So sehen können die dubiosen Schreiben aussehen, die vermeintliche Gewinne versprechen Foto: StN

Der Markt mit falschen Gewinnzusagen floriert. Opfer sind ältere Menschen, die in ein Netz zweifelhafter Warenbestellungen geraten – bis zum bösen Erwachen. Die Hintermänner verstecken sich hinter Postfachadressen.

Stuttgart - Ach, wenn Frau S. aus Sillenbuch all die versprochenen Gewinne wirklich ausgezahlt bekäme – sie könnte sich hier das Seniorenheim kaufen! Na ja, zumindest eine kleine Wohnung. Berge von kunterbunten Gewinnbriefen stapeln sich in ihrem Zimmer, Beträge von 2320 bis 12 700 Euro stehen angeblich zur Auszahlung bereit. Wir gehen die Briefe durch und rechnen mit Taschenrechner: Frau S. müsste inzwischen eine Viertelmillion auf ihrem Konto haben. Genauer: 250 908 Euro und zwölf Cent.

Doch nicht mal die zwölf Cent hat die 79-Jährige gesehen. Dabei hat sie ordnungsgemäß die Rückantworten ausgefüllt und auch hier und da mal was bei den Firmen bestellt, die ihr den Gewinn zugesagt haben. Bela Vita, Schöner leben, Aqua Vitalis, Janus im Hause Euro-Shopping, der Gute Preis – ja, sogar Bruder Johannes vom Kloster Marien-Quell hat ihr einen Treue-Scheck über 2500 Euro versprochen. Der sei gültig, heißt es im Brief, wenn der Treue-Scheck in blauer Tinte geschrieben sei, den Kloster-Marien-Quell-Stempel trage, von ihm persönlich unterschrieben und über den Betrag 2500 Euro ausgestellt sei.

„Da steht doch alles eindeutig“, sagt die 79-Jährige, „attestiertes Gewinndokument, Sie sind bestätigter Gewinner, Sie haben tatsächlich gewonnen.“ Stattdessen bekommt die Seniorin seit Wochen und Monaten nur Warenlieferungen. Gesundheits-Feinsöckchen, Granatapfel-Elixier, Hornhaut-Balsam, Luftpolster-Laufsohle, Reisestock faltbar, Beerenwein. „Das kommt auch, ohne etwas bestellt zu haben“, klagt sie.

Anfangs ließ sie die Pakete zurückschicken, doch dafür musste sie immer Porto zahlen. Bei den Versandfirmen versuchte sie sich zu beschweren – doch da gibt es nur ein Postfach. Und bei der Telefonnummer handelt es sich nur um eine 01 80-Servicenummer eines Call-Centers. Ihr Beschwerdebrief wurde auch nur mit einem Schreiben von Euro-Shopping aus dem holländischen Weert beantwortet: Sie habe leider keinen Anspruch auf einen der Gewinnbeträge, heißt es ohne Unterschrift oder Adresse. Gezeichnet „HMA“.

Juristische Grauzone, genannt unlauterer Wettbewerb

„Das ist doch Betrug“, sagt die Sillenbucherin. Juristisch ist das eher eine Grauzone – genannt unlauterer Wettbewerb. Die Firmen, die nun mit ihrer zweifelhaften Warenwelt von Gesundheitsmitteln den Raum Stuttgart erobern, stehen schon seit langem auf der Schwarzliste der unseriösen Firmen der Verbraucherzentrale Hamburg. „Jede Antwort ist beinahe zwangsläufig mit einer Warenbestellung verbunden“, sagt Juristin Julia Rehberg, „und das steht im Kleingedruckten.“ Da wird aus dem angeblichen Gewinn plötzlich nur eine Nominierung. Der einzige Gewinn ist ein „Warenscheck im Wert von zwei Euro“.

Unseriös, aber rechtlich schwer angreifbar. Zumal sich die Hintermänner hinter Briefkastenadressen verstecken. Die Orte Selfkant und Gangelt, in Nordrhein-Westfalen unmittelbar an der holländisch-belgischen Grenze gelegen, scheinen der einzige Hinweis auf das Scheinfirmen-Geflecht zu sein. Immerhin hat die Hamburger Verbraucherzentrale die Fasanenstraße in Gangelt als einen Ausgangspunkt geortet. Inzwischen aber ist die Avenue Gaston Diderich in Luxemburg die angebliche Firmenadresse.

Euro-Shopping, die Scheinfirma, ist ein Phantom. „Wir sind hier nur die Bestellannahme für 20 Firmen“, heißt es unter der Servicenummer. Gibt es keine Geschäftsleitung? „Dazu kann ich nichts sagen.“

Warum Frau S. die Gewinnversprechen geglaubt hat, weiß sie selbst nicht so genau. „Ich hätte das Geld gut gebrauchen können“, sagt sie. Die Markise müsse repariert werden, aufwendige Zahnarztbesuche stehen an. Doch jetzt sitzt sie in der Falle: Ständig bekommt sie neue Pakete, die sie nicht bestellt hat. Ein Entrinnen scheint unmöglich: Jetzt kommen die ersten Mahnschreiben. Die Verbraucherzentrale rät zum Widerruf. Auch wenn sich später Inkassofirmen melden sollten. Bruder Johannes aus dem Kloster kennt keine Gnade. Auch wenn es ihn so wenig gibt wie das Kloster.