Abwärtsspirale oder Zukunftswerkstatt? VW wird von allen Parteien auffällig milde behandelt. Foto: Getty

Beim Duell der Parteien in Niedersachsen steht immer die Zukunft des VW-Konzerns im Hintergrund. Dabei kommt es zu delikaten Situationen.

Wolfsburg - Seltsam, dieses Wolfsburg. Die Fabrik von VW ist Blickfang, der Dreh- und Angelpunkt, nun erweitert um die moderne Autostadt, aber den Reißbrettcharakter dieser 1938 für die Herstellung des KdF-Wagens gegründeten Stadt wird Wolfsburg wohl nie los. Eine an DDR-Zeiten erinnerende Fußgängerzone mit MäcGeiz-Geschäften, in der viele Läden um 18 Uhr schließen, moderne Bauten von Stararchitekten wie Alvaar Aalto, die wie „teure Klunker am Hals einer Neureichen“ wirken, wie es mal ein Städtebauer formulierte. Und dann der Taxifahrer, ursprünglich aus Afghanistan, längst eingedeutscht, der erstmals AfD wählen wird, wegen der freizügigen Flüchtlingspolitik – und er meckert über seinen Wohnort. „Wolfsburg ist eine tote Stadt, langweilig. Die Arbeiter fahren abends heim, essen ein paar Brote und trinken ihr Bier. Selbst die einzige Disco hat in der VW-Krise dichtgemacht“, sagt er.

Das Wunder von Wolfsburg

Wolfsburg war lange eine CDU-Stadt, bis ein Stadtwerkeskandal den schwarzen Bürgermeister aus dem Amt fegte. Jetzt ist es rot. Der Bürgermeister ist ein Genosse, und sein Sohn, der 33-jährige Falko Mohrs, hat bei der Bundestagswahl ein politisches Wunder vollbracht: Er hat einem Christdemokraten das Direktmandat im Wahlkreis Wolfsburg-Helmstedt abgeknöpft. Jetzt wird Mohrs bei der Wahlkampfveranstaltung „Auf ein Wort mit Stephan Weil“ in der Begegnungsstätte Föhrenkrug wie ein Star gefeiert. 150 Leute sind da, ein Shantychor singt, und SPD-Ministerpräsident Weil räumt gleich zu Beginn das Thema VW ab: Er sei in den letzten zwei Jahren oft in Wolfsburg gewesen, als VW-Aufsichtsratmitglied, denn das Land Niedersachsen hält 20 Prozent der VW-Anteile, und die Besuche seien wegenDieselgatenicht vergnügungssteuerpflichtig gewesen. Aber im Gegensatz zu 2015, als die Abgasschummelei in den USA publik wurde und er „um die Existenz“ des Konzerns bangte, habe er jetzt den Eindruck: „VW hat es geschafft.“

Die Parteien wollen VW raushalten

Rund 100 000 Jobs hängen in Niedersachsen an VW, allein 60 000 hat das Stammwerk in Wolfsburg, es ist der größte Arbeitgeber des Landes, und als der mächtige VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh, ein SPD-Mitglied, im Sommer dazu aufrief, das Thema VW nicht für den Wahlkampf zu missbrauchen, hielten sich alle Parteien daran – eine Zeit lang. Stephan Weil, der im Föhrenkrug auf Fragen antwortet, die Bürger auf Bierdeckel geschrieben haben, muss viel zur Schulpolitik sagen, über die Überlastung der Polizei und mögliche Koalitionen sprechen. Das seit 2013 regierende Rot-Grün wird bei der Landtagswahl am Sonntag vermutlich keine Mehrheit erzielen. Einige Fragen drehen sich auch um VW – vor allem seine Zukunftsfähigkeit und was die E-Mobilität für einen Sinn habe, wenn der Strom aus Braunkohlenmeilern stamme.

Weil kontert brav, seine Loyalität zum Konzern ist unerschütterlich. VW habe wegen Dieselgate „ein hohes Lehrgeld“ gezahlt, aber jetzt sei man auf dem Weg in die Moderne mit Elektroantrieben und Brennstoffzellen. Bald werde der Raum Wolfsburg-Braunschweig mit VW zum IT-Zentrum und Wissenschaftsstandort des Landes: „Wolfsburg bleibt Stadt der Mobilität!“ Beifall brandet auf. Der Jungpolitiker Falko Mohrs war selber bei VW, als Fertigungskoordinator und Chef von 800 Leuten, jetzt ist er Bundestagsabgeordneter und am Mittwoch war sein letzter Arbeitstag im Werk – er kennt die Sensibilitäten. Er berichtet von der Verunsicherung der Belegschaft in der Krise, die VW-Mitarbeiter fühlten sich in einer Art „Kollektivhaftung“, obwohl sie selbst gute und ehrliche Arbeit leisten. „Nur wegen des Fehlverhaltens von einigen sehen sich viele als Lügner abgestempelt, da sie bei VW sind.“ In dieser Lage will keiner Politiker hören, die in der Vergangenheit bohren, und Mohrs kritisiert denn auch den CDU-Spitzenkandidaten Bernd Althusmann dafür, dass er dem Aufsichtsratsmitglied Weil zuletzt im TV-Duell mangelnde Kontrollfunktion vorgeworfen habe. „Die CDU will im Wahlkampf zulasten von VW Kapital aus dem Skandal schlagen“, sagt Mohrs. Das komme im Werk nicht gut an. Im Übrigen dürfe ein Aufsichtsrat nicht ins operative Geschäft eingreifen.

Die CDU holzt gegen Ministerpräsident Weil

Aber Bernd Althusmann, Ex-Kultusminister und Hauptmann der Reserve, lässt nicht locker, wirft dem Ministerpräsidenten vor, dass er nur aus der Zeitung etwa von den hohen Übergangszahlungen an den kürzlich verhafteten Ex-Porsche- Vorstand Wolfgang Hatz erfahren habe: „Für jeden VW-Arbeiter ist es ein Schlag ins Gesicht, dass die verantwortlichen Manager für ihr konzernschädigendes Verhalten großzügige Belohnungen kassieren, während die Arbeitsplätze von VW-Zeitarbeitern gestrichen werden!“

Schöner hätte es die Linkspartei wohl nicht formulieren können. Bei der Wolfsburger CDU hält man Althusmann die Stange, murmelt aber hinter vorgehaltener Hand, dass ein vor Jahren verbreiteter Spruch des Ex-CDU-Ministerpräsidenten McAllister („Wir müssen den Augiasstall bei VW ausmisten“) „böse“ angekommen sei. Die Wolfsburger CDU lädt ins stattliche Herrenhaus des Grafen Günther von der Schulenburg nach Niedersteimke zu einer Veranstaltung. Wolfspelze liegen auf Marmor, Ölgemälde hängen an der Wand, und der Wahlkampf findet unter Kronleuchtern statt. Hier ist das konservative, ländliche Niedersachsen zu Hause, die Stammwählerschaft der CDU. 50 Leute sind da, breitschultrige Landwirte, Beamte, Unternehmer. Gekommen als Redner ist der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Michael Grosse-Brömer aus Berlin, den der Graf herzlich als „Niedersachsen, Jäger und Gespannfahrer“ begrüßt. Dann hält von Schulenburg eine Schmährede auf den „unverschämten“ grünen Landwirtschaftsminister Christian Meyer, diesen „Sozialarbeiter aus Holzminden“, der ihn mal auf der Grünen Woche einfach habe stehen lassen und dem Agrarland Niedersachsen vier schlimme Jahre beschert habe.

Radikale Kursänderungen? Will niemand

Aber auch der Graf sagt: „Wir alle hängen an VW.“ Der Mittelstand habe in der Krise gelitten, einem Tagungshotel seien 70 Prozent der Gäste weggeblieben, Zulieferer stornierten Aufträge, die Stadt Wolfsburg verhängte eine Ausgabensperre. Stephan Weil aber sei „immer nur zum Osterlohe gelatscht, statt sich um unseren Mittelstand zu kümmern“.

Keine Partei in Niedersachsen will am VW-Gesetz rütteln, nicht mal die FDP. CDU und Grüne erwägen, den zweiten Aufsichtsratsposten mit einem Wirtschaftsprüfer (CDU) oder einem Umweltexperten (Grüne) zu besetzen. Aber selbst bei Grünen in Wolfsburg ist man, was radikale Kursänderungen anbelangt, skeptisch. Grünen-Kandidat Axel Bosse ist VW-Urgestein, mit 15 Jahren fing er dort als Lehrling an, heute ist er 65 und erinnert sich, wie die Belegschaft beim Begräbnis von VW-Manager Heinrich Nordhoff 1968 Spalier stehen musste. Er glaube, die Diskussion über die Aufsichtsratskontrollfunktion werde aufgebauscht, sagt Bosse. Der befasse sich doch eher mit Standortfragen, was bei sechs inländischen Werken schon ein großes Thema sei. „Ich vermute, die Schummelei ist in einer kleinen Gruppe in der Motorenentwicklung passiert.“

Bosse kann viele Geschichten über Volkswagen erzählen, etwa die vom Vorstandsmitglied, das wegen eines Staus nicht aus der Tiefgarage kam und deswegen im Rathaus anrief. Überhaupt ist das Verhältnis der Stadt zu VW innig. „Bei jedem runden Geburtstag der Stadt schenkt VW ihr was: mal eine Schule, ein Freibad oder Planetarium.“ Der Grüne hat dagegen nichts einzuwenden. Eine von VW gestiftete Gesamtschule habe einen ganz tollen integrativen Ansatz – durchgesetzt von Ferdinand Piëch. Sie wird übrigens von einer grünen Direktorin geleitet.