Der Milchpreis fällt und fällt – daran ist nicht nur der Wegfall der Milchquote schuld. Der Druck auf die kleinen Höfe wächst weiter. Foto: dpa

Von 1999 bis 2015 ist die Zahl der milcherzeugten Betriebe in Baden-Württemberg um über 60 Prozent zurückgegangen. Die Milch wandert nach Norden – zu den Großbetrieben in NRW und Niedersachsen.

Berlin - Der Krisengipfel zur Situation der Milchbauern gehört keineswegs in die Kategorie des politischen Aktionismus. Die Milchviehhalter haben ernste Sorgen. Ihr Einkommen hängt eben direkt vom Erzeugerpreis ab, den die Molkereien für ihr Produkt zahlen - und der sinkt rapide. Im April 2015 wurden 100 Kilo konventionell erzeugte Kuhmilch (4 Prozent Fett) in Deutschland im Schnitt noch mit 30,12 Euro vergütet. Nach den Zahlen der „Agrarmarkt Informations-Gesellschaft“ in Bonn ist der Preis im März 2016 auf 25,83 Euro eingebrochen.

Für diese Entwicklung gibt es mehrere Gründe. Seit April 2015 gibt es in der EU kein System fester Milchquoten mehr, das die Produktion begrenzte. Die Liberalisierung der Märkte hat zu einer Ausweitung der Milchmenge geführt. Der Fachdienst „agrar heute“ gibt an, dass die Milcherzeugung in der EU seit dem Ende der Quotenregelung um 3,8 Prozent (knapp 6,1 Millionen Tonnen) gestiegen ist. Besonders Irland (plus 18 Prozent) und die Niederlande (plus 12 Prozent) legten gewaltig zu. In Deutschland lieferten die Erzeuger im März 2016 3,2 Prozent mehr Milch an als im Vorjahresmonat. Die wachsende Menge drückt auf den Preis. Das wäre verkraftbar, wenn der Überschuss im Export abverkauft werden könnte. Das ist aber nicht der Fall. Die Branche leidet zum Beispiel spürbar unter dem russischen Importstopp als Reaktion auf die von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen. Zudem verschärft der vehemente Preisdruck der Discounter, bei denen die Tüte Milch mitunter schon für 42 Cent angeboten wird, die Wettbewerbssituation der Milchbauern.

Im Endeffekt verstärkt diese Situation einen Trend, der in Deutschland bereits seit langer Zeit zu beobachten ist: Die Milch wandert nach Norden in die so genannten Gunstregionen, wo die Böden besser sind und flache Landschaften Großlandwirtschaft begünstigen – zu Lasten der Kleinbetriebe, wie es sie traditionell im Süden und Südwesten gibt.

Der Südwesten ist in Sachen Milchproduktion das Verliererland schlechthin

Beide Trends, die Nordwanderung und das Höfesterben, lassen sich ziemlich präzise statistisch belegen. Eine Studie der Universität Vechta belegt das. 1950 wurden in Deutschland noch 1,5 Millionen Milcherzeuger gezählt, 1983 war die Zahl bereits auf unter 400 000 gesunken. Im Jahre 2015 sind noch 76966 milcherzeugende Betriebe registriert. Von 1999 bis 2015 hat sich die Zahl praktisch halbiert. Weichen oder Wachsen – das ist im Prinzip die Alternative. 1950 besaßen die Erzeuger im Schnitt vier Kühe. 1999 lag der Schnitt bei 31, heute liegt die Zahl bei knapp über 55. Nur lässt sich nicht überall beliebig wachsen. Auf der schwäbischen Alb geben das weder Fläche noch Topografie her. Baden-Württemberg hat heute noch 8223 milcherzeugende Betriebe. Das sind 10,7 Prozent aller Betriebe in Deutschland. Von 1999 bis 2015 ist die Zahl dabei um 62,9 Prozent zurückgegangen. Das ist deutschlandweit ein trauriger Spitzenwert. Der Südwesten ist in Sachen Milchproduktion das Verliererland schlechthin.

Die Nordwanderung der Milch in nüchternen Zahlen: Der Anteil Baden-Württembergs am gesamten Milchkuhbestand sinkt kontinuierlich: von 9,4 Prozent im Jahre 1996 auf heute noch acht Prozent. Dagegen wächst der Anteil NRWs und vor allem Niedersachsens, wo heute fast jede fünfte Milchkuh steht. In diesen Flächenländern sitzen die Großbetriebe. In Niedersachsen hat jeder Milchhof im Schnitt rund 80 Kühe, in Baden-Württemberg rund 41.

Diese Großtrends sind durch kurzfristige Maßnahmen nicht zu stoppen. Landesagrarminister Peter Hauk hat im Gespräch mit unserer Zeitung klar gemacht, dass er strukturelle Maßnahmen wie Veränderung bei der Besteuerung oder bessere Bedingungen bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung direkten Zuschüssen vorzieht. Aber all das wird den Prozess der Nordwanderung der Milch nicht aufhalten können. Das sieht auch Michael Allgaier so. Der Milchbauer aus Eggenhausen ist Mitglied im Beirat des baden-württembergischen Landesverbandes des Bundesverbandes der deutschen Milchbauern. Er sieht die Zukunft düster: „Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht grundsätzlich ändern, dann wollen vieler meiner Kollegen nicht mehr weitermachen. Sie können es einfach nicht mehr. Sie werden die Produktion einstellen.“