Vom Skulpturenpfad hat man beste Sicht ins Remstal Foto: Jochen Beglau/Stadt Weinstadt

Strümpfelbach feiert sein 750-jähriges Bestehen. Der Ort ist voller Fachwerk und blühender Gärten, umgeben von steilen Reblagen und Obstwiesen. Touristen geraten in der Idylle gern auf erotische Abwege.

weinstadt - Munter und nichts ahnend marschieren die drei Wanderer durch die blitzsauber angelegten Weinberge, den Sinn fest eingeordnet auf ein Vesper mit einem Viertele Trollinger in einer der traditionsreichen Wirtschaften dort unten. Doch plötzlich halten die Sportsleute an. Eine Fata Morgana? Halluzinationen wegen mangelnder Kondition? Der Blick sucht Zuflucht in der lieblichen Landschaft und auf den noch fernen Ziegeldächern des Dorfes, das sich in das enge Tal schmiegt. Aber es gibt kein Entkommen. Was hier oben zwischen den Reben so unvorhergesehen über die drei hereinbricht, erfasst ihre Behaglichkeit so lässig wie die Sturmböe ein Sandkorn.

Zwei kopulierende Paare, im Stehen, säumen einfach so den Wegesrand. Daneben die lapidar mit kleinen Schildchen als „Riesling“ und „Silvaner“ ausgewiesenen Reihen von Weinstöcken, deren Abstände zentimetergenau ausgemessen scheinen. Etwas weiter unten vor den in sattgrünem Laub reifenden Müller-Thurgau-Trauben die prominenten Hinterbacken einer sich nackt auf einer Bank Ausstreckenden. Wo sind wir?

In Strümpfelbach! Wo man ganz schamlos einen Skulpturenpfad eingerichtet hat. „Europa mit Stier“, „Leda mit Schwan“ und „Liegende“ heißen die bronzenen Figuren. Es ist also zulässig, sich den nackten Gestalten im Schutz kulturellen Interesses zu nähern. Allesamt stammen sie aus einer berühmten Strümpfelbacher Künstlerdynastie, von Vater Fritz Nuss, Sohn Karl-Ulrich Nuss und Enkel Christoph Traub. Man ist schaffig im Remstal. Das Atelier im Dorf platzte aus allen Nähten, und so erweiterte man die Ausstellung vor ein paar Jahren einfach die Weinbergpfade hoch.

Der Ort hat seinen Namen vom Strümpfelbach, einem kleinen, klaren Wasserlauf, der über steinige Stufen vom Schurwald herunterspringt und sich durch die anschließenden Weinberge schlängelt. Nach Osten ziehen sich steile Reblagen hoch bis zu den Bergkämmen, Obstbaumwiesen steigen über der anderen Talseite an. Im Strümpfelbacher Ortskern findet man uraltes Fachwerk. Schmuck und akkurat wie der ehemalige Forsthof oder auch schief wie eine alte Scheuer. In den verwinkelten Gassen ist kein Haus wie das andere.

Um das 1591 erbaute Rathaus von Strümpfelbach kommt man nicht ohne einen großen Bogen herum. Die neue Ortsstraße führt von beiden Seiten frontal darauf zu, und das Gebäude stemmt sich in den Verkehr, trotzt mit seiner Anmut der umgeleiteten Moderne. Wenn der alte Laubengang des Rathauses im Sommer von Weinlaub berankt und mit Geranien geschmückt ist und drum herum all die prächtigen Gärten um die Wette blühen, bricht die dörfliche Idylle vollends durch jede Holzritze. Ohne weiteres taugt Strümpfelbach dann zum schönsten Weinort Württembergs. Um wie viel schöner muss es allerdings noch gewesen sein, als der Strümpfelbach und der Hüttenbach genau hier vor aller Augen aufeinanderstießen, zusammen unter dem Rathaus hindurchschossen und von da aus gemeinsam weiter Richtung Rems jagten. Für die neue Straße hat man beide Bäche schnöde verdolt und sich so selbst der größten Attraktion des Dorfes beraubt. Als ob es nur ein blöder Zufall gewesen wäre, dass man einst das Amt des Schultheißen eben an dieser allerspektakulärsten Stelle der alten Siedlung erbaut hat. Mit der sogenannten Gemeindereform hat man 1975 Großheppach, Endersbach, Beutelsbach, Schnait und Strümpfelbach zu Weinstadt zusammengekleistert. Der Weinbau verbindet alle diese Orte von alters her, das ist wahr. Aber umso mehr möchte man doch wissen, wo genau das Viertele herkommt, das man sich grade über die Zunge rollen lässt! Noch weitaus größeren Wert als die fremden Besucher legen die Beutelsbacher, Strümpfelbacher und Schnaiter selbst darauf, ihren Trollinger, Riesling und Silvaner lokalisieren zu können. Man ist sich nicht sonderlich grün untereinander. Schon gar nicht, was den Wein angeht.

Die in Beutelsbach eingerichtete Remstalkellerei wird dem gerecht und druckt die alten Ortsnamen unbeirrt weiter aufs Etikett. Denn es ist doch keine Lage wie die andere, auch nicht, wenn es die gleiche Rebsorte ist. Das Alter der Weinstöcke, die Ausrichtung des Weinbergs zur Sonne, die mitunter doch sehr verschiedenen Böden spielen eine große Rolle. Und schließlich hat das Ganze auch noch etwas mit Gefühlen zu tun. Aber das erzähle einem Schreibtischtäter, der fürs Begradigen, Vereinheitlichen und Normieren zuständig ist. Oder für die „Rebflurbereinigung“. Das über Jahrhunderte bewährte Gefüge aus in schweißtreibender Arbeit angelegten Terrassen und Trockenmäuerchen wurde aus angeblich wirtschaftlichem Denken heraus kurzerhand so gründlich „bereinigt“, dass 1988 die Weinberge des nahen Kleinheppacher Kopfes samt ihren wertvollen Böden in voller Breite abrutschten.

Von einer solchen Katastrophe blieb Strümpfelbach verschont. Zwar wurden auch hier die Terrassen eingeebnet, die quer zum Berg stehenden Rebstöcke ausgerissen und dafür den Berg hochlaufende Reihen angepflanzt. Aber irgendwie hat man es verschmerzt. Immer noch gibt es die Lagen „Nonnenberg“, „Altenberg“ und „Gastenklinge“. Auch Spitzenwinzer wie Aldinger aus Fellbach und Haidle aus Stetten bauen hier ihre Gewächse an.

Als die drei Wanderer den Ort erreichen, wölbt sich ihnen der unglaublich dicke Bauch eines nackten Mannes entgegen. Das Wander-Trio zieht lachend vorbei – man weiß inzwischen Bescheid und lässt sich von den bronzenen Eulenspiegeleien aus dem Hause Nuss nicht mehr irritieren. Es geht weiter Richtung Ortsmitte. Und in einer lauschigen Gartenwirtschaft gibt es endlich den ziegelroten Trollinger aus den Weinbergen da oben.