Kontrahenten Thomas Strobl (links) und Guido Wolf: Beide wollen von ihrer Partei als Spitzenkandidat nominiert werden für die Foto: dpa

Nur einer kann gewinnen: Thomas Strobl (54) oder Guido Wolf (52). Oder ein dritter Unbekannter. Eine Momentaufnahme des Rennens um die CDU- Spitzenkandidatur für die Wahl 2016.

Stuttgart - Baden-Württemberg gilt Naturschützern und Grünen als „Wolfserwartungsland“. „Grüne rechnen mit baldigem Auftauchen des Wolfs in Baden-Württemberg“, schrieb der Grünen-Landtagsabgeordnete Markus Rösler im April und fügte hinzu: „Der Wolf ist wahrscheinlich schon im Ländle – nur unentdeckt.“

Letzteres kann man von seinem zweibeinigen Namensvetter nicht behaupten. Denn Guido Wolf, der Landtagspräsident, ist beim besten Willen nicht zu übersehen. Er will wahrgenommen und beschnuppert werden. Das ist Teil seines Planes, das Rennen um die CDU-Spitzenkandidatur zu gewinnen und 2016 nächster Ministerpräsident zu werden. Deshalb durchstreift er das Land in alle Richtungen. Baden-Württemberg, entnimmt man seinem Terminplaner, ist „Wolfs Sommerrevier“.

Zuletzt ward er am Montag in einem Wald beim 7200-Einwohner-Ort Illingen gesehen, der zum Naturpark Stromberg-Heuchelberg gehört. Unweit von dort – dieses Wissen verdankt man wiederum dem Grünen-Abgeordneten Rösler – wurde im Jahr 1847 der letzte Wolf Württembergs erlegt . . .

Jetzt ist der Wolf wieder da.

Bei Guido Wolf darf man das sagen, denn er selbst spielt gerne und viel mit seinem Namen. Ein Bild auf seiner Internetseite zeigt den 52-Jährigen, der verheiratet und kinderlos ist, mit Kindern, die lustige „Wolfs-Masken“ tragen. Darüber prangt der Slogan: „Ein Wolf, ein Wort.“

Solche Werbegags können nicht schaden. Tatsächlich dürfte Wolfs Bekanntheitsgrad immer noch unter dem seines Mitbewerbers, des CDU-Landesvorsitzenden Thomas Strobl, liegen. Das möchte Wolf möglichst schnell ändern, denn Ende des Jahres entscheiden die knapp 69 000 CDU-Mitglieder über den Herausforderer des populären Grünen-Ministerpräsidenten Wilfried Kretschmann. Die Frage lautet: Strobl oder Wolf? – falls bis zum Bewerbungsschluss am 17. September nicht noch ein weiterer Kandidat oder eine Kandidatin auftaucht.

Das erklärt auch, warum Wolf am Montagnachmittag im Illinger Kletterwald – einer Einladung der CDU-Landtagsabgeordneten Victoria Schmid folgend – mit Mitgliedern von CDU-Ortsvereinen in fünf Meter Höhe herumturnt. Das Klettern im Waldparcours gerät zwangsläufig zur Hängepartie. Doch es entstehen dabei schöne Bilder – fotografisch wie sprachlich. Als ihn eine Journalistin der Lokalzeitung „Mühlacker Tagblatt“ auf dem Weg zur ersten Kletterstation fragt, ob es Parallelen zur Politik gebe, antwortet der mit Seilen und Karabinern behängte Kandidat schlagfertig: „Beides ist machbar.“ Wichtig sei es jedoch, einen Schritt nach dem anderen zu tun. Kurz darauf hangelt sich Wolf von Baum zu Baum. „Net abstürzen, Guido!“, ruft Parteifreundin Schmid von unten. Und jemand anderes fragt scherzhaft: Können wir ein Foto kopfüber machen?“ Wolf grinst.

Mit ihm ist offenbar gut lachen. Umgänglich tritt er auf und bürgernah. Ein freundlicher Wolf. Als ehemaliger Landrat von Tuttlingen weiß er, wie wichtig der Sympathiefaktor für einen Politiker ist.

Ein Schaf im Wolfspelz ist er deshalb aber nicht. Vergangene Woche fletschte er richtiggehend die Zähne. Wolf rügte die Landesregierung für ihre Bildungspolitik und tat kund, was er besser machen würde, nämlich die Realschulen stärken. Die anschließende Schlagzeile, Wolf wolle das Bildungssystem „völlig umkrempeln“, empfand er als unzutreffend. Sie störte ihn allerdings auch nicht: „Immerhin wurde dadurch eine notwendige Diskussion angestoßen.“

Diskutiert wird jetzt aber auch darüber, ob solche Äußerungen mit seinem überparteilichen Amt als Landtagspräsident vereinbar sind. Wolf bejaht das. Er betrachtet sein Amt nicht als eine Art politisches Austragsstübchen, wie mancher seiner Vorgänger, sondern will darin Akzente setzen. „Ich stehe politisch voll im Saft“, sagt Wolf. Das heißt, er will mitsprechen. Erst recht, seit er Anfang April seine Bewerbung für die CDU-Spitzenkandidatur bekanntgegeben hat. Sollte er gewinnen, will er sein Präsidentenamt aufgeben, um mutmaßlich eine führende Stelle in der CDU einzunehmen. Bestärkt fühlt sich Wolf durch den Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis. Der stellte fest, Wolf müsse trotz seines Amtes seine politischen Positionen darlegen können, „sonst wird er zum Eunuchen“.

Diese Gefahr besteht nicht – zumal Wolf auch in die CDU hinein eine kantige Botschaft sendete. Sie müsse von einer „Allerweltspartei zu einer Mittelstandspartei werden“, forderte er, was den Landeschef der „Allerweltspartei“ wenig erfreute. Strobl konterte knapp: „Wir sind keine Klientelpartei. Die vielen Mitglieder sind der wahre Schatz der Volkspartei CDU.“

Um eine Antwort ist Wolf nicht verlegen. Klar sei die CDU eine Volkspartei, sagt er, nachdem er unversehrt aus dem Kletterwald zurückgekehrt ist. Aber an ihrem Wirtschaftsprofil könne man schon etwas verbessern. „Wenn Sie als CDUler in Mittelstandskreisen unterwegs sind, spüren Sie, wie groß die Verärgerung ist.“

Dass sein Vorpreschen in der Sommerpause kalkuliert oder gar gegen Strobl gerichtet war, bestreitet Wolf energisch. Die Leute wollten wissen, wie er denke. Diesen Gefallen tut er ihnen gerne – „ohne Weichspüler zu benutzen, aber auch ohne zu polarisieren“. Dazu passt ein früherer Ausspruch Wolfs: „Ich setze weniger auf Kraftmeierei; ich bin lieber Kraftpaket.“

Das sollte er auch sein, denn sein Mitbewerber Strobl – ebenfalls verheiratet (mit der ältesten Tochter von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble), ebenfalls kinderlos, ist ein ausgewiesener Marathonläufer. Im wirklichen wie im übertragenen Sinn. Kein aktives Mitglied der Landes-CDU kann mehr Erfahrung vorweisen: Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender der CDU-Landesgruppe, CDU-Generalsekretär – erst unter Günther Oettinger, dann unter Stefan Mappus, seit 2011 Landesvorsitzender. Ein Politprofi, der für sich in Anspruch nehmen kann, die Südwest-CDU nach dem historischen Machtverlust zusammengehalten und der Partei einige Anstöße zur Erneuerung gegeben zu haben. Als Dauerläufer weiß er, wie man Kräfte einteilt und zum richtigen Zeitpunkt mobilisiert. Davon zeugte sein Schachzug, die CDU-Landtagsabgeordnete Karin Schütz zur Generalsekretärin zu machen und damit einen Fuß in die CDU-Landtagsfraktion zu bringen, von der es heißt – zu Recht oder zu Unrecht –, sie stehe überwiegend hinter Wolf. Einen Zeitungskollegen veranlasste dies zu der prägnanten Formulierung: „Strobl macht sich hübsch.“

Gestärkt nach Wanderferien in Österreich und Familienurlaub an der Nordsee, ist der CDU-Landeschef ebenfalls viel im Land unterwegs. „Nichts Ungewöhnliches“, sagt Strobl. Seit vielen Jahren pflege er den Kontakt zu Land, Leuten und CDU-Mitgliedern intensiv. Er sucht das Gespräch. Auch an Orten, wo es mit einem schnellen Hallo nicht getan ist. Jüngst erst besuchte Strobl die Palliativstation der Universitätsklinik Freiburg und das Geriatrische Zentrum in Karlsruhe und unterhielt sich dort mit Bewohnern. Strobl ließ sich auf diese Welt ein. Beim Abschied sagte eine Betreuerin anerkennend zu ihm: „Sie können morgen bei uns anfangen.“

Das häufig vorgetragene Argument, als „Berliner“ sei er zu weit weg, hält er für durchsichtig und unbegründet: „Ich bin kein Berliner, sondern in Heilbronn am Neckar geboren, aufgewachsen, habe in Heidelberg studiert und bin Baden-Württemberger durch und durch.“ In Heilbronn sitzt er übrigens seit 1989 im Gemeinderat. Bürgernah ist also auch er.

Und offenbar die Ruhe in Person. Wolfs umstrittene Äußerungen sieht Strobl „völlig gelassen und entspannt“ – um sogleich eigene Akzente zu setzen: „Ich werde das Vertrauen in die Hände der Mitglieder zurücklegen“, kündigt er für den Fall an, dass er Spitzenkandidat wird. Erstmalig würde die Parteibasis dann mit der Erarbeitung eines Wahl- und Regierungsprogramms beauftragt werden. Ein echtes Zuckerle.

Beide betonen den Wert der Fairness. „Ich stehe für einen fairen Wettbewerb. Ansonsten schadet man nur der Partei und auch sich selbst“, sagt Strobl. So ähnlich formuliert es auch Wolf. Er verstehe sich „als Teil des Ganzen“, sagt er. Alles andere wäre auch verwunderlich. Denn bei vielen CDU-Mitgliedern spukt immer noch das Kandidatenduell zwischen Günther Oettinger und Annette Schavan um die Nachfolge von Erwin Teufel aus dem Jahr 2004 im Hinterkopf herum. Es war von tiefen Verletzungen begleitet.

Das soll diesmal unbedingt verhindert werden. „Sie werden über Herrn Wolf von mir nichts Schlechtes hören“, versicherte Strobl bei seiner Vorstellung Ende Mai. Nur etwas Süffisanz ist erlaubt. Auf die Frage eines Journalisten, was er von seinem Mitbewerber halte, hatte Strobl zuvor geantwortet: Wolf verfüge über Verwaltungserfahrung. „Er schreibt auch Gedichte. Schöne Gedichte. Dieses Talent geht mir ab.“

Ein heikler Punkt. Viele CDU-Mitglieder fragen sich nämlich: Kann der Landtagspräsident nur gefällig reden und reimen, oder kann er auch Politik? Wen wundert’s, dass Wolf emsig an seinem Profil arbeitet und dafür gerne Kritik in Kauf nimmt: „Wer sich anschickt, Ministerpräsident zu werden, muss mit Gegenwind zurechtkommen“, sagt er in seiner spitzbübischen Art.

Wie’s am Ende ausgeht? Größere Beträge würde derzeit wohl niemand verwetten. Beide Kandidaten berichten von regem Zuspruch. „Die Partei sortiert sich gerade“, sagt eine Mandatsträgerin. Kraftpaket oder Marathonmann? „Ergebnis völlig offen.“