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Auf dem Weihnachtsmarkt  sind in diesem Jahr  viele gewerbliche Bettler unterwegs.

Stuttgart - Im Advent hat die Mildtätigkeit Hochsaison. Das nutzen viele gewerbliche Bettler aus. Rund um den Weihnachtsmarkt gibt es keine Ecke, wo nicht die Hand aufgehalten wird. Die Ordnungskräfte sind meist macht los. Generell verboten ist die Bettelei nur in der Bahn.

Bereits am Eröffnungstag des Weihnachtsmarkts gab es den ersten Platzverweis wegen aggressiven Bettelns. "Eine Frau hat einen Passanten angesprochen und wollte Geld", sagt ein Polizeisprecher. Maßnahmen wie diese zeigen im Kampf gegen die Bettelei wenig Erfolg: Kurz nach dem Verweis humpelt auf der Königstraße eine junge Frau an Krücken auf Passanten zu. Außer einem Pappbecher streckt sie ihnen auch ihr nacktes, anscheinend verkrüppeltes Bein entgegen. In der Schulstraße halten drei Frauen und ein Mann die Hand auf. In der Stadtbahn sammelt eine Frau Bares für die Operation ihres Kindes in Rumänien. Und je näher Weihnachten rückt, umso mehr vermeintlich Hilfsbedürftige treibt es auf die Straße.

Straßenbettelei ist zwar nicht generell verboten, doch gibt es rechtliche Einschränkungen. "Erlaubt ist nur stilles Betteln. Aggressives Betteln, Betteln mit der Mitleidsmasche wie mit Hunden ist illegal und gilt als Ordnungswidrigkeit. Werden Kinder eingesetzt oder Behinderungen vorgetäuscht, geht es in den Bereich des Straftatbestands", sagt die Polizei und räumt ein, dass die Grenzen fließend sind. Ein Grenzfall ist zum Beispiel knieendes Betteln, da sich Passanten durch das sogenannte Demutsbetteln zum Geben genötigt fühlen. Ein Großteil der Bettler, die jetzt anrücken, stammt laut Ordnungsamt aus Rumänien, Slowenien und Tschechien. Häufig handelt es sich um gewerbliche und organisierte Bettler. Das nachzuweisen sei äußerst schwierig und personalintensiv. Die Polizei rechnet mit einem starken Ansteigen der Bettelei, da sie außer dem Platzverweis kaum Handhabe gegen Bettelei hat. Aufenthaltsverbote auszusprechen ist seit 2008 schwerer geworden. Durch das neue Polizeigesetz müssen sie an "massive Ordnungsstörung" oder "kriminelle Handlungen" gekoppelt sein.

Der Leierkastenmann ärgert sich

Auch die 22-jährige Frau in der Schulstraße muss keinen Platzverweis befürchten: Sie hat sich mit offener Hand still an die Wand gekauert. Das Geld benötige sie für die Miete, sagt sie in gebrochenem Deutsch. "Trottwar"-Verkäuferin Inge Klose kommt ihr zu Hilfe. "Die gehört zu keiner Bande", versichert die 66-Jährige und deutet mit der Hand ein paar Meter weiter: "Die Oma auf dem Klappstuhl wird regelmäßig abkassiert." Die Straßenverkäuferin spürt die Zunahme der Bettelei am eigenen Umsatz. "Statt unsere Zeitung für 1,70 Euro zu kaufen, geben viele lieber einem Bettler nur einen Euro." Joachim Dold ärgert sich ebenfalls über die Konkurrenz. Der blinde Leierkastenmann kommt seit 31 Jahren zum Weihnachtsmarkt nach Stuttgart und sagt: "Die professionellen Bettler sind so dreist, dass sie sich direkt neben mich stellen. Viele Passanten zücken ihren Geldbeutel dann nicht mehr."

Die Grenzen zwischen Bettlern und Straßenmusikern sind oft fließend. "Ich bin Schausteller", wehrt sich der 66-Jährige energisch gegen die Bezeichnung Bettler. Auf dem Schild an der Drehorgel ist zu lesen, warum er auf dem Weihnachtsmarkt steht: Die Rente reiche nicht. Pro Tag bessert er die nach eigenen Angaben um 50 bis 200 Euro auf. Davon kann Martin Kikni nur träumen. Der 28-jährige Slowake beziffert seine Einnahmen in acht Stunden auf allenfalls 30 Euro - obwohl ihn sein treu blickender Cockerspaniel unterstützt.

Anders als auf der Straße ist in Bahnhöfen, Zügen und Stadtbahnen Betteln generell verboten. Da viele Bettler, die von Sicherheitskräften erwischt werden, Fahrscheine haben, werden sie nur aufgefordert, das Betteln einzustellen. "Wir tolerieren nicht, dass Kunden belästigt werden", stellt Susanne Schupp von der Stuttgarter Straßenbahnen AG klar. Sie appelliert an die Kunden, nichts zu geben, damit Stuttgart keine Berliner Verhältnisse bekommt. Dort ist das Betteln in Bahnen gang und gäbe.