Auf dem Handy eines gefangenen Dschihadisten aus Deutschland fanden Aufständische dieses Bild: Es zeigt den Schleuser „Mohammed“ (Mitte, Zweiter von links) mit dem Salafistenprediger Sven Lau aus Mönchengladbach(hinten) – der Wasserturm im Hintergrund zeigt, dass das Foto in Harithan bei Aleppo aufgenommen wurde Foto: privat

Der Weg ins Paradies führt von Bonn, Stuttgart und Berlin über die Türkei und Syrien. Hier starb Ende September beim Kampf um die Kurdenstadt Kobane ein junger Mann aus der Region Stuttgart.

Aleppo - In diesen Tagen ist der Bruder Mohammed ein viel gefragter und deshalb auch sehr beschäftigter Mann. Auf seinen Schultern lastet schließlich die Zukunft des Islam. Zumindest des Islam, der sich unter einer schwarzen Flagge, maskiert und Köpfe abschneidend präsentiert. Der kommt ohne Männer wie Mohammed nicht aus. Denn der Bärtige in den Zwanzigern und mit dem rheinischen Dialekt sorgt dafür, dass der selbst ernannte Islamische Staat mit dem versorgt wird, was der derzeit dringend braucht: Kämpfer. Vorzugsweise die aus Deutschland schleust „Bruder Mohammed“ aus der Türkei in die Terror-Ausbildungslager des Islamischen Staates (IS) nach Syrien.

In dessen Metropole Aleppo sitzt Kommandant Khaled an einem Schreibtisch und stützt seine Ellbogen auf die Glasplatte. Die soll verhindern, dass Kratzer das dunkelbraune Holzmonstrum verschandeln. Einen Laptop hat der Mann in Tarnuniform vor sich aufgebaut. Daneben ein Schreibblock. Darauf ein penibel angespitzter Bleistift. Ein Mobiltelefon. Mehr braucht Khaled nicht, um gegen den schlimmsten Feind zu kämpfen, den seine Freie Syrische Armee (FSA) in Syrien findet: die Horden der Terrormiliz IS.

Damit deren steter Hunger nach neuen Kriegern gestillt wird, verließ „Bruder Mohammed“ vergangene Woche sein Domizil in der nordsyrischen Stadt A’zaz. In der Wohnung lebte früher der Schneider Salah Karim Farhan mit seiner Frau und seinen drei Töchtern. Diese liebten Kosmetik, Modezeitschriften und flotte Klamotten. Teenager eben. Bis am 19. April vergangenen Jahres elf offene Geländewagen und zwei Krankenwagen in die Stadt einfuhren.

„Wie bei einer Parade“, erzählen die Leute von A’zaz. Auf dem vordersten Wagen stand ein kräftiger Kerl Anfang zwanzig und hielt eine Fahne. Im Fahrtwind flatterte das schwarze Tuch mit dem runden, weißen Siegel, das einmal der Prophet benutzt haben soll. Seitdem ist nichts mehr, wie es war in A’zaz.

Zuerst, erzählen die, die lebend aus der Stadt flüchten konnten, seien die Männer des IS fast so etwas wie Entwicklungshelfer gewesen. „Die haben eine Krankenstation aufgebaut. Und Mehl in die Bäckereien geschleppt. Im Sommer wurden Bewaffnete vor den Läden postiert. Und im Herbst wurden die vertrieben, die nicht den Islam haben wollten, den sich der IS vorstellte“, erzählt Abdul al-Shafei.

Der Schneider Salah Karim Farhan wurde an einem Freitagnachmittag öffentlich auf einem Platz erschossen, seine Frau und seine drei Töchter verschleppt. Seitdem lebt „Bruder Mohammed“ mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in diesem Haus. Aus dem bricht er in die Türkei auf, um die zu holen, die unter der Fahne des Propheten kämpfen wollen. Die, deren Leben der Heilige Krieg werden soll.

Abu Mohammed, sagt Khaled in seiner blumigen Sprache, „ist ein Manager des Todes“. Der Mittdreißiger weiß nicht viel über die Vergangenheit des Schleusers, über den er sich den Kopf zerbricht: Er spreche fließend Deutsch mit jenem Singsang, der den Rheinländer verrät. Und Türkisch spricht er ebenso fließend. Vor anderthalb Jahren haben FSA-Kämpfer den türkischen Rheinländer erstmals im dem Flüchtlingslager bemerkt, das unweit der türkischen Stadt Reyhanli auf der syrischen Seite des löchrigen Grenzzauns zwischen Granatapfel- und Olivenbäumen aus dem Boden geschossen ist. Erst trainierte die FSA in diesem „Atmeh“ genannten Lager ihre Kämpfer alleine – später zusammen mit dem IS.

In Atmeh landen alle, die der „Bruder Mohammed“ im türkischen Antakia unweit des Basars vor der Ulu-Moschee aufliest, in Reyhanli in der Grünen Moschee oder in Gaziantep auf dem Bahnsteig 13 des Busbahnhofs: junge Männer mit struppigen Bärten und dem unbändigen Hass auf alles, was für sie unrein und ungläubig ist. „Die müssen irgendwie nur aus Deutschland in die Türkei kommen“, sagt Khaled. Mit dem Flugzeug. Mit dem Bus. Mit dem Auto. Oft genug hat er deren Telefonate abgehört: „Sie wählen ‚Mohammeds‘ Nummer, die sie in Deutschland bekommen haben – und dann: Willkommen auf dem Weg ins Paradies!“

Der führt unter der Fahne des Propheten erst in eine vier Wochen dauernde Ausbildung. Zu der brechen die Gotteskrieger aus dem Flüchtlingslager Atmeh in die nahe Umgebung auf. Lernen schießen, sprengen, töten. Dann würde aussortiert: „Weichlinge werden nach Hause geschickt, um Geld, Ausrüstung und neue Rekruten zu holen“, weiß der FSA-Anführer. „Die anderen ziehen in den Kampf.“

Blutige Gefechte liefern sich die Dschihadisten auch mit dem früheren Verbündeten FSA. Seit vergangenem Winter töten die Terroristen des IS auch die Kämpfer der syrischen Aufständischen, die der Westen für moderat hält. Seitdem, sagt Khaled, „kämpfen wir oft auch zwischen den Fronten: auf der einen Seite der IS, auf der anderen Baschar al-Assad, Syriens Machthaber“. Der frühere Polizist schweigt. Die Muskeln seiner Wangen zucken, zittern. Seine Schläfen hüpfen auf und ab wie ein Jo-Jo. „Wir kämpfen zwischen zwei Mühlsteinen und werden langsam zerrieben.“ 1040 Kampf-, 3560 Schützenpanzer und 12 560 Geländewagen sind den IS-Terroristen nach einer Schätzung der US-Denkfabrik ISW im Sommer bei ihrer Offensive im Irak in die Hände gefallen.

Hinzu kommen die Panzer, die die Dschihadisten von den Truppen des Assad-Regimes erbeutet haben. Einer von den kampfwagen stand im vergangenen Herbst in der Akademie für Elektrotechnik unweit von Aleppo in der Stadt Harithan. Offenbar ein lohnendes Fotomotiv für Dschihadisten. Auf dem Handy eines gefangen genommenen Gotteskriegers fanden Khaleds Kämpfer Anfang Oktober einen Schnappschuss. Auf dem sind sechs Männer zu sehen. Ganz oben streckt der Mönchengladbacher Salafistenprediger Sven Lau seinen rechten Zeigefinger in den Himmel. Ein Kalaschnikow-Sturmgewehr baumelt an seiner rechten Seite. Zu seiner Linken Marco Zischewski, der in Düsseldorf der „Hilfsorganisation Help4Umma“ vorsteht. Vor Lau hockt, den Kopf gesenkt, ganz in Schwarz gekleidet, der IS-Schleuser „Bruder Mohammed“.

Damals, sagt Khaled, war Harithan von Kämpfern einer IS-Untergruppe besetzt: „In einem Mehrfamilienhaus neben der Ash-Shaykh-Ali-Moschee lebten deutsche Kämpfer unter dem Kommando des Rheinländers ‚Abdulwahid al-Almani‘.“ Das dürfte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der deutsche Dschihadist Konrad Schmitz gewesen sein. Er und seine Krieger unterstanden dem Kommando Tarkhan Batiraschwili. Der frühere georgische Elitesoldat mit dem Kampfnamen „Omar al-Shishani“ befehligt seit Mai 2013 die IS-Kampfgruppen im Norden Syriens. Grundstock dafür war seine „Jaish al-Muhajireen wal-Ansar“. Tausend Dschihadisten aus Tschetschenien, Bosnien und Deutschland versammelten sich in der „Armee der Einwanderer und Unterstützer“. Heute führt er die IS-Truppen in der Schlacht um die syrische Kurdenstadt Kobane. Ende September starb dort der einst in Ditzingen bei Stuttgart lebende Bosnier Elvis Hajric bei den Kämpfen.

„Mich wundert, warum der selbst ernannte Aufbauhelfer Lau in einem vom IS besetzten Dorf so offen eine Waffe tragen kann“, fragt Khaled süffisant. Seiner Erfahrung nach entführen IS-Terroristen seit ihrem Auftauchen in Syrien 2013 Helfer oder töteten sie gleich am Straßenrand, „gerade, wenn jemand aus dem Westen bewaffnet ist“. Khaled stützt seine Ellbogen auf den Schreibtisch, legt sein Kinn in die Hände. „Abu Mohammed wird kein langes Leben haben“, sagt er bestimmt. Lächelt. Schaut aus dem Fenster. Schweigt. Todesurteile werden in Syrien einsam und still gefällt.