Die GEW-Landesvorsitzende Doro Moritz befürchtet Engpässe im Unterricht. Foto: dpa

Es fehlt an Lehrern, besonders in der Grundschule. Dennoch gibt es in diesem Schuljahr weniger Stellen als im Vorjahr. Wie groß das Minus ist, darüber streiten Kultusministerium und Bildungsgewerkschaft.

Stuttgart - „Die Unruhe und die Unzufriedenheit an den Schulen sind seit dem Regierungswechsel zu Grün-Schwarz größer geworden“ – so beschreibt Doro Moritz, die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Stimmung kurz vor Beginn des neuen Schuljahrs. Dafür macht sie nicht zuletzt Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) und deren Kritik an der Arbeit der Grundschulen verantwortlich. Eisenmann hatte die Ursache für das schlechte Abschneiden der baden-württembergischen Schüler in diversen Leistungsvergleichen vor allem in den Grundschulen gesehen.

Auch die schlechte Unterrichtsversorgung hebt die Stimmung an den Schulen nicht. Die Gewerkschafterin Moritz führt Berichte aus Schulen an, wonach „mehr als einer der Kollegen ernsthaft über berufliche Alternativen nachdenkt“.

Selbst Digitalisierung „nur verbal“

Die GEW geht davon aus, dass Pflichtunterricht ausfällt. Besonders betroffen werden wohl die Grundschulen sein. „Die Inklusion fährt an die Wand“, die Flüchtlinge fänden zu wenig Unterstützung. Selbst die Digitalisierung, die die grün-schwarze Landesregierung ganz groß schreibt, findet nach der Einschätzung von Moritz „nur verbal statt“. Für gesellschaftliche Fragen wie den Ausbau des islamischen Religionsunterrichts oder Ethikunterricht sei kein Geld da.

Moritz zufolge stehen in diesem Schuljahr 700 weniger Lehrerstellen zur Verfügung als im vergangenen Jahr. Das lässt Eisenmann nicht gelten. Sie weist die Stellenrechnung der GEW als unseriös zurück. „Es ist nicht nachvollziehbar, wie die GEW auf ein Minus von 700 Stellen kommt“, wundert sich die Ministerin. „Bei leicht zurückgehenden Schülerzahlen“ stünden tatsächlich rund 350 Stellen weniger zur Verfügung.

Kritik am Programm zur Lehrergewinnung

Auch das von der Kultusministerin angestoßene Programm zur Lehrergewinnung hält die GEW für nicht ausreichend. „Kleinteilig und wenig wirksam“, nennt Moritz die Maßnahmen und fordert erstens ein Umdenken und zweitens deutlich mehr Geld für die Bildungspolitik. Die GEW spricht sich für mehr Bundesgeld für die Bildung aus. Nach den Querelen um die Finanzspritze des Bundes für die Digitalisierung der Schulen plädiert Moritz für eine generelle Verteilung der Mittel vom Bund in die Länder aus. „Wir sollten nicht bei einzelnen Projekten über die Finanzierung diskutieren.“

Bewegung scheint in die Diskussion über den Ausbau von Studienplätzen für Grundschullehrer zu kommen. Angesichts der Lücken in der Unterrichtsversorgung sagte Moritz: „Ich erwarte eine vorausschauende Bedarfsplanung, und ich erwarte eine Erhöhung der Studienplatzkapazitäten.“

Mehr Studienplätze für Grundschullehramt

Eisenmann hatte bisher betont, sie brauche jetzt zusätzliche Lehrer, mehr Studienplätze seien kurzfristig keine Hilfe. Jetzt erklärt die Ministerin mit Blick auf die Grundschulen, die Kapazitäten an den Pädagogischen Hochschulen würden angehoben, „um dem steigenden Bedarf im Primarbereich mittelfristig besser gerecht zu werden“. Gegenwärtig gibt es für die Lehrämter an Grundschulen einen Numerus clausus.

Der GEW zufolge braucht Baden-Württemberg für die Grundschulen jährlich 1400 bis 1500 Studienanfänger, gegenwärtig gebe es an den Pädagogischen Hochschulen 1272 Anfängerplätze. Moritz verlangte gleichzeitig, die Studiendauer für Grundschullehrer auf zehn Semester anzuheben. So lange dauert die Regelstudienzeit für alle anderen Lehrämter. Auch erwartet die GEW, dass Grundschullehrer künftig besser bezahlt werden. Sie sind mit A12 eine Gehaltsklasse niedriger eingestuft als Lehrer anderer Schularten. Moritz wertet das als „strukturelle Diskriminierung von Frauen“. Fast alle Grundschullehrkräfte sind weiblich.

Für die Inklusion, den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülern, sieht die GEW schwarz. Lehrer seien restlos überlastet, es fehlten Sonderpädagogen. „Die Bedingungen verschlechtern sich von Jahr zu Jahr“, klagt Moritz. In den vergangenen zwei Jahren sei die Zahl der Inklusionsschüler an Regelschulen um neun Prozent gestiegen. Es seien aber keine Ressourcen für eine gute Inklusion geschaffen worden.