G-Metall-Chef Jörg Hofmann: Elektromobilität und Digitalisierung dürfen nicht zu Wegbereitern von Billigjobs werden. Foto: IG Metall

Die Autoindustrie setzt voll aufs E-Auto – weil die Technik vorankommt und der für die Klimabilanz wichtige Diesel in Verruf geraten ist. Doch für die Jobs verheißt der Wandel nichts Gutes. Jörg Hofmann, Chef der IG Metall, spricht über seine Vorstellungen.

Stuttgart -

Herr Hofmann, die Autohersteller kündigen für die nächsten Jahre eine große Offensive mit Elektrofahrzeugen an. Was bedeutet das für die Arbeitsplätze?

Die Wertschöpfung wird sich verändern. Ein Elektromotor ist weniger kompliziert und hat weniger Teile als ein Verbrennungsmotor. Wenn die Produktion in zehn Jahren tatsächlich zu 25 Prozent aus Elektroautos besteht, könnten von den derzeitigen etwa 250 000 Arbeitsplätzen im Antriebsstrang bis zu 75 000 betroffen sein.

Wie viele davon fallen weg, und wie viele werden durch neue Aufgaben ersetzt?

Das lässt sich heute nicht vorhersagen. Die Elektromobilität bringt auch eine Reihe neuer Aufgaben. Dazu gehören die gesamten Batterie- und Speichertechnologien sowie die Leistungselektronik oder die Klimatisierung der Batterie. Die Optimierung des Fahrzeugs wird auch im Elektroantrieb zu mehr Komplexität führen. Und das bedeutet auch Beschäftigung in Entwicklung und Produktion.

Es gibt ganze Fabriken wie das Daimler-Stammwerk in Untertürkheim, deren Mitarbeiter hauptsächlich von den Komponenten für den Verbrennungsmotor leben. Welche Perspektiven haben diese?

Aus heutiger Sicht wird die Beschäftigung in der Aggregatefertigung bei Herstellern wie auch Zulieferern auf lange Sicht sinken. Das wird sozial abgefedert durch die demografische Entwicklung, die Baby-Boomer verlassen die Betriebe. Das wird aber nicht ausreichen. Deshalb ist es wichtig, dass in diesen Werken und im Umfeld möglichst viele Aufgaben im Bereich der Elektromobilität angesiedelt werden.

Volkswagen plant den Einstieg in eine eigene Fertigung von Batteriezellen in der Nähe seines Komponentenwerks in Salzgitter . . .

. . . was sicher hilft, Beschäftigung abzusichern.

 . . . während Daimler sich noch nicht festgelegt hat.

Die Fertigung von Komponenten fürs Elektroauto ist für die Beschäftigung in der Region sehr wichtig. Betriebsräte und IG Metall bemühen sich, der Automobilregion Stuttgart neue Perspektiven zu geben.

Die Autoindustrie hat sich in den vergangenen Jahren heftig über die hohen Tarifabschlüsse beklagt. Will sie überhaupt die heutigen Produktionsstrukturen mit großen Werken und starken Gewerkschaften in die neue Zeit übertragen?

Ich kann mir schon vorstellen, dass der eine oder andere im Management davon träumt, nun möglichst viel Wertschöpfung auszulagern. Doch dieser Traum kann schnell zum Albtraum werden. Denn wenn ein Rädchen ausfällt, kommt das gesamte Getriebe zum Stillstand. Wer so denkt, macht sich erpressbar. Die Branche konnte gerade beim Lieferstopp eines Zulieferers von VW erleben, was das bedeutet.

Die Batteriezellen werden ja hoch in automatisierten Verfahren hergestellt. Kann man sich davon überhaupt in nennenswertem Maß Arbeitsplätze versprechen?

Dies ist gewiss kein vollständiger Ersatz. Aber wenn wir nicht bald in Deutschland und Europa investieren, passiert uns mit der Elektromobilität das Gleiche wie seinerzeit mit der Fotovoltaik. Deutschland war Innovationsführer, doch die Arbeitsplätze entstanden dann woanders. Wenn uns in der Wertschöpfung ein wesentlicher Baustein fehlt, verlieren wir unseren Einfluss auf die technologische Entwicklung. Und das ist noch nicht die einzige Abhängigkeit, die uns droht.

Welche droht uns noch?

Für die Elektromobilität werden ganz andere Rohstoffe benötigt – etwa die Seltenen Erden, die nicht nur „selten“ heißen. Wenn die Wertschöpfung im Land bleibt, haben wir auch die Wiederverwertung dieser knappen Rohstoffe in Batteriezellen in der Hand. Das kann enorm helfen, unsere Abhängigkeit zu reduzieren.

Obwohl das Elektroauto Beschäftigung kosten wird, fordert die IG Metall, den Weg zu dieser Technologie zu beschleunigen. Haben Sie das Vertrauen in den Verbrennungsmotor verloren?

Keineswegs – wir werden den Diesel zumindest in Europa noch lange brauchen, schon wegen seiner niedrigen CO2-Werte. Bei der Entwicklung des Verbrennungsmotors bedeutet jedes Gramm Schadstoffeinsparung immer höhere Zusatzkosten. Beim Elektroauto wird die Entwicklung dagegen durch steigende Stückzahlen und sinkende Preise bestimmt. Wenn sich der Kunde dann mehrheitlich auch aus Kostengründen für Elektroantriebe entscheidet, müssen die Produkte und die Infrastruktur da sein. Und das kann schneller gehen als wir es uns heute vorstellen.

Zum Ansehensverlust des Verbrennungsmotors trägt die Diskussion um den Feinstaub bei, obwohl das Elektroauto mit seinen Reifen und Bremsen fast genauso viel davon produziert.

Diese Diskussion wird sehr eindimensional geführt. Wer die Belastung reduzieren will, hat dafür sehr viele Ansatzpunkte: Wirksame Verkehrsleitsysteme ebenso wie Straßenbeläge, die den Abrieb reduzieren, eine intelligentere Verteillogistik und die Feinstauberzeuger jenseits des Straßenverkehrs.

Heißt das, die vieldiskutierten Fahrverbote für Diesel ließen sich vermeiden?

Ja. Diesel mit Euro-6-Motor sind bei Schadstoff-Emissionen genauso gut unterwegs wie Benziner, stoßen aber deutlich weniger Kohlendioxid aus. Sinnvoller als Einfahrtsverbote wäre etwa dem Vorbild Hamburgs zu folgen, Omnibusse des Verkehrsverbunds grundsätzlich auf Elektroantrieb umzustellen. Man kann auch, mit entsprechenden Übergangszeiten, über eine „blaue“ Plakette nachdenken. Nicht weiter hilft faktenloser Populismus. Der gefährdet allein Beschäftigung.

Nicht nur die Antriebstechnologie, auch die Digitalisierung sorgt für einen durchgreifenden Wandel in der Autoindustrie. Wie wirkt es sich aus, wenn für Hersteller nicht mehr das Autoverkaufen im Mittelpunkt steht?

Wir werden solche Geschäftsmodelle brauchen, denn der Kunde will sie. Wenn ich in Stuttgart über eine App Mietauto, Taxi, Zug, Bus und Bahn beliebig kombiniere, ist das praktisch und spart viel Zeit. Das wird sich durchsetzen und die Frage ist nur, wer das Geschäft macht. Die Hersteller sind deshalb gut beraten, das selbst in die Hand zu nehmen.

Doch auch hier geht es um Arbeitsplätze.

Wenn Autos von vielen gemeinsam genutzt werden können, wird manch einer sein Auto abschaffen, und sei es der Zweit- oder Drittwagen. Auf der anderen Seite entstehen mit diesen Dienstleistungen neue Arbeitsplätze. Aber: Wo und zu welchen Bedingungen entstehen sie? Völlig schutzlose Arbeitsverhältnisse wie beim Taxidienst Uber sind keine Alternative und kommen nicht in Frage.

Für viele künftige Tätigkeiten werden ganz andere Qualifikationen benötigt als für die bisherigen. Sind wir darauf in Deutschland vorbereitet?

Nein, gewiss nicht ausreichend. In Zukunft werden sich viele im Laufe ihres Lebens beruflich komplett neu orientieren müssen. Wir brauchen belastbare Angebote, sich berufsbegleitend neu auszurichten. Dazu gehört Beratung, Zeit und Geld. Das kann den Menschen Unsicherheit abnehmen. Die Sicherheit, nicht nach unten zu fallen, wenn die bisherige Qualifikation nicht mehr gefragt ist, ist eine zwingende sozialstaatliche Flankierung des Strukturwandels. Betriebe, Tarifparteien und Politik sind hier gefordert. Statt zu gackern und schönzureden, müssen endlich Eier gelegt werden.