Zwar sind in Deutschland allein im Jahr 2015 rund 1,2 Millionen Hörgeräte verkauft worden. Doch Experten bezweifeln, dass diese auch von jedem wirklich benutzt werden. Foto: dpa

Viele Bundesbürger hören schlecht – tun aber nichts dagegen. Das hat Folgen, warnen Experten: Denn je länger die Schwerhörigkeit besteht, desto mehr verlernt das Gehirn die Schallinformationen zu verarbeiten. Wie das zu vermeiden ist, erklärt ein Stuttgarter HNO-Experte.

Stuttgart - Der Knopf im Ohr ist vielen unangenehm. Sie nehmen lieber in Kauf, schlechter zu hören, als ein Hörgerät zu tragen. Zumindest verdeutlicht dies die Umfrage der Hear the World Foundation, einer gemeinnützigen Organisation, die sich weltweit für Hörgeschädigte einsetzt, und nun zum Welttag des Hörens veröffentlicht wurde: Demnach hat mehr als jeder Zweite das Gefühl, schlecht zu hören. Doch nur 16 Prozent der befragten Bundesbürger, die von sich sagen, sie hören schlecht, tragen auch ein Hörgerät. Der Rest, so heißt es, wolle die Schwäche nicht so preisgeben.

Das Alter ist der Hauptgrund für eine Schwerhörigkeit

Dabei bleibt es im Lauf des Lebens nicht aus, dass das Gehör nicht mehr jedes gesprochene Wort oder Vogelzwitschern ausmachen können. Experten wie Assen Koitschev, leitender Oberarzt in der HNO-Klinik des Klinikums Stuttgart benennen das Altern als den Hauptgrund für eine Hörminderung, wie die Schwerhörigkeit im Medizinischen genannt wird. Statistisch gesehen hört jeder Dritte der 60- bis 70-Jährigen nicht mehr einwandfrei. „Meistens sind bei den Betroffenen die sogenannten Haarzellen geschädigt“, sagt Koitschev.

Die Aufgabe dieser Sinneszellen im Innenohr ist es, Schallwellen in elektrische Impulse umzuwanden und über den Hörnerv an das Hörzentrum des Gehirns weiterzuleiten. Von denen hat der Mensch bei seiner Geburt noch einige Zehntausend. Doch im Laufe des Lebens gehen sie nach und nach zugrunde. Beschleunigt werden kann dies durch äußere Einflüsse, allen voran der Lärm. „regelmäßig und länger wirkende Geräusche ab 85 Dezibel schaden nachweislich dem Gehör“, sagt Koitschev. Zum Vergleich: Wer an einer vielbefahrenen Hauptstraße steht, ist 80 Dezibel ausgesetzt. In einer Disco dröhnen 110 Dezibel auf einen ein.

Regelmäßiger Lärm schädigt das Gehör langfristig

„Wer nach einer Partynacht auf die Straße tritt und ihm klingen die Ohren, ist das schon ein Hinweis auf eine Schädigung“, sagt der Experte. Zwar erholt sich das jugendliche Ohr nach einer solchen durchlärmten Nacht. Doch wer sich häufiger und regelmäßiger starkem Lärm aussetzt, schädigt sein Gehör nachhaltig. Aber auch Verletzungen, Viruserkrankungen wie Masern oder Mittelohrentzündungen sind Ursachen für eine Schwerhörigkeit, ebenso ein genetischer Defekt. Schätzungen zufolge kommen von 1000 Neugeborenen zwei bis drei mit einer gravierenden Schwerhörigkeit zur Welt. „Andere Kinder wiederum haben einen Genfehler, der sie nach und nach ertauben lässt“, sagt Koitschev, der zudem ärztlicher Leiter der HNO-Abteilung für Kinder-HNO und Otologie im Olgahospital ist.

Experten: Viele Betroffene nutzen ihr Hörgerät nicht

So gesehen ist Schwerhörigkeit ein typisches Volksleiden. Doch warum tun sich die Betroffenen dennoch schwer, sich mit Hilfe moderner Technik Gehör verschaffen zu lassen? Zwar sind in Deutschland allein im Jahr 2015 rund 1,2 Millionen Hörgeräte verkauft worden. Zum Vergleich: Im Jahr 2009 waren es noch 775 703. Doch selbst Experten wie Koitschev bezweifeln, dass diese Hörgeräte auch von jedem wirklich benutzt werden. Hört er doch in seinen Sprechstunden oft Klagen über den etwas künstlichen Klang oder den störenden Hintergrundgeräuschen, die sich einfach nicht unterdrücken lassen. „Hörgeräte sind wie kleine Lautsprecher“, sagt Koitschev: Sie stellen alles etwas lauter.

Das bedeute aber nicht, dass man etwas Gesagtes auch besser versteht. Man dürfe das Hörgerät nicht mit einer Lesebrille vergleichen, die man aufsetzt und plötzlich nimmt man alles besser wahr, so der Stuttgarter Experte. Denn je länger die Schwerhörigkeit besteht, desto mehr verlernt das Gehirn die Schallinformationen zu verarbeiten. Dies wieder umzustellen braucht Zeit. „Es ist wie mit einem Musikinstrument“, sagt Koitschev. Man muss sich an den Klang gewöhnen und man muss sich mit der Technik auseinandersetzen und so herausfinden, in welcher Situation man gut damit zurechtkommt und in welchen nicht.

Drei Hörgeräte im Alltag jeweils eine Woche lang ausprobieren

Die Europäische Union der Hörgeräteakustiker empfiehlt, mindestens drei Geräte im Alltag jeweils eine Woche lang auszuprobieren, bevor sie sich für ein Modell entscheiden. Dabei kommt es darauf an, dass in einer lauten Umgebung die Sprache hervorgehoben, Störgeräusche wiederum reduziert werden sollen. Auch das persönliche Umfeld kann dazu beitragen, dass Schwerhörige lieber zum Hörgerät greifen: „Die allermeisten, die einen Hörgeräteträger sehen, versuchen mit ihm lauter zu sprechen“, sagt Koitschev. Ein großer Fehler. Denn das Hörgerät verstärkt das laut gesprochene Wort und macht dem Träger das Zuhören zur Qual. Besser sei es langsam und deutlich zu sprechen.

Schwerhörigkeit kann Menschen isolieren

Es ist auch der psychologische Effekt, der von vielen unterschätzt wird, wenn sie mit Menschen zu tun haben, die schlecht hören. So gehört Schwerhörigkeit zu den Behinderungen, die längst nicht so akzeptiert sind wie etwa eine Sehstörung. „Wer sein Gegenüber schlecht versteht, wird schnell als dumm oder sprachlich nicht sehr gewandt wahrgenommen“, so Koitschev. Nicht umsonst will der Welttag des Hörens darauf aufmerksam machen, wie Schwerhörigkeit isolieren kann. Gerade Ältere flüchten sich oft lieber in Floskeln, wenn sie in einem Gespräch nichts verstehen oder verzichten auf Gesellschaft. Diese Folgen will Koitschev seinen Patienten ersparen. Es brauche zwar bis zu einem halben Jahr, bis man ein geeignetes Gerät gefunden hat. „Aber dann sind die Patienten meist sehr zufrieden.“

Wie stelle ich fest, dass ich schlecht höre?

Wie ein Hörtest funktioniert und was die Kasse zahlt

Wann zum Arzt? Männer sollten am besten ab einem Alter von 50 Jahren regelmäßig ihr Gehör überprüfen lassen. Frauen dagegen können sich mit der Vorsorge bis zu ihrem 60. Geburtstag Zeit lassen. Statistisch gesehen, tauchen in den darauffolgenden Jahren die Hörprobleme auf: Hohe Töne werden schlechter wahrgenommen, andere drängen sich unangenehm in den Vordergrund der Geräuschkulisse. Die im Deutschen häufigen Zischlaute überlagern den Rest des Wortes, sodass der Betroffene am Ende gar nichts mehr versteht oder sich Gesprächsinhalte zusammenreimen muss.

Was zahlt die Kasse? Gesetzlich Krankenversicherte, die ein Hörgerät benötigen, erhalten nach einem Beschluss des Spitzenverbands der Krankenkassen einen Festbetrag von bis zu 784,94 Euro. Dieser Zuschuss bestimmt die maximale Höhe, bis zu der die Krankenkassen in der Regel eine Hörhilfe finanzieren. Wie viel die Hörgeräte dann im Einzelnen kosten dürfen, hängt von den Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Akustikern ab. Zu beachten ist, dass die Kasse einen deutlich geringeren Betrag für das zweite Hörgerät übernimmt, wenn für beide Ohren ein Hörgerät benötigt wird.