In der Ruhe liegt die Kraft: Thomas Heine meditiert im Feuerbacher Verwaltungsgebäude von Esselte/Leitz. Foto: Michele Danze

Erst kommandierte Thomas Heine ein Panzer-Bataillon. Dann wurde er Deutschland-Chef von Leitz in Feuerbach. „Ich war ein unangenehmer Zeitgenosse.“ Doch dann kam die Wende. Das Ende als Top-Manager und der Start zum Zen-Trainer. Jetzt plant der Stuttgarter ein Zentrum für Meditation.

Stuttgart - Er hat gelernt, seinem Leben eine Struktur zu geben. Ob als Soldat oder als Top-Manager. Aber nach einigen Schicksalschlägen ist manches aus den Fugen geraten. Thomas Heine (60) begann alles zu hinterfragen. Es war 2004, zwei Jahre nachdem er seinen „Traumjob“ als Deutschland-Chef von Esselte (früher Leitz) angetreten hatte: „In dieser Zeit bekam ich Kontakt zu Zen und zeigte schon nach kurzer Zeit meinen Kollegen gegenüber ein anderes Verhalten.“

Jene Kollegen runzelten die Stirn, wenn der Boss lässig um die Ecke bog. Sprüche wie „Jeder Tag ist ein guter Tag“ hielten sie für Schwachsinn. Ein anderer hüpfte wie Rumpelstilzchen durchs Haus, weil eine Million Euro in den Büchern gefehlt hat. Heine ließ ihn toben. Zur Ruhe kommen. Und erklärte ihm dann stoisch: „Das ist nicht das wahre Leben, das sind Zahlen auf Papier.“

Man stelle sich vor: Der Mercedes-Chef tritt vor seine Aktionäre und wiederholt im Brustton der Überzeugung Heines Lebensweisheit. Alle würden sich vermutlich mit dem Zeigefinger an die Stirn tippen. Wenn der Chef dann noch in seinem Verwaltungsgebäude einen Zen-Raum einrichtet und in der blauen Meditationskutte durch die Flure rennt, geraten sogar Weltbilder ins Wanken.

Zen, Training, das eine gewisse Disziplin und Härte notwendig macht

All das hat Thomas Heine so erlebt. Doch irgendwann merkten die Mitarbeiter in Feuerbach: Es steckt mehr dahinter als nur Gefasel. „Ich bin da immer sehr nah am Rausschmiss entlang geschrammt“, erinnert sich Heine, „aber nach einer gewissen Zeit bekam ich Narrenfreiheit.“ Die Bilanzzahlen gaben ihm schließlich Rückenwind: „Ich hatte achte lang bis zu meinem Ausscheiden die besten Ergebnisse“, sagt er lachend, „doch das Beste ist: Dieser Erfolg ist ohne Anstrengung und ohne übermäßige Energie entstanden.“

Zen als Erfolgs-Formel. Im Leben und im Beruf. Geht so etwas? Und was ist Zen eigentlich? Heine kennt diese Fragen. Ebenso wie das ungläubige Staunen in den Gesichtern der Zuhörer, wenn er ihnen erklärt: Zen ist keine Religion, kein Dogma, kein Glaube. Zen habe nichts mit Esoterik zu tun. Und es ist keine Psychotherapie. Nein, auch kein Wellness-Programm, wo man sagt: Okay, jetzt mache ich mal ein bisschen Zen, setze mich hin und mach mal Ömchen.

Aber was ist es dann? Heines routinierte Antwort: „Training, das eine gewisse Disziplin und Härte notwendig macht. Sie werden während des Trainings nie mit Glaubenssätzen konfrontiert werden.“ Auf die eigentliche Frage nach dem Wesen des Zen lässt er jedoch einen alten japanischen Meister sprechen: „Zen studieren heißt sich selbst studieren. Sich selbst studieren, heißt, sich selbst vergessen. Sich selbst vergessen, heißt, in Harmonie sein, mit allem, was uns umgibt.“ Erst dann ist alles in Buddha.

„Wer diesen Weg geht, erfährt ein tiefes Glück, unabhängig von allen Bedingtheiten, frei, offen und unbegrenzt“, verspricht Thomas Heine. Zum Hintergrund: Die spirituelle Grundlage des Zen und sein geschichtlicher Ursprung liegt bei Buddha, der vor zweieinhalbtausend Jahren in Indien unter dem Bodhi-Baum die Erleuchtung fand, besser gesagt erwachte, und von da an seine Lehre von den vier Wahrheiten predigte.

„Meditation ist ganz banal nur sitzen und nichts tun. Der Begriff dafür ist Zazen“

Die erste Wahrheit des Buddha lautet: Alles Leben ist Leiden. Die zweite: Leiden entsteht durch Gier. Die dritte Wahrheit: Es gibt eine Aufhebung des Leidens, indem wir uns von der Gier trennen. Viertens führt zur Leidensaufhebung der sogenannte achtfache Pfad – wozu auch die Meditation gehört.

„Meditation ist ganz banal nur sitzen und nichts tun. Der Begriff dafür ist Zazen“, erklärt Heine lapidar, „dabei wird der Gedankenfluss ruhiger. Wir können, wenn Gedanken kommen, entscheiden, uns damit nicht zu beschäftigen, sie vorbeiziehen zu lassen und wir nehmen Energie auf.“

Ein verlockendes Angebot. Zur Ruhe kommen. Zwischen E-mail-Terror und Nachrichtenfluten einfach abschalten. Hirnforscher haben herausgefunden: Menschen produzieren täglich bis zu 50 000 Gedanken. Unruhe ist Programm in der digitalen Welt. In der Meditation kommt es zur Vollbremsung. Zum besseren Verständnis bemüht Heine eine Metapher: „Wenn Sie ein Wasserglas mit Schlamm haben und rühren ständig darin herum, ständige Bewegung, dann wird das Wasser nie durchsichtig. Wenn man es aber einfach hinstellt und wartet, wird es wunderbar klar.“ Die Verheißung lautet: Die Begeisterung und Lebensfreude nimmt zu, heitere Gelassenheit stellt sich ein und wenn wir die Quasselstrippe im Kopf beruhigen können, entsteht eine Klarheit des Denkens durch Kraft aus der Stille.

Hier und Jetzt ganz wichtig

Nur 25 Minuten tägliches Zen-Training würden anfangs genügen, versichert Heine: „Man merkt schnell, dass die psychische und physische Gesundheit wachsen, aber auch Ängste überwunden werden.“ Und fast hätte es Thomas Heine vergessen: das Hier und Jetzt. Ein ganz wichtiger Aspekt im Zen. Theoretisch, aber in diesem Fall auch ganz praktisch. Heine bietet Anfängern im Hier (Meditationsraum bei Esselte/Leitz, Siemensstr. 64) und im Jetzt (Dienstags und Mittwochs, 19 Uhr) Schnuppersitzungen an.

Ungeachtet all dieser wertvollen Augenblicke schmiedet der Zen-Trainer große Zukunftspläne: „Ich will Anfang nächsten Jahres in Stuttgart ein Zen-Zentrum eröffnen.“ Neugierige seien jetzt schon in Feuerbach willkommen. Und all jenen erzählt er dann wahrscheinlich die Geschichte von seinen ersten Begegnungen mit einem Zen-Meister. Hin und her gerissen zwischen Zweifeln und Begeisterung sagte Heine damals zum Meister: „Entweder sind Sie ein großer Könner oder ein Scharlatan.“ Heute antwortet er angehenden Schülern mit den Worten seines Meisters: „Finden Sie es heraus.“

Weitere Infos gibt es unter der E-Mail-Adresse heinetom@t-online.de. oder im Internet www.zen-stuttgart.com