Ein junger VfB-Fan darf bei der Arena-Führung auf dem Pressekonferenzpodium sitzen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Fast 60 000 Fans werden am Sonntag wieder die Mercedes-Benz- Arena füllen. Damit ein Heimspiel der Stuttgarter reibungslos abläuft, arbeiten mehrere Tausend Menschen hinter den Kulissen.

Stuttgart - Eine La-Ola-Welle schwappt durch die Mercedes-Benz-Arena, begleitet von rhythmischem Klatschen und dem Stadion-Evergreen „Oh, wie ist das schön“. Der Schlusspfiff von Schiedsrichter Patrick Ittrich ist kaum zu hören, so laut entlädt sich bei den Fans die Anspannung der vergangenen 90 Minuten. Der VfB Stuttgart hat sein Heimspiel gegen Union Berlin mit 3:1 gewonnen.

Es dauert nicht lange und die Arena ist leer. Wo gerade noch 60 000 Fans freudetaumelnd ihre Mannschaft feierten, legt sich nun eine gespenstische Ruhe über die Ränge – genauso, wie noch vor einigen Stunden, als unbemerkt vom Publikum die Vorbereitungen für das Heimspiel des VfB begonnen haben. Was unternimmt der Verein, damit das Großereignis, das pro Saison 17-mal stattfindet, reibungslos abläuft?

Bereits am Vorabend der Zweitligapartie beziehen Mitarbeiter des Securitydienstes ihre Posten. Sie sind mit die Ersten, die das Stadion betreten, denn sie bewachen die Arena über Nacht. Am Morgen des Spieltags spürt man, dass es hier bald rundgehen wird: Ordner sperren mit flatternden, weiß-rot gestreiften Bändern Parkplätze am Stadion ab und errichten die ersten Straßensperren, die sie immer wieder zur Seite rücken müssen, wenn riesige Trucks die Mercedesstraße entlangrollen. Ihr Ziel ist der Parkplatz direkt am Stadion. In den Trucks befindet sich ein ganzes Sendezentrum: Damit nicht nur die Zuschauer im Stadion, sondern auch vor den Fernsehern das Spiel live erleben können, werden Kameras im Stadion installiert und kilometerweise Kabel verlegt.

Noch vier Stunden bis zum Anpfiff

„An einem Heimspieltag sind vom Reinigungspersonal über Journalisten bis zu den Polizisten in der Regel etwa 3500 Menschen im Einsatz“, erklärt Daniel Honold von der Mitgliederabteilung des VfB. „Nur so kann das alles hier funktionieren.“

Einer jener VfB-Mitarbeiter, die hinter den Kulissen schaffen, ist Björn Schwarze. „Gruppe vier, bitte!“ hallt über den leeren Stadionvorplatz. Es ist 16.15 Uhr, vier Stunden vor dem Anpfiff, als der 40-Jährige eine Gruppe zur Arena-Tour begrüßt. Die Fußballfans werden in den nächsten eineinhalb Stunden nicht nur viele Einblicke in die Mercedes-Benz-Arena bekommen, sondern auch die ein oder andere Anekdote erzählt bekommen, denn die Tour wird von Peter Reichert, dem ehemaligen VfB-Stürmer begleitet.

Björn Schwarze ist einer von insgesamt 20 Arena-Guides, die von Montag bis Sonntag das Stadion für Fans mit Fakten und Geschichten erlebbar machen. Hauptberuflich ist Schwarze Soldat. Dass er fit ist, merkt man, als er zur ersten Station der Führung die unzähligen Stufen zu den Oberrängen der Cannstatter Kurve hinaufsprintet. Seit sechs Jahren führt er Gruppen durch die heiligsten Räume des Stadions. „Das ist pure Leidenschaft für mich. Ich bin selbst großer VfB-Fan, und keiner macht das hier des Geldes wegen“, erzählt der 40-Jährige, bevor er eine Besonderheit der Mercedes-Benz-Arena zeigt: Weil sich Fans beschwert hatten, dass immer dann ein Tor für den VfB fallen würde, wenn sie auf der Toilette seien, wurde ein Fenster oberhalb der Pissoirs eingebaut, und das Problem war gelöst. Voraussetzung ist allerdings eine Mindestkörpergröße von 1,80 Meter. „Das sind die dreckigsten Toiletten im Stadion“, erzählt Schwarze. „Denn wer zu klein ist, hüpft beim Pinkeln hoch, um etwas zu sehen.“

Während die Frauen der Arena-Tour-Gruppe wohl zum ersten und letzten Mal den einmaligen Blick von der Männertoilette auf das Spielfeld erleben, erwacht das Stadion langsam zum Leben. Hastig läuft ein Mitarbeiter des Caterings mit einem Rollwagen vorbei, beladen mit Behältern voller Schnitzel. Sein Ziel ist einer der Kioske, die im Stadion verteilt liegen. Um 17.45 Uhr werden die Grills und Fritteusen angeschmissen, damit rechtzeitig zur Stadionöffnung Fleisch, Würste und Pommes für die hungrigen Fans bereit sind.

Wie sieht es in der Mannschaftskabine aus?

Die Führung geht durch einen unscheinbaren, schmalen Gang, der zunächst nicht erahnen lässt, wohin Schwarze die Gruppe begleitet: ins Herzstück, in die Mannschaftskabine! Ehrfurchtsvoll schleichen die Tour-Teilnehmer durch die Räumlichkeiten, in denen sich die Profis in knapp zwei Stunden auf das Spiel vorbereitet werden. Der Zeugwart Michael Meusch sitzt lässig auf einem Tisch, er ist schon seit dem Mittag im Stadion, um die Kabine für die anstehende Partie vorzubereiten. Sie erinnert an eine Umkleidekabine in der Schulsporthalle – bloß sieht hier alles viel ordentlicher aus. Denn Meusch hat alle Trikots, Hosen, Stutzen, Handtücher, Schienbeinschoner und Fußballschuhe fein säuberlich auf die jeweiligen Plätze gelegt. Nach dem Spiel sehe es allerdings nicht mehr so akkurat aus, erzählt Meusch. Die Spieler sollen zwar ihre dreckigen Sachen in Wäschesäcke packen, aber nicht jeder treffe die Tonne so gut wie das Tor, und so lande auch schon mal etwas auf dem Boden. „Ich sag immer: Er verwöhnt die Jungs viel zu sehr“, erzählt Peter Reichert. Für Meusch ist dieser Tadel ein Lob. Sein Arbeitstag fängt eigentlich erst nach dem Spiel an: Dann räumt der Zeugwart die Kabine auf und wäscht Trikotsätze. Drei Trikots hat er pro Spiel und Spieler dabei plus bis zu vier Paar Fußballschuhe für jeden. Da kommt einiges zusammen.

Um 18.43 Uhr fährt ein schwarzer Bus mit verdunkelten Scheiben, gigantischem VfB-Wappen und der Aufschrift „furchtlos und treu“ die Mercedesstraße entlang. Die Mannschaft des VfB Stuttgart trifft im Stadion ein, begleitet von Fans, die am Straßenrand ihren Spielern zujubeln, Fotos schießen und hoffen, einen kurzen Blick auf ihre Idole zu erhaschen. 90 Minuten vor Anpfiff müssen Heim- und Gastmannschaft sowie das Schiedsrichtergespann im Stadion sein – alles vorgeschrieben vom Ligaverband DFL.

„Jetzt kommt meine absolute Lieblingsstelle“, sagt Peter Reichert zu den Teilnehmern der Arena-Tour. „Heimsieg“ steht direkt vor der Kabinentür, von dort aus geht es direkt zum Spielertunnel, vorbei an Securitymitarbeitern. Die Männer in den schwarzen Anzügen nicken kurz und machen den Weg frei. Auf grünem Kunstrasen geht es leicht abschüssig durch den Tunnel aus Plexiglas auf das Spielfeld zu. „Das ist Gänsehaut pur, wenn du hier rausläufst ins volle Stadion, und alle jubeln dir zu“, erzählt Reichert aus seiner eigenen aktiven Zeit. Fast zehn Jahre spielte der heutige Fanbeauftragte beim VfB Stuttgart, 1984 gehörte er zu der legendären Mannschaft um Guido Buchwald, Karl Allgöwer und den Förster-Brüdern, die deutscher Meister wurde. Vermissen würde er die Prominenz, die ein Profifußballer erfährt, nicht. „Heute bin ich lieber im Hintergrund“, sagt Reichert, „Aber ich erinnere mich gerne an die Zeit zurück, als ich aus der Kabine durch den Spielertunnel und dann auf den Rasen gelaufen bin.“

Noch zwei Stunden bis zum Anpfiff

Das Spielfeld darf nicht betreten werden. Der ein oder andere Arena-Tour-Teilnehmer muss sich sichtlich beherrschen, nicht doch wenigstens mit der Fußspitze das heilige Grün zu berühren, auf dem sich gleich Baumgartl, Insúa und Gentner den Ball zupassen werden. Sorgsam, als lege ihnen jeder einzelne Halm am Herzen, kümmern sich die Greenkeeper um den Rasen. Fast täglich wird er gemäht, vertikutiert, gewässert und beleuchtet.

Zwei Stunden vor Anpfiff fühlt man sich längst nicht mehr einsam im Stadion – und auch nicht am Spielfeldrand. Für die TV-Übertragung werden Moderationstische aufgebaut, das Licht eingestellt und der Sound der Mikrofone überprüft. Gerne würde man einen Blick auf die Moderatorinnen des Abends, Esther Sedlaczek (Sky) und Laura Wontorra (Sport 1) erhaschen, doch die beiden Fernsehfrauen, die zurzeit eine Männerdomäne aufmischen, sind noch nicht zu sehen. Dafür dringt ein Heer von gelb gekleideten Ordnern in das Stadion: 800 sind an diesem Heimspielabend im Einsatz. Aus der großen Gruppe heraus verteilen sie sich, beziehen ihre Positionen in den Blöcken und am Spielfeldrand.

Noch liegt Stille über dem gigantisch groß wirkenden Stadion. Nur wenige Minuten später wird sich das ändern: Um 18.45 Uhr werden die Tore geöffnet, und Tausende Fans strömen in das Innere. Das Rot der Schalensitze auf den Tribünen verschwindet langsam und verfärbt sich in ein buntes Sammelsurium aus Fantrikots, -schals und -fahnen. Die leere Schüssel füllt sich mit einer undefinierbaren Geräuschsuppe, die sich bis zum Anpfiff um 20.15 Uhr in Fangesänge verwandelt, die jeden Fußballfeinschmecker entzücken.

Am Sonntag beginnt wieder alles von vorne

Während die Stimmung im Inneren des Stadions kocht, als Alexandru Maxim in der 29. Minute den Führungstreffer für Stuttgart erzielt und nur vier Minuten später Simon Terodde nachlegt, dampfen die Würste auf den Grills der Kioske. Der Duft von frisch Gegrilltem und kühlem Bier zieht bis auf die untersten Plätze der Tribünen. Wenn die Partie um 21 Uhr in die Pause geht, beginnen für die Mitarbeiter des Caterings die 15 stressigsten Minuten des Spieltags. In Zahlen bedeutet das: 15 000 Bratartikel, bis zu 30 000 Becher Bier und 12 000 alkoholfreie Getränke.

Als sich die Mannschaft um kurz nach 22 Uhr unter tosenden Fangesängen von ihren Anhängern verabschiedet und im Inneren des Stadions verschwindet, leeren sich auch die Plätze auf den Rängen. Jetzt erinnern nur noch die zurückgebliebenen Plastikbecher, Servietten und Stadionhefte an die Partie. Beim nächsten Heimspiel an diesem Sonntag beginnt wieder alles von vorne.