Die Stuttgarter Wagenhallen - Zukunft ungewiss Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Wie geht es weiter an den Wagenhallen?  Rund 80 Künstler arbeiten am  Nordbahnhof, längst ist der Ort nicht mehr fortzudenken aus der Kunstszene Stuttgarts – und strahlt weit ab.  Aber die Zukunft der Ateliers in den Wagenhallen ist ungewiss.

Die Ausgangslage

Vor wenigen Jahren war dieses Gelände noch mit Gestrüpp überzogen. Wer die Wagenhallen besuchen wollte, der kam mit der Stadtbahn oder parkte am Pragfriedhof, ging von dort aus einen schmalen Pfad hinab in die Senke, hin zu den geräumigen Hallen, in denen Bands spielten, Theatergruppen auftraten, Künstler arbeiteten. Längst schon ist alles anders, eine breite, asphaltierte Straße führt hinab ins Tal hinterm Nordbahnhof, um die Wagenhallen wachsen Neubauten aus dem Boden, eine jüngst eröffnete Shopping-Mall ist gar nicht fern. Rund um den idyllischen Flecken mit seinen ausgedienten Eisenbahnhallen entsteht ein neues Stadtquartier, das Rosensteinviertel.

Vor allem Wohnbebauung ist für diesen Bereich angedacht, eine berufliche Schule befindet sich in unmittelbarer Nähe. Die Künstler, die in den Wagenhallen arbeiten, sehen sich und ihre Arbeitsstätte als einen künftigen Teil dieses Quartiers – sie bemühen sich zielbewusst darum, ihre Rolle in dieser neuen Umgebung zu definieren.

Raus aus der Nische

Das Spektrum der Kunst, die in den Wagenhallen entsteht, ist groß. Bildhauer und Maler sind hier zu Hause, Grafiker, Musiker, Tänzer, Puppenspieler, Künstler, die konzeptionell und performativ arbeiten. Viele von ihnen haben an der Kunstakademie Stuttgart studiert, sind mit ihren Arbeiten erfolgreich an die Öffentlichkeit getreten. Die Ateliers der Wagenhallen waren dabei bisher aber auch immer eine geschlossene Produktionsstätte für Kunst.

Genau das soll sich ändern: Der Kunstverein Wagenhallen will die Öffentlichkeit. Den ersten Schritt in diese Richtung unternahm er bereits im Juli: Die Künstler tauften die Fläche vor den Hallen, nannten sie „Kunstboulevard“, ließen ein Straßenschild anfertigen und luden ein. Der Boulevard wurde zur Ausstellungsfläche, das Publikum kam. Auch Birgit Schneider-Bönninger, Kulturamtsleiterin der Stadt, kam und weihte den „Kunstboulevard“ ein.

Das Konzept

Schon im Jahr zuvor fand sich im Kunstverein eine „Zukunftsgruppe“ zusammen, die seither an einem Entwicklungskonzept für die Wagenhallen arbeitet. Die Vorstellungen, die die Künstler darin artikulieren, sind genau: Sie wünschen eine Vergrößerung der Atelierflächen, sie schlagen den Umbau des Hallendaches vor, sie möchten vor den Wagenhallen eine „Future-Box“ als Ausstellungsfläche nicht nur für die Künstler der Wagenhallen, sondern auch für befreundete Künstler und Institutionen installieren.

Zwei frei stehende Container vor den Hallen sollen diese Funktion erfüllen, ihre fiktive Anschrift: „Kunstboulevard 22“. Auch Vorträge und Diskussionsreihen möchte der Kunstverein an diesem Ort veranstalten: „Stadtplanung von unten“ und „Kunst und Mobilität in der neuen Stadt“ – das sind zwei der Themen.

Zum „Symbol eines kleinen gallischen Künstlerdorfes, das seinen festen Platz im römischen Reich gefunden hat“, soll die Box werden, versehen mit einem kleinen Aussichtsturm und einer Leuchtschrift. Und der „Kunstboulevard“ als Künstlermarkt vor den Ateliers soll nicht zuletzt auch eine Antwort der Kreativen am Nordbahnhof auf den nahen Tempel des Konsums sein. Auch einen dritten Schritt hin zum zentralen Stuttgarter Künstlerdorf hat der Verein bereits im Sinn: das „Fragmente Festival“, das mit seinem Namen anspielt auf die Baustelle Stuttgart, die Stadt im Umbruch. Schon 2016 möchte der Verein dieses Festival veranstalten, neben zahlreichen Künstlern nicht nur aus den Wagenhallen könnte auch das Theaterhaus mit im Boot sein.

Grundlegender Wandel im Selbstverständnis

Der Wandel

„Im Kunstverein Wagenhallen findet zurzeit ein grundlegender Wandel im Selbstverständnis statt“, sagt Ferdinand Ludwig. Ludwig ist Architekt, arbeitet an der Universität Stuttgart und betreibt ein Büro im Atelierbereich der Wagenhallen. Er entwirft Bauwerke aus lebenden Pflanzen und erregte mit seinem Platanenkubus bei der Landesgartenschau Nagold 2012 Aufsehen. Auf dem Areal der Wagenhallen sieht er sehr gute Voraussetzungen für ähnliche Projekte. Für ihn sind die Wagenhallen ein idealer Ort, Kunst nicht nur zu machen, sondern auch zu zeigen: „In Zukunft“, sagt er, „werden die Rolltore der Wagenhallen, symbolisch gesprochen, offen stehen.“

Die Vision der Künstler also ist klar und deutlich. Den Weg zu ihr hin gehen sie bisher alleine. Die „Zukunftsgruppe“ im Kunstverein Wagenhallen arbeitet an der internen Umstrukturierung des Vereins. Der Unternehmer Stephan Karle, der bislang als Pächter der Wagenhallen die Räumlichkeiten an Künstler und Kulturbetrieb untervermietete, möchte sich im kommenden Jahr zurückziehen, der Kunstverein will dann in ein direktes Mietverhältnis mit der Stadt eintreten. „Alle Atelierflächen“, so der Zukunftsentwurf der Künstler, „sollen dann vom Kunstverein verwaltet und vermietet werden, ein eigenes kuratorisches Profil soll ausgebildet werden.“ Die „Zukunftsgruppe“ sucht noch nach einer geeigneten Rechtsform für diese Pläne. Und sie sucht im Dunkeln – wie es weitergehen soll mit den Wagenhallen, ist noch immer ungewiss.

2013 stellte die Stadt Stuttgart in ihrem Haushaltsplan 5,5 Millionen Euro für Umbaumaßnahmen an den Wagenhallen zur Verfügung. Insbesondere die Tragwerkskonstruktion der Hallen sollte geprüft und verbessert werden, noch im Jahr 2014 sollte mit diesen Arbeiten begonnen werden. „Umgesetzt“, so Fabian Schlabach, Sprecher der Stadt, auf Anfrage unserer Zeitung, „wurde bisher noch nichts, sondern vielmehr eine Konzeptstudie unter Einbeziehung verschiedener Fachgutachten erstellt.“ Derzeit, fährt er fort, werde ein Fachgutachten eingeholt. Dann erst soll über weiteres Vorgehen entschieden werden.

Allerdings sagt Schlabach auch: „Es hat sich gezeigt, dass die seither angenommenen Finanzmittel nicht auskömmlich sein werden.“ Grundsätzlich, so Schlabach, werde sich die Stadt Stuttgart darum bemühen, zusätzliche Flächen sowohl für den Veranstaltungsbetrieb in den Wagenhallen als auch für den Kunstverein zu schaffen. Aber: „Im derzeitigen Planungsstadium können keine weiteren Aussagen getroffen werden.“

Umbau kostengünstig gestalten

Teilhabe jetzt

Dabei ist es der dringliche Wunsch des Kunstvereins, in diese Planungen miteinbezogen zu werden – je früher dies geschehe, desto wirtschaftlicher werde zuletzt das Ergebnis der Umbauten ausfallen, schreibt die „Zukunftsgruppe“ in ihrem Konzept. Ferdinand Ludwig ist nicht der einzige Architekt im Kunstverein, Kompetenzen sind vorhanden, und das Anliegen der Künstler besteht vor allem auch darin, den Umbau kostengünstig zu gestalten.

Ein Dach mit Glasfront zu einer Seite hin und einer Fotovoltaikanlage zur anderen – das wünschen sie sich. Und die Erweiterung der Atelierflächen in der großen Wagenhalle durch zweistöckige Containerkonstruktionen. „Eine Generalsanierung wie beim Theaterhaus“, sagt Ferdinand Ludwig, „wäre bei den Wagenhallen wohl kaum sinnvoll.“ Und Robin Bischoff, Mitglied im Vorstand des Kunstvereins Wagenhalle und Sprecher der „Zukunftsgruppe“, sagt: „Wir sind überzeugt davon, dass wir Vorschläge machen können, die dazu beitragen, die Kosten des Umbaus zu verringern.“

Widerstand

Die Unsicherheit um die Zukunft der Wagenhallen hat jüngst auch zum Konflikt ihrer Mieter geführt. Rund 200 Veranstaltungen der Gutbrod & Mellmann GbR finden jährlich in einem Teil der Wagenhallen statt. Auch sie sind aus Stuttgart längst nicht mehr fortzudenken. Restriktionen, die die Künstler aus brandschutztechnischen Gründen hinnehmen mussten, sobald in der benachbarten Halle ein Konzert gegeben wurde, sorgten für Unmut, bis Pächter Stephan Karle für provisorische Abhilfe sorgte.

Über viele Jahre hinweg nutzten Künstler und Kulturbetrieb die Wagenhallen einvernehmlich, und nach dem Willen der Künstler soll dies auch so bleiben, sollen sich beide Nutzungsformen am Nordbahnhof begegnen und kontrastieren. „Wir finden es gut, dass es Konzertveranstaltungen in den Wagenhallen gibt“, sagt Robin Bischoff. „Dabei sollte es aber auch ein Gleichgewicht geben zwischen Kunstproduktion und Konzertbetrieb. Das war bisher nicht so, und deshalb möchten wir nun mehr an die Öffentlichkeit treten.“ Ungewiss bleibt die Situation am Nordbahnhof dennoch weiterhin, das Damoklesschwert schwebt.

Solidarität in der Kunstszene

Am Donnerstag, 4. Dezember, 11 Uhr, öffnet der Württembergische Kunstverein Stuttgart seine Räume im Kunstgebäude am Schlossplatz zur Diskussion um die Zukunft der Wagenhallen. Neben Vertretern aller wichtigen Institutionen der Kunstszene Stuttgarts wurden auch Vertreter der Stadt eingeladen.