Bislang schickte die Bundesrepublik Hilfsgüter – nun sollen bald auch Waffen in den Irak geliefert werden. Foto: dpa

Nicht nur im Irak, auch in der Türkei würden Christen von der IS bedroht, warnt Daniyel Demir, Bundesvorsitzender der Aramäer in Deutschland.

Nicht nur im Irak, auch in der Türkei würden Christen von der IS bedroht, warnt Daniyel Demir, Bundesvorsitzender der Aramäer in Deutschland.
 
Herr Demir, Sie haben Kontakte zu Aramäern im Irak. Was wird Ihnen berichtet?
Das, was heute im Irak geschieht, ist ein Völkermord. Das Christentum im Nahen Osten steht vor dem Aus. Der IS-Terror ist ein Albtraum, der brutale Wirklichkeit geworden ist. Das sieht man erneut an den Bildern, in denen ein amerikanischer Journalist vor laufender Kamera geköpft worden ist. Ich kann Ihnen aus Berichten von unseren Erzbischöfen im Irak bestätigen: Das ist das tägliche Leid der Christen dort. Hinrichtungen, Kreuzigungen, Vergewaltigungen gehören zur täglichen Praxis der IS. Auch vor Kleinkindern wird nicht haltgemacht.
Befürworten Sie die Entscheidung, dass nun auch deutsche Waffen an die Kurden im Irak geliefert werden sollen?
Ich denke, es ist ratsam, die kurdischen Einheiten, die versuchen wollen, die Menschen gegen die IS-Kämpfer zu verteidigen, mit Waffen zu unterstützen. Aber eines ist viel wichtiger: die humanitäre Hilfe. Allein 200 000 Aramäer sind in die Kurdengebiete geflohen. Insgesamt sprechen wir von weit über einer Million Flüchtlingen im Nordirak. Die Städte in den Kurdengebieten sind mit dieser Masse völlig überlastet. Humanitäre Hilfe ist dringend nötig, und sie muss schnell geleistet werden. Sie steht für mich im Vordergrund, vor der militärischen Hilfe. Waffen versorgen und ernähren nicht die Hungrigen und Dürstenden. In wenigen Monaten wird es dort bitterkalt sein, und die Menschen übernachten draußen oder in einfachen Zelten. Das reicht nicht, um den Winter zu überstehen.
Sie berichten auch von IS-Sympathisanten in der Türkei. Was genau wissen Sie darüber?
An den Grenzen zur Türkei ist es für radikalisierte Gruppen einfach, in den Irak oder nach Syrien zu gelangen – aber auch der umgekehrte Weg ist problemlos. Im Südosten der Türkei, im Turabdin, erfahren wir von der aramäischen Gemeinschaft vor Ort, dass in einem Dorf mehrere Dutzend Islamisten Koranunterricht erteilen. In Midyat, das ist die Kreisstadt dort, wurden IS-Sympathisanten und die Flagge der IS gesichtet. Diese Entwicklung muss man sehr aufmerksam verfolgen. Die deutsche Politik muss mit der Türkei Gespräche führen, um Aufklärung bitten, was man dagegen tun will und ob man die Christen dort schützen kann. Dort leben etwa 3000 Aramäer – und die haben Angst. Auch in Istanbul gibt es Stände, an denen man IS-Souvenirs kaufen kann. Die Türkei muss dagegen viel mehr tun. Die Gefahr wird nicht weniger, sie wird mehr – die Alarmglocken läuten. Das muss man sehr ernst nehmen.

Auf die Lage der Christen im Irak und im Nahen Osten wollen am Samstag die 55 Gemeinden der Syrisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland bei einer Demonstration in Stuttgart aufmerksam machen. Zu der Kundgebung werden etwa 4000 Teilnehmer erwartet.