen

Nun denn: Zwischen Main und Mainau, zwischen Rhein und Schwarzwaldkamm, grob gesagt, lebt der Badener. Wer ihn näher kennenlernen will, fährt zum Beispiel nach Sinsheim ins Fußballstadion, wenn 1899 Hoffenheim ein Heimspiel hat. Dort knödeln 10 000 Kehlen: „Das schönste Land in Deutschlands Gau’n . . .“ Das ist die Hymne der Badener. Und sie trifft im Großen und Ganzen den Kern.

Wenn allerdings der SC Freiburg dort zu Gast ist, gerät der auswärtige Besucher vermutlich ins Grübeln. Es kann nämlich passieren, dass der Breisgauer Fanblock skandiert: „Ihr seid keine Badener.“ Oder es kommt vor, dass er auf einen Mannheimer Schlachtenbummler trifft, der steif und fest behauptet: „Ich bin gar kein Badener, ich bin Kurpfälzer!“

Das ist verwirrend, zugegeben. Der auswärtige Gast muss erst lernen, dass die Freiburger zunächst einmal Freiburger sind. Und die Karlsruher Karlsruher. Und die Kurpfälzer Kurpfälzer. Das hat den Journalisten Amadeus Siebenpunkt („Deutschland, Deine Badener“) schon vor vielen Jahren zur ketzerischen Frage veranlasst, ob es den Badener an sich überhaupt gibt. Oder ob er nicht vor allem dann Badener ist, wenn er nördlich des Mains für einen Schwaben gehalten wird.

Kein Stammesbegriff, sondern der Name einer Fürstenfamilie

Das Knäuel löst sich auf, wenn man weiß, dass „Badener“ kein Stammesbegriff ist wie Bayer oder Sachse, sondern auf den Namen einer Fürstenfamilie zurückgeht, deren Wurzeln (ausgerechnet) am Fuß der Schwäbischen Alb liegen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam ebendiese Familie ziemlich groß raus. Dank ihres guten Drahts zu Napoleon durfte sie sich nämlich einige Ländereien einverleiben. So sahen plötzlich die ehemals bayerischen Kurpfälzer die gelb-rote badische Fahne bei sich flattern. Dasselbe passierte den Breisgauern, die zuvor zu Vorderösterreich gehört hatten.

Aus dem kleinen, zersplitterten Ländchen war so zwar kein Königreich geworden wie der württembergische Nachbar (was wehtat), aber immerhin ein geschlossener Kleinstaat mit einer Wespentaille: das Großherzogtum Baden. Diese Geschlossenheit war allerdings vorerst nur äußerlich. Bis katholische Hotzenwälder und protestantische Odenwälder sich als Badener verstanden, bis Kaiserstühler und Kraichgauer ein Wir-Gefühl entwickelten, gingen viele Jahrzehnte ins Land. Deswegen gibt es auch keine badische Mundart. Man spricht Alemannisch, Fränkisch, Kurpfälzisch.

Trotzdem wuchs mit der Zeit ein gemeinsamer „Identitätsraum“, wie es der Tübinger Baden-Kenner Hermann Bausinger nennt. Das lag nicht zuletzt daran, dass es vielen Menschen verhältnismäßig gut ging. Die Schornsteine der hymnisch besungenen „Fabrik“ wuchsen ja nicht nur in Mannheim in den Himmel – bei Lanz etwa oder der BASF, die später zu den Pfälzern desertierte –, sondern auch in Pforzheim, Gaggenau oder Emmendingen.

Drais, Benz und der Fürst

Carl Drais erfand das Fahrrad, Carl Benz baute das Auto, der Fürst gründete in Karlsruhe die erste Technische Hochschule Deutschlands. Fremde waren willkommen und brachten Kapital. Man war auch stolz auf die vergleichsweise liberale Verfassung, das Wort vom „Musterländle“ machte die Runde. Als es dem Fürsten dann zu bunt wurde mit der Liberalität und er 1848/49 genug hatte von der großen badischen Freiheit, da war auch das Kitt für das Land: An der gescheiterten Revolution richten sich noch heute wackere Liberale auf.

Es gibt ihn also, den Badener. Wer nun wissen will, wie der eigentlich so ist, der setzt sich statt ins Hoffenheimer Fußballstadion besser auf den Karlsruher Marktplatz. Hunderte bevölkern hier die Straßencafés, essen Spargelsüppchen, nippen am Riesling und blinzeln in die Sonne. Was daran typisch badisch sein soll? Dass man dies hier schon immer so gehalten hat. Auch zu Zeiten, als andernorts noch in jedem Kopf ein Moralapostel hauste, der unentwegt das Gewissen kujonierte. Wir nennen jetzt keine Namen.

Der Badener lebt gern, und er lässt leben. Und so könnte er sich eigentlich selbst genug sein. Er könnte Schäufele mit Kartoffelsalat essen (Foto oben) und mit Karlsruher Zungenschlag rufen: „Alla gut, trinke mer no oiner!“ Und er hätte eigentlich keinerlei Grund, an seinem So-Sein zu zweifeln – wenn da nicht . . . Nun ja, es juckt ihn bisweilen, sich seiner Liberalität und Souveränität zu vergewissern. Das tut er gern mit Hilfe der Pfälzer, die sich von ihm nie ganz ernst genommen fühlen. Am besten aber funktioniert das im Kontrast zum württembergischen Nachbarn.

Wir sind nicht so pingelig, dass wir für die Kehrwoche ein Schild aufhängen müssen.

Nun sind wir also doch bei jenem Wesen angelangt, mit dem sich der Text ausdrücklich nicht befassen wollte: bei dem württembergischen Schwaben. Es geht halt nicht ohne.

„Wir Badener“, hat der Karlsruher Schriftsteller Harald Hurst einmal gesagt, „brauchen die Schwaben, denn nur durch sie können wir uns perfekt definieren: Wir sind nicht so wie die.“

Die badische Selbstdefinition (ex negativo) könnte also lauten: Wir sind nicht so pingelig, dass wir für die Kehrwoche ein Schild aufhängen müssen. Wir sind nicht so eigennützig, dass wir aus „Daimler-Benz“ hinterrücks den Autoerfinder herausstreichen. Wir sind nicht so profitlich, dass wir selbst den Genuss noch auf Gewinn abklopfen. Und wir bestehen in Berlin nicht rechthaberisch auf dem „Weckle“, so dass uns die Hauptstädter verjagen wollen.

Vor diesem grauen württembergischen Hintergrund erscheint das badische Profil dann umso bunter und verlockender. Wer dies als Klischee abtut, der hat natürlich recht.

„Ein Wetter steht grad über der Erd’, wenn’s nur ins Württembergische fährt!

Vielleicht steckt dahinter auch der Wunsch, Ähnlichkeiten zu verstecken. Psychologen würden sagen: Man grenzt sich ab, um kleine Unterschiede größer wirken zu lassen. Aber ein Körnchen Wahrheit steckt ja in jeder Überspitzung.

„Gehen Sie mal auf den Wochenmarkt nach Stuttgart“, sagt Eckart Köhne, ein gebürtiger Karlsruher, der lange in der Landeshauptstadt gelebt hat. „Dort muss man sich das Marktgut mit dem Ellenbogen erarbeiten.“ In Karlsruhe hingegen stünden die Leute gelassen in einer Schlange. Hier dürfe man auch probieren – während der Stuttgarter nachwiegen lässt.

Köhne ist übrigens ein professioneller Beobachter: Seit wenigen Monaten leitet er das Badische Landesmuseum in Karlsruhe. Seine Ehefrau Cornelia Ewigleben ist, nebenbei gesagt, Direktorin des Landesmuseums Württemberg.

Weil es nicht immer so einfach ist, Unterschiede auszumachen, konstruiert sie der Badener gern in Form von Witzen. Von denen kennt er Hunderte – umgekehrt gibt es so gut wie keine. Das war schon vor 150 Jahren so, als ein Badener reimte:

„Ein Wetter steht grad über der Erd’,

wenn’s nur ins Württembergische fährt!

Denn tut es sich bei uns entladen,

dann haben wir den Hagelschaden.“

Ehe nun Tränen des Mitleids fließen, muss erwähnt werden, dass das Misstrauen auch handfeste Ursachen hat. Dass sich die Stuttgarter Zentralisten die Abstimmungsmehrheit für den Südweststaat 1952 mit einem Trick verschafften, hat man ihnen am Rhein lange nicht verziehen.

„Älles, älles Schturgert zu“

Der alte Spruch „Älles, älles Schturgert zu“ klingt dort in manchen Ohren noch immer wie eine Drohung. Badische Lordsiegelbewahrer wie die „Landesvereinigung Baden in Europa“ fürchten nichts mehr als schwäbischen Zentralismus. Mit Argusaugen wachen sie darüber, dass im Osten nur ja keine Hausmeisterstelle ohne Ausgleich im Westen entsteht – nicht bemerkend, dass Erbsenzählerei doch eigentlich unsymbadisch ist. Man will sich halt nicht auf den Kopf scheißen lassen – eine Furcht, die in Karlsruhe besonders ausgeprägt ist. Die Freiburger sehen das gelassener.

Eines hat übrigens nie funktioniert: aus Badenern Schwaben zu machen und umgekehrt. Wohlmeinende Landespolitiker haben dies probiert, indem sie zum Beispiel badische Orte wie Markdorf dem Regierungsbezirk Tübingen unterstellten. Zur Stärkung der Landesidentität, wie sie sagten.

Das Einzige, was sie damit gestärkt haben, waren Kenntnisse des Badnerlieds. Gälfiaßler und Sauschwobe, wie sich beide liebevoll nennen, liefern sich jedenfalls weiterhin Wortgefechte. Dass dies meist nur noch während der Fasnet geschieht, die ja schwäbisch-alemannisch ist (also integrativ), mag man als Zeichen von Annäherung verstehen.

Bliebe noch nachzutragen, dass man auf keinen Fall Badenser sagen darf. So etwas lässt der Badener höchstens einem Berliner durchgehen. Dem Schwaben, der ihn damit reizt, sagt er: Alla gut, dann nenn’ ich die Heilbronner halt Heilbronnser.