Die Streikenden haben sich in einer Ecke von Terminal drei versammelt. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Schon wieder kommt es im Flugverkehr zu massiven Beeinträchtigungen. Neben Berlin wird der Stuttgarter Flughafen von einem Warnstreik der Passagierabfertigung massiv getroffen. Das frustriert die Fluggäste und gibt der Gewerkschaft Verdi Auftrieb, die den Streik sogar bis in den Abend ausweitet.

Stuttgart - Lange Menschenschlangen und viele verunsicherte Passagiere am Stuttgarter Flughafen – der Luftverkehr wird ein weiteres Mal von Arbeitskampfmaßnahmen getroffen. Diesmal hat die Gewerkschaft Verdi die Beschäftigten der S. Stuttgart Ground Services (SGS) mit Beginn der Frühschicht um 3.30 Uhr zu einem mehrstündigen Warnstreik aufgerufen. Es ist ein unangekündigter Streik, weshalb es zu erheblichen Beeinträchtigungen kommt. Bis gegen 13 Uhr fallen nach Flughafen-Angaben allein in Stuttgart insgesamt 15 innerdeutsche Flüge aus. Der ursprünglich bis gegen 14 Uhr anhaltende Ausstand wird nach einer Betriebsversammlung sogar bis in den Abend um 21 Uhr ausgedehnt, so dass insgesamt 100 Mitarbeiter daran beteiligt sind.

Die SGS ist als Tochter der Flughafen Stuttgart GmbH (FSG) für die Passagierabfertigung der meisten Airlines außer der Lufthansa zuständig. Weil gleichzeitig auch in Berlin-Tegel und Schönefeld die Bodenverkehrsdienste bestreikt werden, wo Verdi wegen seines guten Organisationsgrades den gesamten Betrieb lahmlegen kann, zudem in Hamburg Arbeitsniederlegungen erfolgen, sind massive Beeinträchtigungen auch bei Lufthansa und Eurowings die Folge. Insgesamt werden nach Verdi-Informationen mindestens sieben Abflüge und acht Ankünfte vor allem von Air Berlin und Eurowings gestrichen. Bei sehr vielen Flügen kommt es zu ein- bis vierstündigen Verspätungen, was für viele Passagiere Auswirkungen auf Anschlussflüge hat. Beim Flughafen tagt ein Krisenstab, um die Ausfälle mit weiterem Personal zu kompensieren, was sich so kurzfristig als schwierig erweist.

Streiken darf nur eine relativ kleine Gruppe

Gegen sechs Uhr an diesem Mittwochmorgen sind Verdi zufolge vier von 20 Schaltern geöffnet, zudem lediglich fünf Gates. Bis zu 50 Streikende haben sich in der linken Ecke von Terminal drei versammelt – fast so viele, wie in dieser Zeit sonst arbeiten müssten. „Wir streiken“, steht auf einem Banner. Ansonsten fallen sie kaum auf.

Weil Verdi das Gros der SGS-Beschäftigten in jüngster Vergangenheit als Mitglieder gewinnen konnte, ist die Gewerkschaft in dieser relativ kleinen Gruppe mittlerweile fast zu 100 Prozent organisiert. Insgesamt sind gut 300 SGS-Mitarbeiter in der Passagierabfertigung tätig – konkret am Check-In-Schalter und am Gate sowie für den Ticketverkauf. Nicht jedoch für die Bodenabfertigung auf dem Rollfeld: Für diese Mitarbeiter in der FSG-Tochterfirma Stuttgart Airport Ground Handling (SAG-AGS) gilt ein anderer Tarifvertrag, ebenso für das Sicherheitspersonal und erst recht für die Lufthansa-Mitarbeiter.

Vielfach muss ein Nebenjob her

Die SGS-Beschäftigten kämpfen unter anderem für ein Lohnplus von zwei Euro pro Stunde – die Arbeitgeberseite bietet bisher 18 bis 32 Cent, abhängig von der Entgeltgruppe. Zu etwa 40 Prozent sind sie befristet beschäftigt. Das für die Region Stuttgart geringe Lohnniveau erfordert in vielen Fällen Nebentätigkeiten: Von den 9,20 Euro könne sie trotz 35 bis 40 Wochenstunden nicht leben, sagt eine Streikende – weshalb sie jeden Mittag nach ihrem Morgenjob beim Flughafen noch als Tagesmutter arbeitet. Eine 26-Jährige hat unlängst noch nebenher gekellnert, weil sie mit dem Bruttolohn von 1500 bis 1800 Euro im Sommer und 500 Euro im Winter nicht über die Runden kam. Jetzt verdient sie 11,52 Euro pro Stunde, doch das sei immer noch zu wenig. Eine 37-Jährige geht zwei- bis dreimal die Woche in einem Hotel kellnern, weil das Geld – 1100 Euro im Winter bis 1600 Euro im Sommer – für sie und ihre zwei Kinder nicht reicht. Und eine 60-jährige Streikende mit vier Kindern muss neben dem 30-Stunden-Job am Flughafen, der ihr etwa 900 Euro netto einbringt, nachmittags noch im Altersheim hinzuverdienen. Insgesamt sei sie jeden Tag zwölf Stunden auf den Beinen, schildert die SGS-Beschäftigte.

Frustration und Irritationen bei den Fluggästen

Empört diskutiert die Gruppe über die massiven finanziellen Zuwächse, die sich die Landtagsabgeordneten gerade genehmigt haben – das ist Motivation auch für die Streikenden. Umso mehr freuen sie sich über die große Signalwirkung ihrer Aktion in Verbindung mit den Ausfällen in Berlin und Hamburg. Die Tarifverhandlungen werden am 13. Februar fortgesetzt, doch ist noch nicht mit einem Ergebnis zu rechnen. Für den 1. März ist schon ein weiterer Termin vorgesehen. Weitere Streiks könnten somit folgen.

Immer wieder ertönen Lautsprecherdurchsagen: „Aufgrund von Streikmaßnahmen bei den Bodenverkehrsdiensten kommt es zu Verzögerungen... Bitte achten Sie auf die Durchsagen.“ Und andere Flughafen-Mitarbeiter reichen den Passagieren Wasser. Doch all dies kann deren Enttäuschung kaum mindern. Viele von ihnen fühlen sich völlig uninformiert und im Stich gelassen. Ein junger Mann lässt seinen Frust an Verdi-Landesfachbereichsleiter Andreas Schackert aus: „Warum bestrafen Sie mich mit ihrem Streik?“, fragt er empört. Der erwidert, dass der Streik nicht gegen die Passagiere gerichtet sei.

Die Kreuzfahrt ist akut gefährdet

Eine Frau, die mit SAS nach Kopenhagen fliegen will, ist ebenso auf der Palme: In der dänischen Hauptstadt hat sie lediglich zwei Stunden Zeit bis zum Weiterflug nach Bergen, wo sie auf einem Kreuzfahrtschiff einchecken will. Das könnte eng werden, denn bis zum geplanten Abflug in Stuttgart ist lediglich noch eine Stunde Zeit. Hilflos stellt sie sich an einem Infoschalter an. „Hier sagt und weiß keiner etwas“, beklagt sie sich. Zwei weitere Frauen wollen über Kopenhagen nach Shanghai und sind nur wenig gelassener. Ein Mazedonier hat seine Boardingzeit praktisch schon verpasst – er will mit Austria Airlines über Wien nach Skopje fliegen und hat dort einen wichtigen Termin. Erst am Abend startet der nächste planmäßige Flug nach Wien. Ratlos steht er in Terminal zwei – „der Tag ist verloren“, sagt er. Eine weitere Frau verdächtigt irrtümlich den streikgeplagten Lufthansa-Konzern, auch diesen Ausstand zu verursachen: „Die Eurowings und ihre blöden Streiks“, stöhnt sie. „Irgendwie verstehe ich es schon – aber toll ist es nicht.“

Verdi-Fernziel ist der Branchentarifvertrag

Die Stuttgart Ground Services GmbH wurde im Jahr 2000 als Tochterunternehmen der Flughafen Stuttgart GmbH gegründet. Die FSG ist mit 51 Prozent an der SGS beteiligt, 49 Prozent sind im Besitz der Firma Aviation Handling Services (AHS), die aus sieben Flughafengesellschaften besteht. Die SGS ist der einzige Anbieter in Stuttgart, der Leistungen in der Passagierabfertigung anbietet. Verdi zufolge hat die SGS ihren Jahresgewinn von 2014 bis 2016 um über 75 Prozent auf voraussichtlich 1,9 Millionen Euro gesteigert.

Verdi muss mit den Flughafen-Töchtern einzeln verhandeln, hofft aber als Fernziel auf eine bundesweite Tarifbewegung – dann auch unter Einbeziehung der Flughäfen Frankfurt und Düsseldorf, wo man noch nicht so weit ist. Somit will die Gewerkschaft die in der Branche üblichen Haustarifverträge durch einen bundesweit einheitlichen Branchentarifvertrag ersetzen, der für alle Beschäftigten bei Dienstleistern von Passagierservices und Bodenverkehrsdiensten gelten soll.

Hinweise des Flughafens

Der Flughafen Stuttgart empfiehlt allen Passagieren, online einzuchecken und sich möglichst auf Handgepäck zu beschränken. Zudem sei eine Information schon vor der Anreise zum Flughafen ratsam. Zeitnahe Informationen sind auf der Website des Flughafens unter www.stuttgart-airport.com sowie bei Twitter (@str_flughafen) oder bei der Airline erhältlich.