Derzeit eine Marke im Schatten: Der VW-Skandal ist noch nicht im Griff. Foto: dpa

Erst waren es nur VW-Dieselmotoren, inzwischen sind alle Marken des Wolfsburger Konzerns betroffen, und täglich werden es mehr Autos. Die Krise ist noch nicht unter Kontrolle. Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zum Abgasskandal.

Stuttgart - Erst waren es nur VW- Dieselmotoren, inzwischen sind alle Marken des Wolfsburger Konzerns betroffen, und täglich werden es mehr Autos. Die Krise ist noch nicht unter Kontrolle. Hier die wichtigsten Fragen und Anworten zum Abgasskandal.
Warum tritt im Manipulationsskandal um VW die Wahrheit nur scheibchenweise zu Tage?
Das ist nur damit zu erklären, dass sich trotz des enormen Drucks nicht alle Bereiche des Konzerns dazu durchringen konnten, sofort die Karten auf den Tisch zu legen. So hat Audi noch vor kurzem energisch Vorwürfe der amerikanischen Umweltbehörde EPA zurückgewiesen, ihre Drei-Liter-Dieselmotoren seien ebenfalls mit einer Manipulationssoftware ausgestattet, die die Abgaswerte gezielt herunterregelt, wenn das Auto sich in einer Testsituation befindet. Nun musste man doch zugeben, auch bei diesen Motoren manipuliert zu haben. Porsche schien zunächst überhaupt nicht betroffen zu sein; inzwischen ist aber klar, dass Motoren des Geländewagens Cayenne manipuliert wurden, die wiederum von Audi kamen. Zudem sind – anders als zunächst behauptet – im VW-Konzern nicht nur Dieselfahrzeuge betroffen, sondern auch Benziner. Und nicht nur die Schadstoffwerte waren falsch, sondern auch die des ungiftigen CO2, das aber als Treibhausgas in Verruf geraten ist. Es gibt also kaum eine Information, der keine böse Überraschung gefolgt wäre.
Was bedeutet die schleppende Aufklärung für Volkswagen?
Es macht das Ganze nicht besser, denn VW ist jetzt stark vom Wohlwollen von Behörden in aller Welt abhängig – vor allem von dem der amerikanischen Umweltbehörde EPA. Entsteht dort der Eindruck, der Konzern rücke nur mit dem heraus, was die Behörden eh schon vermutet hatten, schürt dies das Misstrauen. Auch die Höhe der zu erwartenden Milliarden-Strafzahlungen dürfte davon abhängen, ob VW von sich aus alles auf den Tisch legt. Positiv ist, dass sich Audi-Chef Rupert Stadler am Ende dazu entschlossen hat, die Manipulation in den USA persönlich zu beichten.
Was bedeuten die Vorwürfe für den neuen VW-Chef Matthias Müller?
Müller ist als Aufräumer und Krisenmanager nach Wolfsburg geholt worden, denn er gilt in der Manipulationsaffäre als unbelastet. Doch die Rolle des Krisenmanagers ist für den erfolgsverwöhnten Porsche-Chef neu – erst recht in einem Unternehmen, das in einer Woche so viele Autos baut wie Porsche in einem ganzen Jahr. Und aufzuräumen ist leichter gesagt als getan, denn zur Aufklärung müssen viele Mitarbeiter beitragen – auch solche, die damit womöglich eigenes Fehlverhalten offenlegen. Deshalb hat Müller verkündet, auf arbeitsrechtliche Sanktionen gegen Mitarbeiter zu verzichten, die in nächster Zeit Fehlverhalten beichten. Wichtig für ihn ist, dass nicht auch bei Porsche, wo er früher Verantwortung trug, scheibchenweise neue Erkenntnisse ans Licht kommen. Schon jetzt äußern Fondsmanager Kritik an Müllers Doppelrolle als früherer Porsche-Chef, seit Anfang des Jahres sogar im Rang eines VW-Vorstands, und als oberster Aufräumer.
Hatte Audi im Ernst darauf gehofft, dass die Manipulationen trotz intensivster Untersuchungen unentdeckt bleiben?
Audi war offenbar davon ausgegangen, dass die Software nach US-Recht legal ist - eine folgenschwere Fehleinschätzung. Die US-Behörden hätten über die eingesetzten Programm informiert werden müssen, was aber viel zu spät erfolgt ist. Dabei ist die Unterscheidung zwischen Steuerung und Manipulation nicht einfach, da die Motorsteuerung heute komplett digitalisiert ist und der Einsatz umfangreicher Software normal. Ein wichtiges Kriterium ist die Frage, ob das Fahrzeug erkennt, dass es sich auf einem Prüfstand befindet, weil sich etwa nur die Räder einer Achse drehen – und wie stark sich die Abgaswerte verändern, wenn dem Fahrzeug gewissermaßen suggeriert wird, die Prüfung sei vorbei. Auch hier gibt es aber Grauzonen, weil die Abgaswerte auf dem Prüfstand mit seinen künstlichen Anforderungen auch bei nicht manipulierten Fahrzeugen viel niedriger sind als die, die unter realistischen Bedingungen erzielbar sind.
Warum manipulierte der Konzern überhaupt die Abgaswerte?
Das ist eine der spannendsten Fragen in der Aufarbeitung. Bisher gibt es dazu nur Vermutungen. Möglicherweise spielte das von Vorstandschef Martin Winterkorn ausgegebene Ziel, bis 2018 der größte Autohersteller der Welt zu werden, eine große Rolle. Die Schummel-Software ersparte VW Kosten für die Abgasreduzierung der Motoren, die andere Hersteller aufbringen mussten. Ob Manipulationen von der obersten Führungsebene angeordnet oder geduldet wurden oder ob die Manipulationen auf niedrigerer Ebene eigenmächtig vorgenommen wurden, ist bisher völlig unklar.
Schummel-Software ist praktisch in allen Marken des Konzerns eingebaut worden – bei Volkswagen, Porsche, Audi, Seat, Skoda – und sogar bei den Nutzfahrzeugen. Woran liegt das?
Unter Winterkorn verfolgte Volkswagen eine klare Plattform- und Baukastenstrategie. Das bedeutet, dass die Komponenten der Motoren in möglichst vielen Modellen bei möglichst vielen Marken verwendet wurden, um die Entwicklungskosten auf eine große Stückzahl umlegen zu können. Das ist vernünftig. Die Kehrseite dieser Strategie liegt darin, dass mögliche Fehler sich dann ebenfalls über viele Fahrzeuge und viele Marken erstrecken. Das gilt natürlich auch für Fehler wie die Manipulationssoftware. Zugleich verwischen sich dadurch die Verantwortlichkeiten. Ist an den Manipulationen beim Porsche Cayenne Porsche schuld oder Audi als Lieferant des Motors?
Nun gibt es auch noch Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung. Warum?
Weil die Abgaswerte zu günstig ausgewiesen wurden, hat der Fiskus möglicherweise zu wenig Kraftfahrzeugsteuer verlangt. Damit wurden Steuern verkürzt, was strafbar ist.
Müssen die Autofahrer nun gegenüber dem Finanzamt für die Manipulationen büßen?
Zwar ist der Autohalter der Steuerschuldner – in diesem Fall ist aber klar, dass die Schuld nicht bei ihm liegt. Deshalb ist zu erwarten, dass mögliche Steuernachzahlungen zulasten von VW gehen werden.
Wie geht es für die Autofahrer weiter?
In den USA gibt es als Entschädigung außer der Nachbesserung Gutscheine und Kreditkarten im Wert von gut 1000 Euro. In Deutschland gibt es noch keine Entscheidung über eine Entschädigung für den Ärger. Bei der technischen Lösung kommt VW offenbar weiter. Der Aufwand für die Nachrüstung der in Europa manipulierten Fahrzeuge sei technisch, handwerklich und finanziell überschaubar, teilte der Konzern mit.
Was geschieht mit Vorstandschef Winterkorn?
Die Ermittlungen werden auch unter der Fragestellung geführt, ob er sich persönlich etwas hat zuschulden kommen lassen. Durch eine Reform des Unternehmensrechts ist VW überdies verpflichtet, von Winterkorn Schadenersatz einzufordern, falls er – absichtlich oder durch mangelnde Sorgfalt bei der Amtsführung – zu den Manipulationen beigetragen hat. Trotz seines Rücktritts wird der Fall somit auch für ihn noch lange nicht abgeschlossen sein.