Wohin steuert der VVS? In einer Sondersitzung soll 2016 die künftige Systematik des Tarifs geklärt werden Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Werden aus sieben Tarifzonen im Verkehrsverbund Stuttgart bald sechs? Fallen alle Sektorengrenzen bei tangentialen Verbindungen? VVS-Aufsichtsrat und der Verkehrsauschuss des Regionalverbands diskutieren diese Themen 2016. Dazu gibt es neue Zahlen.

Stuttgart - Fünfzehn Jahre nach der letzten deutlichen Strukturreform diskutiert der Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) 2016 den großen Wurf. Der VVS-Aufsichtsrat und der für die S-Bahn zuständige Verband Region Stuttgart (VRS), in dem die Landkreise eine starke Stellung haben, wollen die unübersichtliche Einteilung des Verbundgebiets in 49 Segmente lichten.

Druck gibt es von zwei Seiten: In der Landeshauptstadt missfällt seit langer Zeit die Einteilung in zwei Zonen. Wer den Kesselrand passiert, für den springt der Ticketpreis (Erwachsene, Einzelfahrt) ab 1. Januar von 2,40 auf 2,80 Euro. Andere Großstädte kennen für die City und die angrenzenden Stadtbezirke nur ein Ticket.

Im Umland von Stuttgart, wo die Taktdichte und das Haltestellenangebot nicht mit dem der Landeshauptstadt mithalten können, sind die den Tarif bestimmenden Kreisringe tangential auch noch in viele kleine Sektoren zerhackt. Das sei ungerecht, sagen die Regionalräte. Auf einer Sondersitzung sollen neue Vorschlage zur Vereinfachung erarbeitet werden.

Zusammenlegung würde hohe Verluste hervorrufen

Auch im Regionalparlament beginnt Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Den Räten werden 2016 neue Zahlen präsentiert, denn die Erhebungen zu Veränderungen der Zonen stammten noch aus 2009. Inzwischen gibt es neue Zählungen und Berechnungen: So würde die Zusammenlegung der Zonen 10 und 20, also die Schaffung einer einheitlichen Stuttgart-Zone, nicht 12,7, sondern nach dem Tarifstand 2015 (erste Zone für 2,30 Euro) dem VVS nun 13,7 Millionen Euro Verlust bescheren. Allerdings gilt diese Zahl nur für Fahrgäste, die sich in den bisher zwei Stuttgart-Zonen bewegen, also nur für Stuttgarter und nicht für Pendler, die von außerhalb in die Landeshauptstadt fahren.

Wollte man alle Fahrgäste an der Vereinfachung und Verbilligung in Stuttgart teilhaben lassen, dann würden aus bisher sieben Großzonen sechs. Jeder Fahrgast, der heute eine Zone überschreitet, hätte künftig eine weniger auf dem Ticket und auch eine weniger zu bezahlen. Daraus würde sich ein erheblicher Verlust von insgesamt 23,2 Millionen Euro ergeben.

Verlustausgleich rechnerisch mit acht Prozent Preiserhöhung

Finanziell deutlich weniger einschneidend wäre der Wegfall der Sektorengrenzen in den um Stuttgart liegenden Kreisringen. Der Verzicht auf die tangentialen Sektoren würde einen Verzicht auf Einnahmen in Höhe von 5,2 Millionen Euro bedeuten.

Angesichts der Dimensionen ist beim Verkehrsverbund kaum vorstellbar, dass eine große Strukturreform ohne Tarifanpassung bewerkstelligt werden kann. Der Verbund nahm von April 2014 bis März 2015 durch den Ticketverkauf und spezielle Zuschüsse, zum Beispiel beim Scool-Abo, 464 Millionen Euro ein. Im gleichen Zeitraum 2015/2016 soll es allein durch die Preiserhöhung (2016 um im Schnitt 2,5 Prozent) Mehreinnahmen von 11,4 Millionen Euro geben.

Rechnet man alle Strukturmaßnahmen zusammen, würde der Verlust im VVS 36,9 Millionen Euro erreichen. Um ihn auszugleichen, wäre ein Aufschlag von im Schnitt rund acht Prozent auf alle Ticketarten nötig. Das dürfte indiskutabel sein.

Das System ist 37 Jahre alt

„Die Musik spielt bei den bisherigen Tickets für drei und vier Zonen“, sagt VVS-Geschäftsführer Horst Stammler. Das kalkulierte Defizit könne durch einen „Mischpreis“ verringert werden. Die nur eine Stuttgart-Zone würde dann aber nicht mehr für 2,40 Euro zu haben sein. Sie müsste zwischen 2,40 und 2,80 Euro kosten. „Dann freut sich die Hälfte der Fahrgäste still, und die andere schreit laut auf“, beschreibt Stammler das Dilemma.

Würde der Verbund neu gegründet werden, „dann würde man in Stuttgart eine Zone machen“, ist sich der Tarifexperte sicher. „Aber das System ist nun mal seit 37 Jahren so.“ Der Fahrpreis orientiere sich an der Entfernung zum Hauptbahnhof. Mit Herrenberg und Marbach gibt es im VVS zwei Städte, in denen als Pilotprojekt ein Stadtticket gilt, für 1,80 und 1,30 Euro. Was zu den vorherigen Einnahmen fehlt, zahlten die Städte als Zuschuss drauf.

Im Grunde, sagt Stammler, lieferten die neuen Zahlen keine wirklich neuen Argumente. 2009 war der ganz große Wurf bei der Struktur mit Kosten von 30 Millionen Euro berechnet worden. Verändert hat sich im Verbund allerdings über die Jahre der Anteil der Fahrgeldeinnahmen am gesamten Kuchen. Die Fahrgäste zahlen inzwischen 59 Prozent des Gesamtsystems, die Zuschüsse aus Steuermitteln gingen anteilig zurück.

CDU will mehr Geld lieber in dichteren Takt stecken

Die Bundeszuschüsse für den öffentlichen Verkehr an das Land sind inzwischen gesichert, gleichzeitig gehen dessen Ausgaben für den Schienenverkehr durch Ausschreibungen zurück. Das weckt Begehrlichkeiten. Das Land müsse seine Zuschüsse für den Nahverkehr erhöhen, heißt es bei den Grünen. Die SPD plädiert für eine „Reform für alle Fahrgäste“.

Die CDU im Verband Region Stuttgart gibt einer Strukturreform nicht die erste Priorität. Auf tangentialen Verbindungen sei das Angebot schlechter als auf den radialen Strecken, die Forderung nach größeren Sektoren sei verständlich, sagt Rainer Ganske, Sprecher im Arbeitskreis Verkehr. Für 5,2 Millionen Euro könne der VRS aber auch für fast zwei Stunden eine Taktverdichtung auf 15 Minuten auf allen S-Bahn-Linien bestellen.

Genauso verständlich sei der Stuttgarter Wunsch nach nur einer Zone. Kein Fahrgast werde aber „deshalb nur einen Cent mehr zahlen wollen, im Umland schon gar nicht, also müsste den Ausgleich von 13,7 Millionen allein die Landeshauptstadt übernehmen“, sagt Ganske. Würde man das Geld in ein besseres Angebot stecken, wäre auch hier der Nutzen für sehr viele Fahrgäste höher.