Reaktionäre Giftzwerge: Kinder-Statisten mit Christian Czeremnych Foto: Conny Mirbach

„Feuerschlange“ im Nord ist eine wenig treffsichere Posse über die süddeutsche Rüstungsindustrie. Den einzigen Treffer landet der Regisseur Dominic Friedel mit seiner kleinen Laientruppe.

Stuttgart - Sie plustern sich mächtig auf. Sie schütteln ihre Köpfe. Rollen mit den Augen. Ziehen Schnuten. Stemmen ihre Händchen in die Hüften. Kleine Wutbürger. Vierzehn Mädchen und Jungs mit hübschen Zöpfen und Scheiteln stehen an der Rampe der angeschrägten Bühne im Nord und empören sich. „So lange es den Homo Sapiens gibt“, skandieren sie, „gibt es bewaffnete Konflikte. Und wird es sie auch immer geben. Und jetzt frage ich Sie: Glauben Sie ernsthaft, dass auch nur eine Kugel weniger abgefeuert wird, wenn wir die Waffenproduktion einstellen?“

Gute Frage. Kindermund tut bekanntlich Wahrheit kund. Zumal in einem friedlichen Land, das traditionell von Waffenexporten immens profitiert, wenn anderswo die Abzüge gedrückt werden. Jeder Schuss ein Treffer, in doppelter Hinsicht. Und wenn dann doch einer zu laut aus der Ferne zurückhallt oder völlig daneben geht, deutsche Markenprodukte wie die Sturmgewehre G36 der in Oberndorf ansässigen Rüstungsfirma Heckler & Koch in falsche Hände gelangen oder bei Überhitzung womöglich ihre Genauigkeit einbüßen, ja, dann ist die Blamage perfekt. In Zeitungen erscheinen schließlich Artikel von kritischen Journalisten, die kein gutes Licht auf die Waffenexportnation Nummer drei der Welt werfen. Der Dramatiker Philipp Löhle hat sich von dieser Berichterstattung zu einem Stück über die Reise eines Gewehrs inspirieren lassen – von der Produktionshalle in einem Örtchen namens „Unterndorf“ bis zu seinen Einsatzgebieten im Süden Mexikos oder dem Nahen Osten.

Und genau deshalb stehen dann funktionslose Holzscheinwerfer auf der von Peter Schickart entworfenen Bühne in der Spielstätte Nord des Schauspiels Stuttgart: ökologisches Spielzeug für einen biodeutschen Kindergarten im moralischen Zwielicht. Stumme Zeugen einer Posse voller Schatten und geistiger Umnachtungen in Politik und Wirtschaft. „Feuerschlange“ ist ein Szenenreigen mit vielen Zeitsprüngen, ein Episodenstück mit ganz unterschiedlichen Textsorten. Hartes Juristendeutsch trifft auf grobe Stammtischkalauer, ein krachender Kasernenton auf den plüschweichen Sound aus Tausendundeiner Nacht. „Feuerschlange“ war eine Auftragsarbeit - und für die Uraufführung hat Philip Löhle dem Regisseur Dominic Friedel, der schon 2013 in Stuttgart für „Fahrerflucht/Fluchtfahrer“ mit dessen Textvorlage gearbeitet hat, eine Menge Stoff geliefert. Ein Angebot für eine beherzt zupackende Regie. Eine echte Herausforderung für jeden Schauspieler.

Das Aufsagetheater erinnert an bräsiges Politkabarett

Doch Dominic Friedel interessiert sich weder für Schauspieler noch für Dialoge. Alles Zeitverschwendung. Kurzum überantwortet er jene Passagen mit mehreren Sprechern einem einzigen Akteur. Horst Kotterba darf also alle Rollen in einem Dramolett übernehmen, in der ein Vertreter von „Lecker und Loch“ mit irgendwelchen ministeriellen Pappnasen über vertragliche Ausnahmeregelungen für den Export in Krisengebiete verhandelt. Kotterba müht sich redlich, dem witzlosen Hin- und Her mit Geschwindigkeit, Gestotter und Grimassen beizukommen, aber er scheitert. Kein Schenkelklopfer, nirgends. Das Aufsagetheater erinnert an bräsiges Politkabarett aus den achtziger Jahren, eben weil der Anlass für diese Szene an Peinlichkeit kaum mehr zu überbieten ist. Krumm schießende Gewehre made in Germany – wie absurd ist das denn? Jede Seite-Drei-Reportage zum Thema ist schon Realsatire pur.

Vielleicht lag Kotterbas unmotiviertes Gestochere in der dicken Textsuppe aber auch an dem völlig verunglückten Auftritt zuvor: Die junge Susanne Schiefer trägt als püppchenhaftes Zitterwesen im Tellerrock und Schnürstiefeln die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegsgütern vor. Sie versucht es zumindest. Bald verheddert sie sich heillos in den Floskelgirlanden einer Bürokratenprosa, die alles nur verundeutlicht. Was uns die Künstler damit sagen wollen? Das Politikergestammel sei bürgerfern, menschenverachtend, schon klar. Erstsemesterwissen. Schiefer verliert die Orientierung, das Textungetüm im krudesten Nominalstil kommt ihr rasch abhanden, was vielleicht Programm ist, denkt man, hofft man. Aber nein, leider, sie stutzt und nuschelt, improvisiert, was alles nur noch schlimmer macht, der Souffleur versucht zu retten, was nicht zu retten ist, die Minuten ziehen sich wie Kaugummi.

Der Regisseur lässt die Darsteller im Kugelhagel stehen

Die Frage, weshalb der Regisseur seine Darsteller im Regen, nein: im Kugelhagel dieser waffenverrückten Posse stehen lässt, ist vielleicht so zu beantworten: Friedel konzentriert sich auf die Arbeit mit den Kindern. Sein Konzept basiert einzig und allein auf einem radikalen Perspektivwechsel. Die Welt der Erwachsenen ist falsch, böse, kindisch. Die Kinder wiederum, glaubt er, sind noch echt. Unschuldig. Das ist zwar naiv, funktioniert aber auf Jugendtheaterniveau. Ein Vorwurf, den Friedel antizipiert, weswegen er zwischen den liederlich aufgesagten Monologen noch Auftritte der Tänzerin Berit Jentzsch einbaut. Jentzsch verwandelt sich in eine Waffe, tanzt mit Robert Kuchenbuch einen erdenschweren Pas de deux. Sie fällt, er fängt sie auf – und andersherum. Es sind Einlagen voller Pathos, die neben dem üblichen Ulk bemüht seriös daherkommen und nicht gerade dazu beitragen, dem Abend eine plausible Struktur zu geben.

Ohnehin sind die kleinen Laien die eigentlichen Hauptdarsteller, die ihre großen Kollegen an die Wand spielen und als reaktionäre Giftzwerge inszeniert werden. Sie spielen Krieg, verheizen Soldaten im gegnerischen Feuer, sind zeternde Mütter oder rappen naseweis ins Mikro wie ihr Youtube-Star Jon Lajoie: „Guns don‘t kill, uh, uh . . . I kill . . . tsch, tsch . . . people with guns.“ Nicht die Waffen töten, es sind die Menschen, die abdrücken. Kapiert?

In der geschilderten Szene, in der alle in Schuluniformen gekleidet an der Rampe stehend eine Verteidigungsrede irgendeines neurechten Spießers intonieren, dirigiert der Regisseur den Kinderwutbürgerchor höchstselbst. Mit jenem Enthusiasmus, den man sich an anderer Stelle dringend gewünscht hätte. Das immerhin macht Spaß. Und hat Kraft. Auch weil man einmal der Sprache des Autors vertraut. Konsequent wäre es allerdings gewesen, wenn Dominic Friedel auf alle Erwachsenen verzichtet hätte. Die Welt, sie ist ja doch nur ein einziger Kindergarten. Unrettbar.