Die Künstler sind in ihre Kreativkisten vor der Halle gezogen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Morbide wirken sie, die Wagenhallen. Und tatsächlich waren sie todgeweiht. Doch für 30 Millionen Euro werden sie runderneuert. 2018 sollen Veranstalter und Künstler wieder einziehen können.

Stuttgart - Es hat geknirscht und gekracht in den Wagenhallen. Nicht nur im Gebälk. Wie die Gebäude saniert werden sollen, darüber stritten nicht nur die dort arbeitenden Künstler und Veranstalter, sondern auch die Stadträte. Der Zoff war deshalb so heftig, weil nach 13 Jahren der Zwischennutzung eine Ära endet. Nun sind der Worte genug gewechselt, die Bauarbeiter rücken an. Ein Überblick.

Die Geschichte: Die Wagenhallen wurden 1890 gebaut. Die Bahn stellte dort ihre Loks ab, wartete und reparierte sie. Später parkten Busse dort. Weil das Gelände als Logistikfläche für den Bau von Stuttgart 21 vorgesehen war, verfiel es in einen Dornröschenschlaf. Der Tiefbahnhof ließ auf sich warten, also zogen Künstler zunächst in Waggons am Nordbahnhof. 2003 eroberten sie die Hallen. Mittlerweile gehört das Areal der Stadt, die kümmerte sich zunächst nicht um die Besetzer. Dann hangelte man sich von Mietvertrag zu Mietvertrag, ehe 2015 klar wurde: die Statik ist nicht gewährleistet, der Brandschutz ungenügend. Die Hallen mussten umgebaut werden. Ende 2016 beschloss der Gemeinderat die Sanierung.

Der Zeitplan: Es war ein Werkeln und Schaffen in den Wagenhallen. Alles musste raus. Die rund 70 Künstler, der Veranstaltungsbereich von Thorsten Gutbrod und Stefan Mellmann, sowie die Tanzschule Tango Ocho sind Ende 2016 ausgezogen. Die Räume sind nun leer. Mitte 2018 sollen alle wieder einziehen können.

Der Umbau: „Gestalterische Prämisse bei der Entwicklung der Wagenhallen ist der erlebbare Erhalt des industriellen und ruppigen Charakters der historischen Werkhalle“, so steht es in der Vorlage des Gemeinderats. dafür soll der Entwurf des Ateliers Brückners sorgen. Peter Holzer, Chef des Hochbauamts, drückt das so aus: „Es wird nicht mehr morbide sein, aber der Charme bleibt erhalten.“ Vor allem deshalb, weil das Mauerwerk aus Backstein ertüchtigt wird, und das „filigrane Tragwerk“ aus dem Jahre 1890 intakt genug ist, um das neue Dach zu tragen. Die losen Partikel des bleihaltigen Korrosionsschutzes sauge man ab, dann werde man Träger für Träger nachbessern. Um die Last zu verringern, die auf den Trägern ruht, hat man extra Material fürs Dach entwickelt, das leicht ist und trotzdem gut dämmt und guten Schallschutz bietet. Und über dem Tango Ocho wird man wieder den Dreiecksgiebel erreichten, der im Laufe der Zeit verlorenging.

Die Räume: Die Mieter bekommen allesamt mehr Platz. Der Veranstaltungsbereich wird auf 4050 Quadratmeter ausgeweitet. Garderoben, sanitäre Anlagen entstehen neu, bei Konzerten ist Platz für 2100 Besucher – statt wie bisher für 700. Die Kleine Kneipe bleibt erhalten. Der Kunstverein kann seine Ateliers auf 8420 Quadratmeter ausbreiten. Das Tango Ocho verfügt über 450 Quadratmeter.

Der Brandschutz: Zwischen dem Veranstaltungsbereich und den Ateliers entsteht eine F90-Brandschutzwand. Das heißt, sie hält 90 Minuten einem Feuer stand. Dies ermöglicht unterschiedliche Einstufungen. Der eine Bereich gilt als Versammlungsstätte mit höchsten Anforderungen an Brandschutz und Rettungswegen. Während bei den Ateliers die Industriebaurichtlinie gilt, was geringere Auflagen mit sich bringt. Brandmelder und Sprinkler werden flächendeckend in der Halle eingebaut.

Die Kosten: Es werden mit 29,74 Millionen Euro kalkuliert. Davon trägt die Stadt als Eigentümerin 26,99 Millionen Euro. Tango Ocho steuert 50 000 Euro bei, der Kunstverein Wagenhallen 805 000 Euro und der Veranstaltungsbetrieb 2,1 Millionen Euro. Nicht enthalten darin sind allerdings die Bühnentechnik, Ausstattung, Möbel, Anlage, Beleuchtung und Ähnliches. Dafür sind die Mieter selbst verantwortlich.

Das Konstrukt: Bisher hatte der Recyclinghändler Jürgen Karle das Gelände von der Stadt gepachtet und weiter vermietet. Nun sollen Veranstaltungsbetrieb, Tango Ocho und Kunstverein von der Stadt direkt mieten. Bisher waren es für die Künstler warm ungefähr vier Euro für den Quadratmeter. Der Kunstverein fürchtet, dass die Mieten nach der Sanierung teurer werden. Die Stadt dagegen beteuert, man wolle die „Miethöhe so bemessen, dass diese für die künftigen Vertragspartner langfristig getragen werden kann“. Derzeit wird über die künftige Miethöhe verhandelt.

Die Überbrückung: Der Veranstaltungsbetrieb hat seine 68 Beschäftigten gekündigt, das waren 17 Festangestellte und 51 Minijobber. „Für uns ist diese lange Zeit ohne Einnahmen schwierig“, sagt Stefan Mellmann, „wir hoffen, dass wir pünktlich wieder einziehen können.“ Man wird im Kellerklub Reihen wie Elektro Swing und Balkan Spezialitäten am Leben halten. Beim Neustart sollen zumindest die 17 Festangestellten wieder dabei sein, so sie wollen. Die Künstler haben vor der Halle Container errichtet und sind dorthin umgezogen. Längst haben sich die Wogen geglättet. Das uralte Spiel „Kunst oder Kommerz?“ hat zuletzt auch die Beteiligten angeödet. Sie wollen beisammen bleiben, die Veranstalter, Maler, Architekten, Fotografen, Bildhauer, Tänzer, und Lebenskünstler. Und auch künftig ausloten, welche Rolle die Wagenhallen spielen können und wollen in der Stadt.