Messstation am Stuttgarter Neckartor: Die Werte werden deutlich besser – bei Feinstaub wie bei Stickoxiden. Foto: dpa

Dreckige Abgase haben Grünen und Umweltverbänden zu neuer Größe verholfen. Was passiert mit ihnen, wenn die Luft sauber wird?

Stuttgart -

Auf diese Nachricht hat die Region lange gewartet: Die Schadstoffbelastung am Stuttgarter Neckartor ist im vergangenen Jahr so stark gefallen, dass es nach langen Jahren nicht mehr Deutschlands dreckigste Kreuzung ist. Auch die permanente Überschreitung sämtlicher EU-Grenzwerte hat ein Ende gefunden. Weil sich bei den Stickoxiden ein seit drei Jahren anhaltender Trend heftig verstärkt hat, deutet alles darauf hin, dass ein grundlegender Wandel zum Besseren im Gang ist.

Doch die öffentliche Freude über diese markante Entwicklung hält sich in Grenzen. Wer im Online-Angebot der Stadt Stuttgart nach Informationen sucht, muss sich durch ein halbes Dutzend Meldungen über Feinstaubalarme arbeiten, um zu einer unauffälligen Nachricht auf Platz 31 vorzustoßen. Auch die Landesregierung, die zuvor vehement auf Fahrverbote und dann auf die Nachrüstung von Dieselautos gedrängt hatte, verhält sich fast reglos, ebenso die ansonsten stets alarmbereiten Umweltorganisationen.

Schimpfen als Teil des Lebensgefühls

Die Härte, mit der Stadt und Land mit der Autoindustrie wegen der Diesel-Verfehlungen ins Gericht gehen, steht im krassen Gegensatz zu der Gleichgültigkeit, mit der sie nun den Verbesserungen bei den vor allem aus dem Dieselmotor stammenden Stickoxiden begegnen. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, das Schimpfen auf die Autoindustrie sei im wohlstandsgesättigten Südwesten zu einem Teil des Lebensgefühls geworden, dem man nicht so einfach entsagen will.

Auf diese Befindlichkeit lässt sich gut aufbauen in einem Bundesland, das einst durch Stuttgart 21 fast zerrissen wurde. Während die S21-Demonstrationen heute nur noch etwas für Hartgesottene sind, erfreuen sich die Kundgebungen gegen den Feinstaub lebhaften Interesses. Für die Grünen, die in Stadt und Land durchregieren und vor allem die Verkehrs- und Umweltpolitik fest im Griff haben, ist das ein Segen. Bei S21 mussten sie sich permanent selbst verleugnen – mit den Luftschadstoffen ist ihnen endlich ein Thema zugeflogen, das ihnen wie auf den Leib geschneidert ist und das seit dem Dieselskandal eine ungeheure Mobilisierungskraft entfaltet. Ein Geschenk des Himmels, produziert von der Autoindustrie.

Dreckige Luft bringt Geld und Stimmen

Doch das verlegene Wegschauen angesichts guter Nachrichten zeigt zugleich die Kehrseite dieses politischen Geschäftsmodells. Denn einer protestgetriebenen Umweltbewegung kann nichts Schlimmeres passieren als eine saubere Umwelt. Wogegen soll sie die Menschen noch mobilisieren, wenn die Probleme verschwinden? Und bei welchen Sündern können Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe dann noch ihre Abmahngebühren und Vertragsstrafen einfordern? Umweltpolitik und Umweltorganisationen leben in einer Symbiose, die nur funktioniert, solange es einen gemeinsamen Sündenbock gibt. Die Erfüllung ihrer Wünsche würde dieser Gemeinschaft die Lebensgrundlage entziehen – politisch, finanziell und ideell.

Nun ist am Neckartor beileibe noch nicht alles in Ordnung. Nach wie vor werden dort Grenzwerte überschritten. Wenn die Autobranche aber wirklich, wie stets behauptet, die Hauptschuld an der Luftverschmutzung trägt, muss man ihr nun auch die substanzielle Verbesserung zugute halten. Das bringt manch ein Weltbild ins Wanken. Doch die Zeiten ändern sich. Während die Autohersteller sich bewegen, wirkt die Umweltbewegung angesichts der Entwicklung wie versteinert. Es fällt ihr sichtlich schwer, sich von den Zuständen zu verabschieden, die sie seit Jahren anprangert und denen sie zugleich ihre heutige Bedeutung verdankt.

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de