Die melancholische Nummer mit dem kleinsten Elefantender Welt, die der russischen Clown Pavel Boyarinov zeigte, ist mehrfach sehenswert. Foto: Lichtgut/Verena Ecker

Bei der Premiere des Weltweihnachtscircus auf dem Cannstatter Wasen hat sich gezeigt: Die Inszenierung startet zurückhaltend, nimmt nach der Pause aber gewaltig an Tempo auf. Und die Ersatz-Clowns sind alles andere als eine Notlösung.

Stuttgart - Alles wie immer. Von hoch über dem Manegeneingang lässt Kapellmeister Markus Jaichner sein Zirkusorchester besinnliche Vorweihnachtsklänge ins Zelt fächern. Dann die erste Ansage: „Hochverehrtes Publikum.“ Alles wie immer? Nicht ganz, heuer klingt der Weltweihnachtscircus schwäbisch. Martin Bukovsek, unter dem Künstlernamen Carismo bekannter Stuttgarter Jongleur und Akrobat, soll endgültig die Lücke schließen, die der im Sommer 2014 unerwartet verstorbene, langjährige Conférencier Peter Goesmann hinterlassen hat. Ein Stuttgarter präsentiert den Stuttgarter Weltweihnachtscircus. Wie charmant – ja und nein. Dazu mehr an anderer Stelle.

In Gegensatz zu früheren Jahren hat sich Regisseur Patrick Rosseell eher für einen gemächlichen Start entschieden. Ein gutes Dutzend junger Chinesen bieten fraglos gut choreografierte Lasso-Akrobatik auf Spitzenniveau. Doch der Funke will nicht recht aufs Publikum überspringen. Danach absolviert Alex Michael perfekt und ungesichert seinen waghalsigen Part am Trapez. Natürlich reißt – als einstudierter Schreckmoment – eine Fußschlaufe. Erst mit Comedy-Akrobat Costin Bellu gewinnt die Show an Fahrt. Die perfekt getimte Kombination von Salti und Blödsinn auf dem Trampolin kommt beim Publikum an. Danach folgt klassische Zirkuskunst: Pferdeakrobatik der Familie Knie-Errani vom Schweizer Nationalzirkus Knie, wobei Töchterchen Chanel (5) nicht nur für den Goldigkeitsfaktor sorgt, sondern in Stuttgart die Jockeynummer erstmals akrobatisch bereichert. Die drei Damen des Trios Bellissimo verknoten sich in einer Art, dass einem schwindelig wird. Jonathan Morin und Marie-Eve Bisson aus Kanada zelebrieren am Crosswheel, zwei im 90-Grad-Winkel rotierende Reifen, unterm Châpiteau ein riskant-leidenschaftliches Liebesspiel. Die Knies zeigen eine Variation ihrer Tierdressur mit Pferden, Zebras, Lamas und Kamelen.

Betörendes Akrobatik-Ballett aus China

Als Höhepunkt vor der Pause empfinden viele Vasily Timoschenko und seine Seelöwen. Selbst eine Besucherin, die Tierdressuren nicht so gerne sieht, ist begeistert. Timoschenko nimmt sich stets höflich lächelnd zurück und führt die Tiere nicht vor. Es wirkt, als hätten die Seelöwen Spaß daran, mit ihrem Lehrer Schabernack zu treiben. Tierschützer werden dem widersprechen.

Vor dem Pausengong müssen noch einmal die Lasso-Künstler ran, diesmal ohne Lasso, aber mit mehr Emotion. An Tschaikowskys „Schwanensee“ angelehnt schickt die Gruppe Xinjiang das Publikum mit einem betörenden Akrobatik-Ballett zum Verschnaufen. Fehlt der Clown: Van der Meijden musste für den wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch aus dem Programm genommenen David Larible kurzfristig Ersatz besorgen. Dank der guten Kontakte des Zirkus-Impresarios geriet die Suche leichter als gedacht. Ein Star wie Bello Nock aus den USA, 2012 und 2015 im Weltweihnachtscircus, ließ gar anfragen, ob er helfen könne. Engagiert hat van der Meijden schließlich Housch-ma-Housch, den Star aus dem Pariser Lido, den am 15. Dezember das Komiker-Duo Frères Taquin ablöst, und den großen russischen Clown Pavel Boyarinov. Seine melancholische Nummer mit dem kleinsten Elefanten der Welt ist mehrfach sehenswert. Wer sie nicht kennt, wird sich wundern.

Nach der Pause steigt das Tempo

Im zweiten Teil steigert Regisseur Rosseell das Tempo. Valentina Kulkova und sechs ansehnliche junge Damen beweisen, dass eine Djigittennummer nicht zwingend Männersache sein muss. Beim Ritt durch die Manege können es die Frauen in Sachen Waghalsigkeit jederzeit mit ihren Vorbildern, den Kosaken, aufnehmen. Hat vor der Pause das tänzerische Element dominiert, so setzt Rosseell in Abschnitt zwei mehr auf reine Akrobatik. Shirley Larible, trotz der Ausbootung ihres Vater im Programm, das in Stuttgart bekannte Duo Kvas – der Kopfstand auf dem Kopf des Partners lässt das Zelt toben –, Skating Flash mit Rollschuh-Action und der nordkoreanische Nationalzirkus mit Reck und russischer Schaukel bieten nicht Alltägliches, was für den Weltweihnachtscircus aber seit fast einem Vierteljahrhundert Standard ist. Dazwischen liefert Housch-ma-Housch (Lieblingswort „kaputt“) zwei knorrige Nummern, einmal mit, einmal ohne Publikumsbeteiligung.

Die Tango-Jonglage von Menno und Emily van Dyke sowie Hundelehrer Wolfgang Lauenburger komplettieren das Programm. Letzterer versprüht mit seinen acht Vierbeinern so viel gute Laune, dass selbst Hundeskeptiker für kurze Zeit zu Hundefreunden werden. War noch die Sache mit dem Conférencier. Martin Bukovsek merkt man an, dass er kein gelernter Moderator ist. Schwäbischer Charme und internationale Spitzenartistik finden bei der Premiere noch nicht so recht zusammen. Bis zum 8. Januar lässt sich daran aber noch feilen.