Uwe Schickedanz, Leiter der Niederlassung Stuttgart auf dem Schnarrenberg Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Schnee im Winter wird es in der Region Stuttgart bald kaum mehr geben. Dafür wird es im Sommer mal ganz heiß mit längerer Dürre, dann wieder sind heftige Regenfälle zu erwarten. Das sind die Prognosen von Uwe Schickedanz, Diplom-Meteorologe und Leiter der Niederlassung Stuttgart des Deutschen Wetterdienstes.

Stuttgart - Herr Schickedanz, derzeit kann es ja nur eine Frage geben, die Sie quasi nonstop beantworten müssen.
Klar, ich weiß, was Sie meinen: Gibt’s dieses Jahr endlich weiße Weihnachten?
Und? Wie sind die Aussichten?
Schlecht. Aber es ist ja keine Überraschung und schon seit einigen Tagen absehbar, dass weiße Weihnachten dieses Jahr nicht nur hier in der Gegend ausfallen werden.
Wie ja eigentlich immer in den vergangenen Jahren, so jedenfalls das subjektive Gefühl vieler Stuttgarter.
Gut, letztes Jahr hatten wir keine weiße Pracht, 2012 nicht, 2011 auch nicht. 2010 gab es aber sehr viel Schnee.
Gut, also eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent, jedes vierte Weihnachten ist somit weiß.
So einfach ist die Rechnung natürlich nicht. Zudem würde ich die Häufigkeit unten am Neckar allenfalls auf zehn Prozent beziffern, auf den Fildern aber immerhin auf 20 bis maximal 25 Prozent. Aber mit den Erinnerungen an früher ist es ja auch so eine Sache. Da geht es nicht nur um meteorologische, sondern auch um psychologische Randbedingungen. Wenn wir alte Fotoalben durchblättern, sehen wir uns als Kinder oft mit heute altertümlich anmutenden Skiern daheim am Buckel im Schnee. Aber solche Fotos macht man ja nur, wenn richtig Schnee gefallen ist – und nicht bei dem aktuellen Schmuddelwetter draußen. Da bleibt ein weißer Winter, der vielleicht nur ein paar Tage gedauert hat, deutlich ausgeprägter in Erinnerung. Und als Kind kommen einem vielleicht zehn oder 20 Zentimeter Schnee sehr hoch vor – für einen Erwachsenen ist das nur eine dünne Schneedecke.
Und in Zukunft: Werden wir bald ganz auf weiße Weihnachten verzichten müssen?
Das kann durchaus sein. Die Schneedeckenlage von 1961 bis 1990 lag in Stuttgart, als es oft auch noch sehr kalt war, im Durchschnitt bei sieben Tagen. Danach ist der Durchschnitt im Dezember bei vier Tagen. Weltweit liegt in den letzten 100 Jahren, also auch in Europa und Süddeutschland, der Temperaturanstieg bei 0,5 bis 1 Grad Celsius. Der stärkste Anstieg war zwischen den Jahren 1970 und 2000. Seitdem hat es eine Stagnation gegeben, aber es wird demnächst zügig weiter aufwärts gehen – in einer Geschwindigkeit, die wir bisher nicht kannten. Die Berechnungen gehen bis zum Ende des Jahrhunderts von 2 bis 5 Grad Celsius zusätzlich aus, auch bei uns. Das hat natürlich Auswirkungen auf den Schneefall, vor allem in den tieferen Lagen. Bis zum Ende des Jahrhunderts wird es in Mannheim oder Karlsruhe kaum mehr schneien. Wir haben im Winter zwar eine Erhöhung der Niederschlagsrate, aber als Regen, nicht als Schnee.
Keine guten Aussichten für die Liftbetreiber auch hier in der Gegend.
Den Skilift auf der Schwäbischen Alb kann man auf absehbare Zeit vergessen. Das kann einer noch als Hobby machen, wenn er Lust hat auf maximal fünf Tage Betrieb im Winter. Auch im Schwarzwald wird es schwieriger. Am Feldberg behilft man sich oft mit Kunstschnee, aber in diesem Winter hat es auch noch nicht geklappt, weil es zu warm ist. Und in den Alpen wird unterhalb von 1500 Metern mit Wintersport wenig gehen. Dabei lebt der Wintersporttourismus ja von der Planbarkeit – aber es wird schwieriger.
Kennen Sie Rudi Carrell?
Na klar: „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“
Und wann?
Durch den Klimawandel wird es auch im Sommer Änderungen geben. Die Grenze des Eises verschiebt sich nach Norden, temperaturtechnisch wandern wir nach Süden. Das bedeutet aber nicht, dass der Sommer insgesamt sommerlicher als bisher wird. Die Niederschlagsmenge bleibt den Sommer über gesehen gleich, aber die Heftigkeit an Starkregenfällen nimmt zu – genauso die Häufigkeit langer Trockenphasen. In meinen Vorträgen etwa an Volkshochschulen vergleiche ich das gerne mit einer Ketchup-Flasche: Erst kommt nix, und dann blubbt gleich der halbe Flascheninhalt raus. Also, die Extreme im Sommer werden deutlicher – mal sehr große Niederschlagsmengen, mal längere Dürrephasen, wo man bewässern muss. Wir arbeiten ja jetzt schon eng mit dem Katastrophenschutz und den Hydrologen des Hochwassermanagements zusammen. Durch präzise Vorhersagen kann man rechtzeitig reagieren und mögliche Schäden minimieren.
Die Landwirte werden diese Veränderungen aber spüren.
Durchaus. Etwa der Weinbau. Da gibt es Prognosen, dass es hierzulande für den Riesling nach 2050 schwer wird. Die Rebsorte braucht Regen und kühle Nächte, das wird immer komplizierter. Dafür sind die Bedingungen dann für die Burgundersorten oder spanischen Sorten bei uns besser. Dem Spätburgunder hier im Land kommt der Klimawandel entgegen.
Was sagt denn der 14-Tages-Trend, den man bei Claudia Kleinert in der Vorhersage der „Tagesthemen“ hört? Wie wird das Wetter über Silvester hinaus?
Mit solchen Prognosen sind wir eher zurückhaltend. Mit den Simulationsmodellen kann man aus meiner Sicht bis zu fünf Tage, mit Glück auch bis zu sieben Tage seriös vorhersagen. Dann ist die Grenze erreicht. Alles, was darüber hinaus geht, sollte man mit Vorsicht genießen.
Aber der Eindruck, dass der Wetterbericht, anders als noch vor einiger Zeit, in der Regel ziemlich präzise ist, täuscht doch nicht?
Im Vergleich zu den Simulationen vor 20 Jahren sind wir natürlich deutlich weiter. Damals konnten die Rechner noch nicht so viele Eingangsdaten verarbeiten und so engmaschige Simulationen berechnen, sonst hätten sie tagelang gebraucht. Durch die enormen Rechnerkapazitäten, die mit gigantischen Datenmengen gefüttert werden, geht das alles viel schneller und mit einer großen Genauigkeit.
Na, wenn der Computer dann alles macht, braucht man bald keine Meteorologen mehr?
Das wird nicht kommen. Die Rechenergebnisse müssen ja auch interpretiert werden, vor allem aus regionaler Sicht. Insbesondere der Katastrophenschutz, das Lagezentrum des Landes und die Hochwasservorhersagezentrale sind angewiesen auf die regionale Kompetenz – gerade wenn die Extremwetterlagen noch zunehmen. Das Berufsbild wird komplexer, aber überflüssig wird der Meteorologe auf keinen Fall.
Haben Sie eine Lieblingswolke, ein Lieblingswetter?
Spannender ist es natürlich für den Meteorologen, wenn sich etwas tut, Unwetter, Hagel, steigende Flusspegel. Aber wir sind ganz froh, wenn es anschließend wieder drei Wochen Hochdrucklage zum Durchschnaufen gibt. Persönlich mag ich es, wenn es im Winter kalt ist, Schnee liegt – und dann noch die Sonne scheint. Bei den Wolken finde ich die sommerlichen Quellwolken bei blauem Himmel recht ästhetisch – nur blauer Himmel ohne jede Wolke kann auch langweilig sein.
Sind Sie selbst denn Wintersportler?
Ja, ich fahre Ski. In einigen Wochen ist der Familienurlaub im Kleinwalsertal vorgesehen – ich hoffe, dass bis Februar da in Sachen Schnee noch was passiert und wir auch tatsächlich die Pisten hinunterwedeln können.