Sie gibt’s nicht nur im Internet, sie zeigen sich auch im Pavillon am Schlossplatz: Philipp Schneider, Marius Lehnert und Thomas Venugopal (von links). Foto: Leif Piechowski

Drei Stuttgarter betreiben eine Webseite für Entdecker – Nachtschwärmer geben Tipps im Netz.

Stuttgart - Am Anfang war der Hunger. Thomas Venugopal (30), Marius Lehnert (29) und Philipp Schneider (29) wollten essen gehen. Aber wo? Bekannt und bewährt, darauf hatten sie keine Lust. Was Neues wollten sie probieren. Nun blättert der moderne Großstadtmensch nicht mehr in den gelben Seiten, er sucht im Internet. Also setzte sich das Trio an den Rechner. „Wir haben eine halbe Stunde gesucht und Fenster um Fenster geöffnet“, sagt Thomas Venugopal. Und waren so schlau als wie zuvor. Speisekarten, Öffnungszeiten, Adressen, all das mussten sie sich zusammenklauben. „Gefunden haben wir erst nichts und waren wirklich frustriert.“ Und immer noch hungrig.

Das muss doch besser gehen, dachten sie sich. Und begannen an der Seite Kesselfieber zu basteln. Ihr Ziel war eine Datenbank, in der man alles findet, ohne sich um den Verstand zu klicken. Das war am 1. Januar 2010. Zweieinhalb Jahre später hat die Seite 1500 Besucher am Tag, 400.000-mal wird sie im Monat aufgerufen. 250 Clubs, Restaurants, Bars, Theater und Imbisse sind dort zu finden. „Mit steigender Tendenz“, wie Lehnert sagt.

Nun sind Tipps zum Ausgehen nicht gerade originell für eine Internetseite. Das gibt es tausendfach im Netz. Braucht’s da noch eine Seite wie Kesselfieber? „Bei uns bewerten die Nutzer und geben Tipps“, sagt Venugopal, „wer sich registriert, kann Orte empfehlen, aber jeder kann Kommentare schreiben.“ Die auch die Wirte lesen. So habe ein Nutzer sehr schlechte Erfahrungen in einem italienischen Restaurant gemacht, sagt Lehnert. Das Essen war nicht gut, der Service lausig. Seinen Frust teilte er via Kesselfieber mit. Früher hätte er es nur seinen Freunden erzählt. Schlimm genug. Aber dank Internet erfährt es die ganze Welt. Oder zumindest ganz Stuttgart.

„Es gibt in Stuttgart so viel, da muss man auf sich aufmerksam machen“

Doch der Wirt meldete sich, entschuldigte sich und spendierte ein Essen. Lehnert: „Statt eines unzufriedenen Kunden hat er nun einen zufriedenen Gast, der sicher erzählen wird, dass man dort hingehen kann.“ Nicht alle Wirte nutzen die Möglichkeiten, mit den Kommentierenden in Kontakt zu geraten. „Aber das wird sich durchsetzen“, sagt Venugopal, „es gibt in Stuttgart so viel, da muss man auf sich aufmerksam machen.“

Das mussten auch die drei Freunde, die gemeinsam in Weil der Stadt aufgewachsen sind und sich nach dem Umzug nach Stuttgart wieder gefunden hatten. Wie die Webseite bekannt machen? Da traf es sich gut, dass 2010 die Fußball-WM in Südafrika gespielt wurde. Und in Stuttgart auf dem Schlossplatz keine Leinwand mehr aufgebaut wurde. Weil sich aber viele ans gemeinsame Fußballschauen gewöhnt hatten, suchten sie nach Alternativen. Kesselfieber sichtete und bündelte das Angebot. Venugopal: „Auf der Webseite der Stadt haben sie auf uns aufmerksam gemacht.“ Wer im Rudel Nationalmannschaft gucken wollte, landete auf Kesselfieber.

Wegen des großen Erfolgs gibt’s das Angebot zur EM wieder. 74 Lokale haben sie in ihrem „Public Viewing Guide“ gesammelt. „Ich behaupte mal ganz bescheiden, einen kompletteren Überblick gibt es nirgends“, sagt Lehnert. Mit einem Klick öffnet sich ein Fenster, in dem alle wichtigen Informationen stehen. So heißt es beim Palast der Republik etwa: „Alle EM2012-Spiele werden auf TV-Geräten übertragen. Man kann draußen sitzen oder von drinnen zuschauen.“ Dazu gibt’s die Öffnungszeiten, Infos zu Größe, Küche, Publikum, wenn das Restaurant mitspielt kommt man auch mit einem Klick zur Speisekarte und kann reservieren. Nur einen Klick entfernt ist auch die Karte mit der genauen Lage und die Webseite des Verkehrsverbunds. Venugopal: „So hat man alles beisammen, was man braucht.“

„Wenn ich damals gewusst hättem, was das für ein Aufwand ist, hätte ich es gelassen“

Mittlerweile ist die Seite über eine Datenbank hinausgewachsen. Auf Blogs schreiben die Macher selbst und Gäste über das Stadtleben, etwa was eine Techno-Party mit dem Frühlingsfest gemein hat. In einem Album auf der digitalen Pinnwand pinterest sammeln sie Fotos von Stuttgart. 342 Bilder haben Amateure und Profis eingestellt. „Wir sammeln weiter und würden gerne jemand finden, der einen Bildband herausgibt.“

Selbst können sie das nicht. Es fehlt die Zeit. Allesamt haben sie Brotberufe. Venugopal als selbstständiger Webdesigner, Lehnert als DJ und Veranstalter, Schneider als Diplominformationswirt. „Wenn ich damals gewusst hättem, was das für ein Aufwand ist, hätte ich es gelassen“, sagt Venugapol. Doch nun haben sie angefangen. Geld verdienen können sie damit nicht. „Wer weiß, was kommt“, sagt Lehnert. „Aber bisher ist es ein Hobby“, sagt Venugopal, „und deshalb macht es auch Spaß, weil wir nicht abhängig davon sind.“ Außerdem müssen sie nie mehr hungrig sein.

www.kesselfieber.de