Ludwig Mittelhammer (rechts) und Jonathan Ware bei dem Wettbewerb an der Hugo-Wolf-Akadmie in Stuttgart Foto: Rainer Pfisterer

Von wegen Nischenkunst: In der zweiten Runde des Internationalen Liedkunst-Wettbewerbs, der bis Sonntag in der Stuttgarter Musikhochschule stattfindet, zeigten junge Sänger und Pianisten nicht nur höchstes Niveau, sondern auch ansteckende Begeisterung. Das Lied lebt!

Von wegen Nischenkunst: In der zweiten Runde des Internationalen Liedkunst-Wettbewerbs, der bis Sonntag in der Stuttgarter Musikhochschule stattfindet, zeigten junge Sänger und Pianisten höchstes Niveau und ansteckende Begeisterung.

Stuttgart - Nein, das ging gar nicht. Kurt Widmer, Sänger renommierter Gesangspädagoge und jetzt auch Juror beim Wettbewerb für Liedkunst der Hugo-Wolf-Akademie, schüttelt den Kopf: So wie die junge Sängerin eben könne man doch nicht auftreten; die sei ja hereingekommen wie eine Putzfrau. Dann aber dieser Bariton: Wie selbstbewusst der doch war und wie präsent! „Es gibt halt verschiedene Blutgruppen“, sagt Widmer augenzwinkernd.

Mitjurorin Birgid Steinberger, Sopranistin, ehemalige Schülerin Kurt Widmers und selbst einmal Preisträgerin des Wettbewerbs, stimmt ihrem Lehrer zu: Als Sänger müsse man erfüllt sein von der Musik. Die Poesie müsse man in sich tragen. Und brennen müsse man für die Kunst.

Nimmt man Widmer und Steinberger als Vater und Tochter, dann präsentieren sich auf der Bühne die Enkel – und viele von ihnen brennen lichterloh. Bei der zweiten Runde des international renommierten Wettbewerbs im Konzertsaal der Musikhochschule liegt Spannung in der Luft. Die entsteht aber nicht nur, weil am Ende dieses Donnerstags entschieden wird, welches der 13 Duos das Finale erreicht hat, sondern auch wegen großer Gefühle und packender Szenen.

Woran erkennt man ein gutes Liedduo? „Es muss eine Ausstrahlung haben“, sagt Kurt Widmer. „Die zentrale Frage ist, ob ich den Musikern zuhören will oder ob ich es muss.“

Bei dem Bariton Ludwig Mittelhammer und seinem Klavierpartner Jonathan Ware ist die Sache eindeutig: Man will. Schon als das Duo auf die Bühne kommt, ist alles Szene, und das Lied wird bei den zwei ausgesprochen intensiv, ja theatralisch gestaltenden Künstlern ganz groß: fast ein Musiktheater. In ihrer Lust an wirkungsvollen Kontrasten finden Sänger und Pianist zusammen, gemeinsam organisieren das zerbrechliche Beziehungsgeflecht zwischen Text und Musik, welches das Lied so schwierig macht und gleichzeitig so beglückend reich. Mittelhammer durchlebt die Empfindungen der Lieder singend, Ware durchlebt sie am Klavier. Hätte der Pianist nur begleitet, hätte das klingende Ergebnis diese Intensität nicht erreicht. „Ein Duo muss im Puls sein“, formuliert das Kurt Widmer. „Es muss“, ergänzt Birgid Steinberger, „ein gemeinsamer Atem da sein.“ So wie hier. Das Publikum ist gebannt, ganz still, man könnte die sprichwörtliche Nadel fallen hören. Und als Mittelhammer dann auch noch Hugo Wolfs „Rattenfänger“ gibt, hat er wohl den Letzten im Saal noch für sich gewonnen.

Ja, Liedsänger müssen auch Rattenfänger sein, das hat nicht nur Hugo Wolf so gesehen, und die besten Rattenfänger sind jene, denen man folgt, ohne dass man die Verführung überhaupt wahrnimmt. So ist das zum Beispiel bei der australischen Sopranistin Emma Moore, die ihre deutsche Klavierpartnerin Klara Hornig mitbringt: Kaum tritt sie auf, ist sie ganz da, ganz in der Musik und ganz in der Empfindung, sehr direkt und voller kräftiger Farben.

Etwas verhaltener nähert sich die deutsche Mezzosopranistin Martha Jordan dem Publikum und Liedern von Schubert, Wolf, Loewe. Weijie Feng am Klavier ist ihrer Partnerin nicht immer ganz nahe. Hinzu kommt, dass sie außerdem nicht alle der vielen Töne genau trifft und erklingen lässt. Auch die Sängerin hat in der Höhe ein paar Töne, die sich nicht ganz mühelos erreicht.

Das ist aber weit weniger entscheidend als die Frage, ob ein Sänger etwas zu sagen hat. Sie habe es sogar schon erlebt, so Steinberger, dass ein Sänger zwar gut gesprochen habe – und trotzdem habe man kein Wort verstanden.

Der Wettbewerb hat höchstes Niveau. Davon zeugt schon die Tatsache, dass von den 13 Duos der zweiten Runde acht ins Finale einziehen. Der Rattenfänger-Bariton ist dabei. Außerdem die australische Sopranistin, die deutsche Mezzosopranistin.

Und eine englische Sopranistin, die erst mit Beginn der Musik auf der Bühne zu leben beginnt. Carine Tinney hat etwas anrührend Naives, Zerbrechliches in ihrer Darstellung, und in ihrer Stimme. Fein hat sie mit ihrem deutschen Klavierpartner Thomas Wypior Details etwa in Hugo Wolfs „An eine Christblume I“ ausgearbeitet, und als sie am Ende in Amy Beachs „Ah, Love, But a Day“ zu herrlichen Piano-Tönen gelangt ist, entfährt einer Dame im Publikum ein ergriffenes „Schön!“

Wie recht sie hat! Aber wie schwierig ist es auch, das Schöne zu vergleichen. Bei dieser Talentshow wird sich die Jury schwertun – vor allem bei der Auswahl derer, die diesmal noch keine Preisträger sind.

Dabei haben auch sie gewonnen. Sie haben konzentriert Neues erarbeitet, das sie dann vor Publikum aufführen durften. Angesichts der spärlichen Auftrittsmöglichkeiten von Liedersängern ist schon dies ein Erfolg. Außerdem haben alle Duos bewiesen, dass das oft schon totgesagte Kunstlied noch immer ziemlich lebendig ist. Wenn sich so viele junge Musiker auf so hohem Niveau und mit so hoher Intensität mit dieser Kunstform beschäftigen, dann lässt das hoffen.

Warum sich junge Musiker mit dem Lied beschäftigen, kann man im Foyer der Hochschule lesen. Dort hat die Hugo-Wolf-Akademie Steckbriefe der Duos aufgehängt. Auf die Frage, was ihnen Liedgesang bedeute, gibt es so viele Antworten wie Künstler. Die kürzeste besteht aus nur drei Worten und kommt von dem Bassbariton Kresimir Strazanak und seinem Klavierpartner Mihaly Zeke: „Ehrlichkeit und Auto-Psychoanalyse“. Na dann: Ab zur Therapie!