Gerade im Alter wollen viele abgesichert sein – auch mit einer Vollmacht Foto: Fotolia

Immer mehr Menschen sichern sich mit einer Vorsorgevollmacht ab. Für den Fall, dass sie nicht mehr selbst über sich entscheiden können. Doch manchmal wird das Vertrauen bitter missbraucht.

Stuttgart - Die Geschichte liest sich wie ein Krimi. Und jeder Beteiligte erzählt sie anders. Klar ist nur: Im Mittelpunkt steht eine alte Dame aus Stuttgart, die vor einigen Jahren ihrem Sohn eine Vorsorgevollmacht erteilt hat. Im guten Glauben, er möge in ihrem Sinne handeln, wenn sie selbst dazu einstmals nicht mehr in der Lage sein sollte. Diese Hoffnung ist offenbar nicht erfüllt worden. Stattdessen ist Erna N. (Name von der Reaktion geändert) jetzt mittellos.

„Sie hat schon seit längerem erzählt, dass ihr Sohn sie ausnimmt“, sagt eine Freundin der betagten Dame. Er habe Bankkarte, Pass und Schlüssel einkassiert, teile seiner Mutter Geld zu und habe den Großteil ihres Vermögens für sich genutzt. Das elterliche Haus etwa habe er mit der Vollmacht einfach verkauft, sich von dem Geld mehrere Wohnungen angeschafft.

Irgendwann wurde es der Mutter offenbar zu bunt. Sie sei völlig verzweifelt zu ihrer Bekannten gekommen und habe angekündigt, dass sie dem Treiben nun ein Ende machen wolle, erzählt die Freundin. Daraufhin habe der Sohn sie körperlich angegriffen. Als sie zur Polizei gegangen sei, habe er schließlich dafür gesorgt, dass die gesundheitlich angeschlagene Mutter in die geschlossene Abteilung eines Krankenhauses eingewiesen worden sei. „Sie ist aber vollkommen klar“, sagt die Freundin entrüstet, die sich jetzt gemeinsam mit mehreren Mitstreiterinnen auf die Fahne geschrieben hat, der betagten Frau in ihrer aussichtslosen Lage zu helfen.

Das ist nicht leicht. Denn als Außenstehender gibt es wenig Möglichkeiten, in Familienangelegenheiten einzugreifen. Wer eine Vorsorgevollmacht besitzt, darf – je nach deren Ausgestaltung – die Geschäfte des Ausstellers führen. Wenn Ärzte, Krankenhäuser und Verwandte beteiligt sind, gleicht es einem Kampf gegen Windmühlen, wenn man den Eindruck gewinnt, dass jemand anderem schwer zugesetzt wird. Auskünfte fließen spärlich oder gar nicht. Für Behörden sind die Fälle oft kompliziert und schwer aufzulösen.

Auch bei dem Stuttgarter Beispiel ist die Lage unübersichtlich. Polizei und Staatsanwaltschaft sind mit dem Fall befasst. „Wir haben mit allen Beteiligten gesprochen und suchen gemeinsam mit der Stadt nach einer Lösung“, sagt eine Sprecherin der Stuttgarter Polizei. Dem Sohn die Vollmacht einfach abnehmen könne man nicht, dazu sei man nicht befugt. Er zeige sich aber kooperativ und sei womöglich bereit, die Urkunde freiwillig zurückzugeben. Was genau passiert sei, lasse sich schlecht herausfinden: „Irgendwann sind auch die Möglichkeiten der Polizei ausgeschöpft.“ Die Staatsanwaltschaft muss nun entscheiden, ob sie den Vorwürfen nachgeht.

Wie oft Missbrauchsfälle bei Vollmachten vorkommen, weiß niemand so genau. „Ein Massenphänomen ist das sicher nicht, aber jeder Fall ist bedauerlich“, sagt Michael Gutfried. Er leitet das Zentrale Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer in Berlin. Auch Gerichte haben sich bisher nicht allzu oft mit solchen Geschichten befasst: „Es gibt nur vereinzelte Rechtsprechung zu Missbrauchsfällen“, so Gutfried.

Das ist auch nicht verwunderlich. „Bei Familiengeschichten ist der Nachweis oft schwierig“, sagt die Sprecherin der Stuttgarter Polizei. Häufig gelange man dabei an einen Punkt, an dem man nicht mehr weiterkomme und dann die Staatsanwaltschaft entscheiden muss, ob es zu Ermittlungen kommt. Ist der Missbrauch einer Vollmacht nachweisbar, handelt es sich entweder um Diebstahl oder Unterschlagung. Allerdings gilt bei vielen Staatsanwaltschaften die Maßgabe, dass solche Fälle höchstens drei Monate zurückliegen sollten, wenn sie zur Anzeige kommen. Was vor Jahren veruntreut worden ist, bleibt in der Regel verloren.

Zwar gibt es zu Missbrauchsfällen keine Zahlen, dafür lässt sich aber sagen, dass die Deutschen immer mehr Vollmachten erteilen. Im Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer sind noch Ende 2009 gut eine Million Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügungen und Patientenverfügungen registriert gewesen. Ende März 2014 sind es bereits fast 2,4 Millionen gewesen. Tatsächlich gibt es aber noch mehr, denn die Eintragung ist nicht vorgeschrieben. Im Register landen die Dokumente, die bei Notaren gemacht werden – und diejenigen, die dort freiwillig angegeben werden.

„Eine umfassende Vollmacht ist sehr sinnvoll, damit keine gerichtliche Betreuerbestellung erfolgen muss“, sagt Registerchef Gutfried. Um Missbrauch zu vermeiden, sei es wichtig, sich den Bevollmächtigten vorher überlegt auszusuchen. Eine Vorsorgevollmacht sei immer sofort gültig. Das könne auch nicht anders sein, denn sonst müsste im Bedarfsfall erst nachgewiesen werden, dass der Aussteller nicht mehr geschäftsfähig ist. Ein Widerruf ist jederzeit formlos möglich. „Wichtig ist jedoch, dass die Urkunde vernichtet wird“, sagt Gutfried.

Der Experte hat einige Tipps parat, mit denen die Missbrauchsgefahr zumindest etwas verringert wird. „Die Vollmacht gilt zwar sofort, man muss sie aber nicht gleich aushändigen“, rät er. Der Aussteller kann das Dokument bei sich zu Hause aufbewahren, solange es nicht benötigt wird. Er muss lediglich sicherstellen, dass der Bevollmächtigte im Ernstfall weiß, woher er es bekommt.

Auch ein Zusatzvermerk, dass die Vollmacht nur wirksam ist, solange der Bevollmächtigte im Besitz der Urkunde ist, kann Sicherheit bringen. Genauso wie die Einsetzung eines Kontrollbevollmächtigten, der den Bevollmächtigten überwacht. „Das verkompliziert in der Praxis allerdings manches“, so Gutfried.

Die Bundesnotarkammer rät, Vollmachten grundsätzlich ins Zentralregister eintragen zu lassen. Dort haben Gerichte die Möglichkeit, im Streitfall rasch abzufragen, ob es ein solches Dokument gibt. In diesem Jahr hat es bereits mehr als 100 000 solche Abfragen gegeben. Eine Erweiterung um ein Einsichtsrecht auch für Ärzte und Krankenhäuser ist derzeit im Gespräch. Dann könnten auch Mediziner auf dem schnellsten Weg abklären, ob es für Patienten einen Bevollmächtigten gibt, ohne den Umweg über ein Gericht nehmen zu müssen.

Für Erna N. kommen alle Hinweise zu spät. Doch für sie gibt es immerhin eine kleine Hoffnung. Auf Betreiben ihrer Freundinnen kommt Bewegung in die traurige Geschichte. Es solle nun ein Notar mit einer professionellen Betreuung beauftragt werden, heißt es bei der Polizei. Die Stadt würde in diesem Fall dafür sorgen, dass der Sohn die Vollmacht zurückgibt und künftig nicht mehr das Sagen hat.

Das Geld freilich ist weg. Eine bittere Erfahrung. Doch Gutfried rät: „Die Angst vor Missbrauch sollte niemanden, der eine Vertrauensperson im Verwandten- oder Bekanntenkreis hat, davon abhalten, das sinnvolle Instrument der Vorsorgevollmacht zu benutzen.“

Vordrucke für Vollmachten finden sich auf der Internetseite des Bundesjustizministeriums unter www.bmjv.de und dem Stichwort „Formulare“.