Für das Schuljahr 2015/16 rechnet das Staatliche Schulamt mit rund 1000 Schülern, die in der Region Stuttgart an Regelschulen inklusiv unterrichtet werden. Foto: dpa

Mit dem kommenden Schuljahr entfällt die Sonderschulpflicht. Für die Schulen ändert das wenig – Sonderschulen haben in etwa gleichbleibende Anmeldezahlen, Regelschulen sammeln bereits seit 2011 Erfahrungen mit Kindern, die inklusiv unterrichtet werden.

Vaihingen/Möhringen - „Mit der Änderung des Schulgesetzes entfällt bei Kindern mit festgestelltem Anspruch auf sonderpädagogische Bildung die Pflicht zum Besuch einer Sonderschule“, sagt Karin Korn. „Die Eltern haben also die Wahl, ihr Kind auf eine Regelschule oder auf eine Sonderschule zu schicken, die künftig die Bezeichnung ‚Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum’ tragen“, sagt die Leiterin des Schulverwaltungsamts. Selbstverständlich werden die Eltern bei dieser Entscheidung vom Staatlichen Schulamt beraten. In sogenannten Vorgesprächen zur Bildungskonferenz werden die Inklusionsanträge von Kindern mit sonderpädagogischem Bildungsanspruch geprüft und für jedes einzelne Kind zusammen mit den Eltern besprochen, welche Schulform die beste für das Kind ist. Soll das Kind an einer Regelschule unterrichtet werden, werden die Rahmenbedingungen hierfür mit allen Beteiligten abgestimmt.

Das Modell der sogenannten inklusiven Beschulung ist in Stuttgart nicht neu. „Seit vier Jahren etwa treiben wir den inklusiven Unterricht an Regelschulen im Rahmen eines Modellprojekts voran“, sagt Korn. Bereits seit dem Schuljahr 2011/12 wird in der Schwerpunktregion Stuttgart im Rahmen eines Schulversuchs durch das Staatliche Schulamt die Inklusion von Kindern mit besonderen Bedürfnissen an Regelschulen gefördert. Seit Beginn des Schulversuchs steigen die Zahlen der Schüler, die inklusiv beschult werden. Waren es im Schuljahr 2011/12 noch 87 Schüler, sind es im Schuljahr 2014/15 bereits 713 Kinder gewesen, die an Regelschulen inklusiv betreut wurden. Das Staatliche Schulamt rechnet für das Schuljahr 2015/16 mit rund 1000 inklusiv betreuten Schülern an Regelschulen in der Schwerpunktregion Stuttgart.

Nicht jedes Kind ist an einer Regelschule gut aufgehoben

Für die Sonder- und Förderschulen auf den Fildern ändert sich durch den Wegfall der Sonderschulpflicht wenig. Sie sammeln bereits seit Jahren Erfahrungen mit Außenklassen und inklusiven Angeboten an Regelschulen. „Wir haben recht konstante Gesamtschülerzahlen, wobei die Zahl der Schüler, die inklusiv unterrichtet werden, über die Jahre deutlich angestiegen ist“, sagt Anne Weil-Baltruschat, die Rektorin der Heilbrunnenschule. Sie sehe die Entwicklung positiv. „Durch die Inklusionsangebote sinkt die Hemmschwelle der Eltern, eine sonder- oder förderschulpädagogische Diagnose ihrer Kinder zuzulassen.“ Viele Eltern hätten Angst, ihre Kinder würden ausgegrenzt, wenn ein Sonderschulbedarf festgestellt werde. Durch die Inklusionsangebote tun sich die Eltern leichter. „Schließlich geht es darum, was für das Kind das Beste ist, wo es am besten gefördert wird“, sagt Weil-Baltruschat. Für die Sonder- und Förderschullehrer sei das Thema ebenso eine Herausforderung wie für die Regelschullehrer. Die Kooperation muss funktionieren, denn in den inklusiven Klassen sind jeweils Lehrer von beiden Schularten anwesend.

Mehr Schüler mit Förderbedarf an Regelschulen

„Auch ist bisher kein Kind gegen den Willen der Eltern an einer Sonderschule eingeschult worden; der Wegfall der Sonderschulpflicht ist also kein Einschnitt für uns“, sagt Klaus Hubrich, der Leiter der Verbundschule Stuttgart-Rohr. Im Gegenteil: „Wir haben im kommenden Schuljahr mehr Anmeldungen als dieses Jahr“, sagt Hubrich. „Es sind aber mehr Schüler, die nicht an der Stammschule, sondern an Regelschulen unterrichtet werden.“

Auch die Bodelschwinghschule habe stabile Schülerzahlen, sagt Timur Erdem, der stellvertretende Schulleiter. „Die Eltern konnten schon in den vergangenen Jahren entscheiden, ob sie ihr Kind an unserer Schule oder an einer Regelschule inklusiv beschulen lassen.“ Kooperationen bestünden mit der Pestalozzischule, der Grundschule Kaltental und der Römerschule in Stuttgart-Süd. Acht Schüler werden im kommenden Schuljahr inklusiv unterrichtet, dazu kommen 17 Schüler in Außenklassen, die die Bodelschwinghschule an der Schönbuchschule, der Filderschule und der Grund- und Werkrealschule Heumaden betreut. Dazu kämen acht Schüler, die ab dem nächsten Schuljahr an berufsorientierende Schulen wechseln.

Hoher Absprachebedarf zwischen den Lehrern

„Die Kooperation mit der Bodelschwinghschule läuft seit Jahren gut“, sagt Christina Seeger, die Rektorin der Schönbuchschule. Sie habe beobachtet, dass sich eine Zunahme der Zahl der Schüler abzeichne, die inklusiv betreut werden. In den Außenklassen und den inklusiven Klassen würden sowohl Kinder mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung als auch Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten oder einer Lernbehinderung unterrichtet. „Das erfordert einen erhöhten Absprachebedarf zwischen den Regel- und den Sonderschullehrern“, sagt Seeger.

An der Riedseeschule ändert sich durch die Neuregelung erst einmal nichts. „Unsere inklusiv unterrichteten Schüler besuchen im kommenden Schuljahr die dritte und vierte Klasse, wo sie durch eine Sonderschullehrerin betreut werden“, sagt Ingrid Willemsen, die Rektorin der Grund- und Werkrealschule. Die Kooperation mit der Sonderschule laufe gut. Im nächsten Schuljahr wird die Riedseeschule keine neuen inklusiven Erstklässler haben. Woran das liegt, kann Willemsen nicht sagen. „Ich finde es schade, denn wir lernen ja auch mit jedem Jahr dazu.“