Seine neue Spielwiese: Utz Claassen, Präsident von Real Mallorca, im Stadion von Palma. Der 52-Jährige will den Verein auf eine Augenhöhe mit Real Madrid und dem FC Barcelona führen Foto: fk

Utz Claassen, ein Name wie Donnerhall. 2003 bis 2007 lenkte er die EnBW. Dann verließ er das Land. Nun ist er wieder da – mit großen Zielen als Präsident des Fußballvereins Real Mallorca.

Palma - Es ist heiß, sehr heiß in Palma. Draußen auf dem Flughafen vor den Toren der Stadt landen die Maschinen mit den Mallorca-Urlaubern quasi im Minutentakt. Allein im Juli kamen 3,5 Millionen Touristen ins 17. deutsche Bundesland. Alles potenzielle Kunden von Utz Claassen. So hofft es zumindest der frühere Vorstandsvorsitzende der Energie Baden-Württemberg (EnBW) und jetzige Chef des spanischen Fußball-Zweitligisten Real Mallorca. Seit kurzem gehört dem 52-Jährigen und seiner Frau Annette der Verein nahezu komplett, besser gesagt zu 99 Prozent. Ohne das Duo geht nichts. „El Presidente“ wird der Deutsche ehrfurchtsvoll genannt. Und „El Utz“.

Ein Ruf, der Claassen runtergehen muss wie Olivenöl. Der kleine Mann mit dem Schnauzbart, dem Goldkettchen am Arm, den knallbunten Hemden und weißen Slippern war noch nie ein Botschafter von Bescheidenheit. Schon damals nicht, als er in Karlsruhe den Energiekonzern komplett umkrempelte und sich mit Politikern wie Wirtschaftsminister Pfister und Kommunalvertretern wie Singens OB Renner anlegte. Auch jetzt in seiner neuen Funktion als Inhaber und Chef des traditionsreichen Vereins mag er keine halben Sachen. „Ich will so schnell wie möglich nach oben. Und ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen.“ Gemeint ist der anvisierte Aufstieg in die erste spanische Liga, sozusagen auf Augenhöhe mit internationalen Vorzeigeclubs wie Real Madrid und FC Barcelona. An einem Punkt hat der schillernde Vereinsboss das schon geschafft: In den engen Gassen der Inselhauptstadt sind die Fan-Shops der drei Vereine nur ein paar Meter voneinander entfernt. Im sportlichen Bereich sind es hingegen noch Welten.

Aber das ist es, was Claassen an dieser Aufgabe so reizt. Zwölf neue Spieler hat er für die Saison verpflichtet, die an diesem Wochenende beginnt, darunter Torwart Timon Wellenreuther, Sohn des Karlsruher Ex-OB-Kandidaten Ingo Wellenreuther. „Unser Team ist eine gute Mischung aus jungen, hungrigen und aus erfahrenen Spielern. Die können das schaffen.“ Wäre ja auch nett, wenn sich der Verein nächstes Jahr zum 100. Geburtstag mit dem Sprung in die erste Liga beschenken würde. Vor allem müsste der Club-Boss dann nicht mehr sehnsüchtig in der sogenannten Trophäenhalle des Vereins hoch über dem Stadion auf die bereits leicht vergilbten Bilder früherer Erfolge schauen. Lang ist’s her, dass da jemand einen Pokal in die Höhe stemmen durfte – zuletzt 1999 beim Finalsieg Mallorcas im Europapokal der Pokalsieger gegen Lazio Rom.

Aufstieg für 2016 geplant

Aber Claassen ist keiner, der zurückschaut. Für ihn geht es nur vorwärts. Und er ist vom neuen Erfolg überzeugt. Der Fußballclub Mallorca, dieser einst so ruhmreiche Verein, der dann durch Intrigen abgewirtschaftet wurde, 100 Millionen Euro Schulden anhäufte und 2013 aus der 1. Liga abstürzte, soll wieder ein strahlendes Aushängeschild des spanischen Sports werden. Pech nur, dass die Mallorquiner (noch) nicht so ticken wie Claassen. Denn die lieben neben Fußball mindestens genauso Basketball und Tennis. „Das Problem ist“, erzählt der Top-Manager, „dass die Leute hier erst kurz vor dem Spiel ins Stadion kommen und nach der Partie gleich wieder verschwinden.“ Das schafft erstens keine Identität mit dem eigenen Club und sorgt zweitens nicht gerade für großen Umsatz, lautet Claassens einfache Rechnung.

Das soll sich ändern. Also hat der Niedersachse einen 126 Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog aufgestellt, den er Stück für Stück abarbeitet. Ein zentraler Bestandteil: Nächstes Jahr wird die Spielfläche im Stadion Son Moix um 90 Grad gedreht, die Leichtathletikbahn herausgerissen, damit die Tribünen und somit die Fans ganz nah am Spielfeldrand sind. Er will die Gastronomie über die übliche Stadionbratwurst hinaus erweitern, Vip-Logen für Sponsoren errichten, über kurz oder lang ein Hotel bauen, ein Unterhaltungsprogramm auf die Beine stellen. „Unsere Heimspiele müssen zum Event werden“, lautet das erklärte Ziel.

Eines seiner Handys klingelt. Der Präsident meldet sich in fließendem Spanisch. Am anderen Ende ist sein Jugendleiter. Der vermeldet, es sei ihm gelungen, ein Top-Talent von der Insel Ibiza zu verpflichten. „Obwohl auch Barça an dem dran war“, strahlt Claassen und ist sich sicher: „Das wird mal ein ganz Großer.“ Und dann erzählt der Chef die Episode, wie er als Tourist vor 15 Jahren auf der Insel war und sich ein Fußballspiel angeschaut habe. Auf dem Platz war auch ein gewisser Samuel Eto’o. Claassen berichtete den Fachleuten, dass der junge Bursche aus Kamerun sensationell kicken könne. Doch keiner wollte den Schwarzafrikaner. Heute spielt er für Antalyaspor und kassiert zehn Millionen Euro Jahresgage.

10 Millionen Euro als Etat

So einen wie Eto’o hätte Claassen auch gerne im Club. Aber wie bezahlen? Der Jahresetat des Vereins liegt derzeit bei rund zehn Millionen Euro. Aber Claassen wäre nicht Claassen, wenn er deshalb resignieren würde. Schon zu EnBW-Zeiten schien ihm keine Herausforderung zu klein. Ob er die Geldverschwendung innerhalb des Konzerns gegen Widerstände aufdeckte oder eine Million Euro hinblätterte, um den berühmten WM-Spickzettel von Torwart Jens Lehmann fürs Museum zu ergattern: Der Konzernchef tat das, was er wollte und für richtig hielt. Auch wenn es den schwarzen Landräten des EnBW-Großaktionärs OEW den Schweiß auf die Stirn trieb.

Und so hat der Club-Chef auch jetzt für seinen Fußballverein einen kühnen Plan. Seine Vision: Die Touristen – rund 15 Millionen sind es jährlich – sollen für den Fußball begeistert werden. Nach dem Motto: Man muss ja nicht 14 Tage dauernd am Strand liegen oder Sangria schlürfen, sondern kann auch mal einen Abend mit der Familie zum Fußball gehen. Claassen will deshalb in den Bettenburgen der Insel überall Fan-Shops des Vereins eröffnen. Einen ersten gibt es schon an der Playa de Palma – mit T-Shirts, Schals, Taschen, Bällen, alles in den Vereinsfarben Rot-Schwarz. „Mallorca ist nach London und Moskau der beste Standort für einen Profifußballclub“, ist er überzeugt. Begründung seiner kühnen These: „Nirgendwo sonst erreicht man in gut zwei Flugstunden 40 Großstädte in Deutschland und England.“ Diese Malle-Klientel hat er also im Visier. „Wenn Ronaldo mit Real Madrid hier spielen würde, hast du einen Charterflieger aus Düsseldorf oder London ruck, zuck voll.“ Er wolle aus dem Club „eine paneuropäische Sportmarke“ entwickeln.

Eine Wortwahl, typisch für den Macher, in dessen Wortschatz Begriffe wie Niederlagen nie vorkommen würden. Zumindest die Unterstützung der örtlichen Behörden hat Claassen. Wo die Politik einst als Verachtung vor dem schlecht geführten Fußballverein allenfalls die Friedhofsbeauftragte zu Heimspielen schickte, rollen sie dem Deutschen im Rathaus und bei der Regionalregierung jetzt den roten Teppich aus. „Hier ist es normal, die Verantwortlichen der Politik zum Fußball einzuladen. Alles andere wäre unhöflich“, sagt Claassen mit spitzem Unterton und erinnert damit an jene Phase seiner EnBW-Zeit, als er Landes- und Kommunalpolitiker zur Fußball-WM einlud und die Staatsanwaltschaft deshalb gegen ihn wegen des Verdachts der Bestechung ermittelte. Auf Mallorca kann er hingegen schalten und walten, wie er will. Es fehlt nicht mehr viel, und sie „werden ihn König von Mallorca nennen“, glaubt ein Szenekenner. Aber was sagt dann Jürgen Drews, der eigentliche König der Mittelmeerinsel und Schlagergott vom Ballermann. Claassen sind solche Titel egal. Zumindest tut er so.

Er müsste den Job nicht machen. Mit seinem EnBW-Ruhegehalt von 400 000 Euro jährlich könnte er sich daheim in Hannover gemütlich in den Garten setzen oder hier auf Mallorca unweit seines Anwesens genüsslich golfen. Aber das ist nicht sein Ding, dafür fühlt er sich zu jung. „Fußball war schon immer seine Leidenschaft. Auch damals als Chef bei Hannover 96“, erzählt seine Frau. Er machte den Job gut 70 Tage. Dann wurde er angefeindet, bedroht – und hörte auf.

Um die Spielerverträge kümmert sich Claassens Frau

Davon kann auf Mallorca keine Rede sein. In einem ersten Schritt investierte er 500 000 Euro in den Club, inzwischen hat er sich mit zehn Millionen Euro den Verein quasi gekauft. „Anfangs war es mehr als ein Hobby und weniger als eine Aufgabe“, umschreibt er seine Philosophie vom Präsidentenamt. Inzwischen ist es ein Full-time-Job geworden. Claassen ist rund um die Uhr weltweit im Einsatz. Zum einen für seine Firma Syntellix in Hannover, die medizinische Implantate vertreibt und sich dabei auf Schrauben spezialisiert hat, die sich nach erfolgreicher Heilung im Körper selbst auflösen.

Zum anderen in Diensten von Real Mallorca. Heute Palma, morgen New York, dann für die Firma nach Neu-Delhi. Dazwischen noch kurz in die Verwaltung des Clubs, Besprechung mit seinem Generaldirektor. Alles andere, zum Beispiel die Unterschriften unter Spielerverträge, erledigt seine Frau Annette, die ihn seit gefühlten Lichtjahren managt. Aber sie bleibt lieber im Hintergrund, ihr Mann sei der eigentlich Wichtige in diesem Spiel: „Ohne ihn wäre der Club nicht mehr existent.“ Das ist es wieder, das Selbstbewusstsein der Claassens.

Der Tag neigt sich dem Ende zu. Die beiden fahren hinaus zum Trainingsgelände des Clubs, einige Kilometer außerhalb von Palma. Der Jugendleiter wartet schon und berichtet vom Tag. Claassen sagt unendlich oft „perfetto“, was die Hochachtung für die Leistung seiner Mitarbeiter ausdrücken soll. Draußen drehen sich pausenlos die Düsen der Beregnungsanlage. Fünf Trainingsplätze gilt es pausenlos zu bewässern, um das satte Grün zu erhalten. Und das bei dieser Hitze. „Das kostet richtig viel Geld, aber wir brauchen professionelle Bedingungen, um top zu werden“, sagt Claassen. Dabei strahlt er wie die Sonne am Tag. Der Mann hat eine neue Mission. Diesmal auf Mallorca.