Streitpunkt Sperrzeiten. Schankbetriebe sollen nachts länger schließen, findet der SPD-Innenminister Foto: dpa

Koalitionspartner im Konflikt: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält offenbar wenig vom Vorstoß des SPD-Innenministers Reinhold Gall, die Sperrzeiten zu verlängern.

Stuttgart - Die Pläne von Innenminister Reinhold Gall (SPD) für eine Verlängerung der Sperrzeiten zur Eindämmung von Alkoholexzessen, über die die Stuttgarter Nachrichten exklusiv berichtet hatte, schmecken der Gastronomie im Land nicht. „Die Politik kann ein gesellschaftliches Problem nicht lösen und behilft sich mit wirkungsloser Symbolpolitik auf Kosten der Gastronomie“, ließ der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) am Donnerstag in Stuttgart verlauten.

Bereits jetzt habe Baden-Württemberg die bundesweit strengste Regelung. In Thüringen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen gebe es gar keine Sperrzeiten. In Bayern beschränkten sich diese auf 5 bis 6 Uhr. Seit dem 1. Januar 2010 müssen Schankbetriebe in Baden-Württemberg unter der Woche in der Regel zwischen 3 und 6 Uhr, an Wochenenden von 5 bis 6 Uhr schließen. Davor hatte eine deutlich strengere Regelung gegolten. Angesichts der hohen Zahl von Gewalttaten, die unter Alkoholeinfluss begangen werden (65 Prozent) will Gall auf Empfehlung der Arbeitsgruppe „Lebenswerter öffentlicher Raum“ hin die Sperrzeiten wieder verlängern. Die Arbeitsgruppe hatte für eine „maßvolle“ Ausdehnung plädiert. Ein Gesetzentwurf soll nach Auskunft des Ministeriums noch in dieser Legislaturperiode vorgelegt werden.

Dehoga-Präsident Fritz Engelhardt, der 12 600 Mitgliedsbetriebe vertritt, erklärte, die Probleme entstünden nicht durch lange Gasthaus-Öffnungszeiten, sondern durch Alkoholkonsum auf öffentlichen Plätzen. „Wir können nicht erkennen, dass es einen Zusammenhang zwischen Sperrzeiten und Alkoholmissbrauch gibt.“ Bei einer Verlängerung der Sperrzeiten fürchtet Engelhardt mehr Bürokratie und höhere Kosten. Er betonte, jede Kommune habe jetzt schon die Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen von der landesweiten Regelung abzuweichen. Gall sollte der Entscheidungskompetenz vor Ort vertrauen. Das Innenministerium hält dagegen, viele Kommunen sähen sich faktisch nicht in der Lage, die Sperrzeiten zu verlängern. Deshalb sei es sinnvoll, die Sperrzeiten landesweit zu verlängern. Die Kommunen könnten diese dann gegebenenfalls lockern.

Der Gemeindetag begrüßte das Vorhaben Galls am Donnerstag als „ersten richtigen Schritt“. Gleichwohl müssten die Kommunen die Möglichkeit bekommen, ein Alkoholkonsumverbot auf öffentlichen Plätzen auszusprechen. Mit diesem Anliegen hatten sich Gall und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in ihren Parteien nicht durchsetzen können.

Die CDU-Fraktion signalisierte Unterstützung für Galls Pläne: „Es darf keine Denkverbote geben“, sagte ihr innenpolitischer Sprecher Thomas Blenke. Vor allem sei Gall aber gefordert, „endlich auch eine Rechtsgrundlage für ein zeitlich und örtlich begrenztes Alkoholkonsumverbot durchzusetzen“. Die FDP, die die Sperrzeitverkürzung 2010 durchgesetzt hatte, sprach dagegen von „reinem Aktionismus“. Eine Verschärfung schränke die Freiheit unbescholtener Gaststättenbetreiber ein und führe nur dazu, dass zu Hause weitergetrunken werde.

Und die Grünen? Ehe Gall seine Pläne öffentlich machte, hatte er sich mehrfach an das grün geführte Staatsministeriums gewandt, von dort nach eigenen Angaben jedoch keine Antwort erhalten. Auch gestern hielt sich die Regierungszentrale bedeckt. Allerdings gilt es als offenes Geheimnis, dass Kretschmann von einer landesweiten Sperrzeiten-Verschärfung nichts hält. Er sprach bisher nur von einer „Flexibilisierung“.