Nikolai Vialkowitsch hat stereoskopische Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg wie diese eingescannt und ins digitale 3-D-Filmformat der Gegenwart gebracht Foto: Verleih

Der Weltkrieg in zeitgenössischen stereoskopischen Fotografien: Regisseur Nikolai Vialkowitsch hat für seinen Film „Im Krieg – Der Erste Weltkrieg in 3-D“ einen heute kaum noch bekannten Schatz ausgegraben.

Stuttgart - Bilder, die einen räumlichen Eindruck ver- mitteln sollten, gab es schon in den Kindheitstagen der Fotografie. Stereoskopie nannte sich diese frühe 3-D-Technik, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein wahres Massenmedium darstellte, und die Schöpfer der gegenwärtigen, digitalen 3-D-Welt haben den Begriff wieder aufgegriffen. Mit Hilfe eines Stereoskop genannten Betrachters konnten damals speziell hergestellte fotografische Doppelbilder als dreidimensionale Ausblicke wahrgenommen werden, oft waren sie koloriert. Im Ersten Weltkrieg entstanden unzählige solcher Stereoskopien, danach geriet die Technik in Vergessenheit.

Es ist also ein heute weitgehend unbekannter Schatz, den der Karlsruher Autor und Regisseur Nikolai Vialkowitsch („Die Ruhe vor dem Sturm“) für seinen neuen Film ausgegraben hat. Er recherchierte in Archiven in Deutschland, Großbritannien, den USA und Frankreich und wählte dabei aus einem mehrere Zehntausend Bilder umfassenden Fundus aus – allein im Archiv der französischen Armee in Fort d’Ivry lagern rund 17 000 stereoskopische Fotos aus dem Weltkrieg. Um die räumliche Wirkung, die durch die Betrachtung im Stereoskop entsteht, für die Leinwand zu rekonstruieren, wurden die Bilderpaare gescannt und aufwendig digital animiert. Das Ergebnis ist oft faszinierend, durch Perspektivwechsel zwischen verschiedenen Details wirken die Bilder ungemein lebendig.

Vialkowitsch hat die ausgewählten 3-D-Fotos mit historischen Filmaufnahmen und aktuellen Aufnahmen der früheren Schlachtfelder angereichert und unterlegt mit aus dem Off gesprochenen zeitgenössischen Textquellen – literarische Texte, Tagebucheinträge, Feldpostbriefe von deutschen, französischen, belgischen und britischen Soldaten sowie Briefe von Angehörigen. „Im Krieg“ beginnt vor dem Krieg, mit Bildern von Touristenmassen im belgischen Seebad Ostende. „Der Sommer war schön und versprach noch schöner zu werden“, liest der Sprecher aus Stefan Zweigs „Die Welt von gestern“, ein Eingangstext, der gut den Fortschrittsgeist der Zeit wiedergibt und den Unglauben, dass ein Krieg kommen könnte.

Bilder, Filme und Texte folgen dem Lauf der Ereignisse. Sie dokumentieren mal optimistisch, mal ängstlich zur Front ziehende Soldaten, erste Eindrücke der Kämpfe, das Erstarren im Stellungskrieg, den Einsatz neuer Waffentechniken wie Giftgas und Panzer und immer wieder Leichen – schlimm verdreht, verstümmelt, von abgestumpft wirkenden Soldaten wegtransportiert.

Die Kombination der Texte mit den 3-D-Bildern, die immer wieder herangezoomten, gestochen scharfen Aufnahmen der Gesichter, machen das Grauen sehr gegenwärtig. Mit am ergreifendsten gelingt dies bei den Schilderungen einer Lazarettleiterin. „Morgens marschieren die Soldaten mit festem Schritt, dann bekommen wir sie wieder, einzeln, sie können nicht mehr gehen, Ambulanzen spucken sie aus.“ Man sieht Reihen von Verwundeten mit leerem Blick, apathische Wracks – und vielleicht wirken diese Bilder auch deshalb so stark, weil sie sich so wenig von heutigen Fernsehbildern aus Krisengebieten unterscheiden.

Vialkowitschs Film ist eine eindrucksvolle Collage aus Bildern und Stimmen, eine historische Ereignisdokumentation ist er indes nicht – denn er liefert keinerlei Hintergrundinformationen zu Ursachen und Verlauf des Krieges. Wer darüber etwas erfahren will, wird enttäuscht.

„Im Krieg“ wirft chronologisch angeordnete Schlaglichter auf das sinnliche und emotionale Erleben des Krieges und verfolgt damit ein ähnliches Verfahren wie der Autor Walter Kempowski in seinem literarischen Großprojekt „Echolot“ zum Zweiten Weltkrieg. Wie bei diesem wirken die unkommentierten Quellen oft stärker und direkter als eine einordnende Erzählung, und wie bei diesem lässt sich freilich die Quellenauswahl, die immer bestimmte Aspekte unbeachtet lässt – etwa die Bewegung der Kriegsgegner –, kritisieren. Angesichts der Masse der individuellen Kriegserfahrungen ist dies aber kaum vermeidbar, und für die begrenzten zeitlichen Möglichkeiten eines Kinofilms ist Vialkowitsch ein durchaus facettenreiches Bild gelungen. Ein gewisses Vorwissen sollte man aber mitbringen.

Ärgerlich sind andere Punkte: Die Autoren der eingesprochenen Texte werden nie eingeblendet, sondern erst im Abspann aufgelistet – so fehlt dem Betrachter die Möglichkeit, sie einzuordnen. Für ein Zuviel des Guten sorgt bisweilen die sinfonische Begleitmusik Henrik Albrechts, die manche Sequenz mit unnötigem Bombast zukleistert. Doch jenseits dessen bietet „Im Krieg“ in der Medienflut des Gedenkjahres eine interessante Ergänzung zu klassischen Ereignisdokumentationen – und funktioniert nicht zuletzt wegen der so faszinierenden wie grausigen Gegenwärtigkeit seiner Bilder als kraftvolle Anklage gegen den Krieg.