„An Gesundheit versündigt“: Wasserwerfer-Einsatz am 30. September 2010 Foto: dpa

Nicht nur die Polizei muss reihenweise Pannen beim Einsatz gegen S-21-Gegner am sogenannten Schwarzen Donnerstag einräumen. Auch der damals zuständige Oberstaatsanwalt macht beim Wasserwerfer-Prozess überraschende Angaben über seine „blöde Lage“.

Stuttgart - Der 64-jährige Bernhard Häußler, inzwischen pensionierter Oberstaatsanwalt und einst hauptverantwortlicher Strafverfolger rund um Stuttgart 21, ist bei den Bahnprojekt-Gegnern die Hassfigur schlechthin. Sozusagen ein Handlanger politischer Machtinteressen, der einseitig nur gegen Gegner des Tiefbahnhofprojekts vorgeht. Am Mittwoch gab er am 24. Verhandlungstag des Wasserwerfer-Prozesses im Landgericht als Zeuge neue Einblicke in das Innenleben der Polizeiführung.

Den Anhängern einer politischen Verschwörungstheorie liefert Häußler neue Nahrung, als er erklärt, dass der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus noch am 30. September 2010 Kontakt mit Polizeipräsident Siegfried Stumpf aufgenommen habe. Am Nachmittag hätten beide telefoniert, sagt Häußler. Ein Personenschützer habe per Handy Kontakt ins Polizeiführungszentrum hergestellt und das Gespräch vermittelt. „Über den Inhalt“, sagt Häußler, „wurde anschließend nicht gesprochen.“

Oberstaatsanwalt Häußler begleitete den missratenen Polizeieinsatz zwischen 10 und 3.40 Uhr – und war näher dran, als ihm nun lieb ist. Denn eigentlich sollte er bei möglichen strafprozessualen Maßnahmen eingreifen. Denn Präsident Siegfried Stumpf hatte gar keine Kompetenzen als Ermittlungsbeamter – rechtlich war der langjährige Schutzpolizeichef nur Verwaltungsbeamter. Ein Polizeipräsident als Einsatzleiter war ein Novum – „das hat mich überrascht, ich hatte aber keine Bedenken“, so Häußler.

„Überrascht“ will Häußler immer wieder gewesen sein an jenem 30. September 2010. So berichtete er, dass nicht etwa Präsident Stumpf um 11.53 Uhr den Einsatz von Schlagstöcken freigab und die Wasserwerfer auffahren ließ – sondern dessen Assistent. Häußler saß im Führungsfahrzeug, als der Adjutant einen entsprechenden Funkruf absetzte. Stumpf nahm zu dieser Zeit an einer Pressekonferenz im Landtag teil. Das anschließende Kompetenzgerangel mit dem Präsidenten-Stellvertreter und dem Leiter des Führungsstabes habe er nur unzureichend mitbekommen – weil nicht alles über den Funk, sondern auch per Handy abgewickelt wurde, so der Oberstaatsanwalt a.D.

Häußler war ganz nah dran – will aber nie richtig drin gewesen sein im Geschehen. Immerhin merkte er „völlig überraschend, dass die Polizei die Lage nicht mehr unter Kontrolle hatte“. Als Stumpf nach seiner Rückkehr von der Pressekonferenz erfahren habe, dass er ein Drittel der Gitter aufgestellt seien und die Polizei mit massivem Widerstand zu kämpfen habe, „da war er sprachlos“.

Häußler sah sich plötzlich „in einer blöden Lage“. Einerseits sollte er in strafrechtlichen Belangen ermitteln, andererseits war er mit Insiderwissen selbst beteiligt. „Ich habe mich deshalb bewusst aus polizeitaktischen Fragen herausgehalten“, sagt er. Nichts sehen, nichts hören.

Zwei 42 und 48 Jahre alten Polizei-Abschnittsleitern wird vorgeworfen, nicht eingegriffen zu haben, als es Verletzte durch den Wasserwerfer-Einsatz gab. Videos zeigen, was auch Häußler auf dem sogenannten Feldherrenhügel gesehen haben musste. Doch wie alle Polizisten will Häußler keine Verletzten durch Wasserwerfer bemerkt haben. Die Stöße hätte er „damals als Wasserregen interpretiert“, sagt er. Entsetzt sei er gewesen über die Demonstranten, die sich „an ihrer Gesundheit versündigt“ hätten.

Das Foto vom augenverletzten Dietrich Wagner will Häußler am Nachmittag im Polizeilagezentrum gesehen haben. Seine Ermittlungen hätten sich aber darauf beschränkt, einen SEK-Spezialisten zu fragen, wie es zu solchen Verletzungen kommen könne. Den anwesenden DRK-Verbindungsmann sprach er nicht an. „Dazu gab es keine Veranlassung“, sagt er. Der Fall laufe ja nicht weg. Ob er aber nicht weitere Verletzungen hätte verhindern können? Häußler: „Das war nicht meine Aufgabe, und ich hatte dafür auch nicht die Kompetenz.“