Die künstliche Welle im Surfpark Snowdonia in Wales ist gleichmäßig und stabil - auch Anfänger haben so rasch ein Erfolgserlebnis. Foto: Cyris

Im neu eröffneten Surfpark Surf Snowdonia in Wales reiten Anfänger und Könner auf bis zu 150 Meter langen, künstlich erzeugten Brechern.

Conwy - „Stellt euch vor, dass zwischen euren Pobacken sündhaft teure Fußballtickets für das Pokalfinale klemmen.“ Zur Demonstration legt sich der Surflehrer namens Inigo bäuchlings auf ein Surfbrett und presst Beine und Hinterteil fest zusammen. Fußballtickets, auf Nimmerwiedersehen vom Winde verweht - dieses Szenario ist im Norden von Wales nicht ganz unwahrscheinlich. Schließlich kommen viele Urlaubsgäste aus Liverpool und Manchester herüber, den bekannten englischen Fußballhochburgen. Seit der Surfpark Snowdonia vor noch nicht einmal einem Monat eröffnet hat, ist es sogar möglich, sein Finalticket auf einem Surfbrett zu verlieren. Natürlich nur theoretisch.

Denn die Surfanfänger befolgen den Rat und pressen folgsam die Schenkel aneinander, für eine bessere Balance beim Hinauspaddeln in die Brandung. Und beim Warten auf die perfekte Welle. Da fliegt nichts mehr vom Brett - weder der Surfer noch das Ticket. Zunächst ist die Wasseroberfläche in dem riesigen ovalen Wasserbecken total glatt. Erst auf Knopfdruck türmt sich eine bis zu zwei Meter hohe Welle auf und rauscht durchs Becken, 16 Sekunden lang und wohlproportioniert. Laut Angaben der Betreiber sind dies die längsten von Menschenhand erzeugten Wellen der Welt. Zwei Surfcracks, mit allen Wassern gewaschen, reiten auf dem Wellenkamm und zeigen, wie man Oberwasser behält und dabei auch noch eine gute Figur macht. Die Woge klatscht an den schrägen Beckenrand und versinkt dort.

Eine Landschaftskulisse wie im Voralpenland

Die Teilnehmer des Anfängerkurses gucken beeindruckt. Nach ein paar Trockenübungen und Sicherheitshinweisen geht es für sie selbst ins 15 Grad kalte Wasser. Dank der Neoprenanzüge ist die Temperatur gut auszuhalten. Die Luft ist lau, allerdings pfeift ein strammer Wind durchs bewaldete Conwy-Tal. Eine Landschaftskulisse wie im Voralpenland. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich der gebirgige Nationalpark Snowdonia, der bei der Namensgebung des Surfparks Pate stand. Doch dafür hat momentan keiner einen Blick.

„Immer geradeaus schauen“, ermahnt Inigo. Er ist Baske. Es waren auch surfverrückte Ingenieure aus Nordspanien, die jahrelang an der komplizierten Wellentechnik getüftelt haben. Unterschiedliche Wassertiefen sorgen dafür, dass die Welle rechtzeitig bricht und dann in gleichmäßiger Höhe ausläuft. Dank wasserdurchlässiger Spezialplanen am Beckenrand schwappt die Welle außerdem nicht zurück. Das würde den Betriebsablauf stören und die Wartezeit auf die nächste Welle in die Länge ziehen. Rein theoretisch kann alle 90 Sekunden eine Welle auf die 150 Meter lange Reise geschickt werden. Ganz passabel, verglichen mit manchem Surfquickie im Meer.

Selbst beim Drumherum wurde an alles gedacht: Die sandfarbenen Planen täuschen Strandatmosphäre vor. Von echtem Sand gibt es freilich keine Spur. Auch die Sonne ziert sich. Es fängt zu tröpfeln an. Das Wetter in Wales schlägt relativ schnell um. „Egal, sobald du auf der Welle reitest, vergisst du alles um dich herum“, prophezeit Jana Virian, Surflehrerin aus Deutschland, die mit Freunden regelmäßig vor der Küste von Wales surft, auch im Winter. Seit Anfang August arbeitet sie für Surf Snowdonia - also seit der Eröffnung.

„Gleichmäßig paddeln!“

Die Belegschaft ist eine bunte Truppe aus internationalen Surffreaks. Und wie es sich fürs Klischee gehört, sind wahrhaftig viele von ihnen blond und langmähnig. Doch zurück zur Anfängertruppe. Trainer Indigo gibt weitere Tipps: Bauch aufs Brett pressen und das Kinn heben, als befände sich ein Basketball darunter. „Sobald die Welle kommt, macht ihr zwei, drei Paddelbewegungen, stemmt die Arme hoch, steht schnell auf, die Füße parallel, in Karatehaltung“, erläutert Inigo. Ein leises Brummen, schon türmt sich das Wasser auf und setzt sich in Bewegung. Die Welle ist 70 Zentimeter hoch - Anfängerhöhe. „Gleichmäßig paddeln!“ ruft Inigo, „und jetzt aufstehen!“

Wie war das doch gleich? Man würde alles vergessen, sobald man auf der Welle reitet? In der Tat! Allerdings vergisst der Neuling auch das Einmaleins des Wellenreitens. Links und rechts plumpsen die Teilnehmer ins Wasser. Doch immerhin eine Handvoll schaffen es, sich für einige Sekunden auf dem Brett zu halten. Nicht schlecht für den Anfang. Für manchen war es die erste Surfwelle ihres Lebens. Damit geht der Spaß erst richtig los. Denn ab jetzt nähert sich alle 90 Sekunden eine Welle. Höchste Taktzahl. Die Surfschüler haben alle Arme voll zu tun, um jedes Mal rechtzeitig in Position zu sein. Und doch ist das Surfen in der künstlichen Lagune längst nicht so Kräfte raubend wie im Meer.

„Es gibt keine Strömungen, deshalb muss man auch nicht so fest paddeln“, erklärt Surflehrerin Jana. Die kalkulierbaren Abläufe würden es außerdem Menschen mit Angst vor dem offenen Meer einfacher machen, aufs Brett zu steigen. Die überschaubaren Wassertiefen helfen überdies, Ängste zu überwinden. Und nicht zu vergessen: Im Surfpark gibt es garantiert keine Haie! Wenn überhaupt, verirrt sich höchstens mal ein Regenwurm ins Becken, das ausschließlich von Regenwasser aus dem Nationalpark Snowdonia gespeist wird.

„Es sieht hier jetzt eindeutig besser aus als zuvor“

Über eine Leitung strömt es aus den Bergen ins Becken. Turbinen erzeugen dabei die Energie, die für den Anschub der Wellen benötigt wird. Die Betreiber des Surfparks haben also auch an Nachhaltigkeit gedacht. Selbst die Bebauungen haben der Landschaft nicht geschadet - im Gegenteil. Das Gelände war zuvor eine große Industriebrache - am Rande des Dorfs Dolgarrog befand sich einst eine unansehnliche Aluminiumfabrik. Allein die Dekontaminierung des Bodens habe 1,3 Millionen britische Pfund verschlungen, teilt das Management von Surf Snowdonia mit. „Es sieht hier jetzt eindeutig besser aus als zuvor“, sagt Geschäftsführer Andrew Inscough.

Da stören selbst die beiden grauen Betonklötze mitten im Becken nicht weiter, in denen die Technik versteckt ist. „Wir wollen und können das Meer nicht ersetzen“, sagt Jana. Dennoch sei der Surfpark eine gute Alternative: „Hier lernt man schnell.“ Weil die Wellen fast immer identisch seien, unabhängig von den Gezeiten, von Wind und Wetter. Eine Welle, die praktisch immer sitzt.

Infos zu Wales

Anreise
Zum Beispiel mit Lufthansa, www.lufthansa.com , nach Manchester, von dort per Mietwagen oder öffentlichem Nahverkehr über Conwy nach Dolgarrog.

Surfpark Surf Snowdonia
Noch voraussichtlich bis Ende November geöffnet. Eine Stunde Wellenreiten inklusive Surfbrettverleih 39 Euro, Anfängerkurse ab 70 Euro inklusive Boardverleih und Neoprenanzug. Auch Kajakfahren und Stand-up-Paddling sind möglich, das Becken ist täglich von 10 Uhr bis Sonnenuntergang zugänglich, www.surfsnowdonia.co.uk

Unterkunft
Aufwachen mit der Welle: Direkt am Beckenrand von Surf Snowdonia gibt es einfache Holzhütten, ab 130 Euro pro Nacht für 4 Personen, inkl. Frühstück, www.surfsnowdonia.co.uk

Beliebtester Ferienort der Region ist Llandudno mit spektakulärer Seepromenade und unzähligen Hotels in viktorianischer Bauweise, etwa das schicke, neu eröffnete Llandudno Bay Hotel im Boutique-Stil, ab 170 Euro für 2 Personen inkl. Frühstück, www.llandudnobayhotel.com

Wellen weltweit
Surfparks mit wandernden Wellen gibt es derzeit u. a. in Florida (Disneys Typhoon Lagoon), in den Vereinigten Arabischen Emiraten (Wadi Adventure) und in Nordspanien (Wavegarden). Deutsche Surffreaks kennen den Eisbach in München mit seiner „stehenden“ Welle. Stehende Indoor-Wellen, sogenannte Flowrider, bieten etwa Erlebnisbäder auf Borkum, www.gezeitenland.de , und in Bad Tölz, www.alpamare.de .

Eine stehende Flusswelle gibt es außerdem auf dem Inn in Tirol, www.area47.at

Allgemeine Informationen
Wissenswertes zu Wales gibt es unter www.visitwales.de , www.visitsnowdonia.info