Die durchsichtigen Aufbiss-Schienen werden individuell angefertigt und meist in der Nacht getragen. Foto: blende40/Fotolia

Das Zähneaufeinanderpressen beim konzentrierten Arbeiten ist ungesund, ebenso Zähneknirschen im Schlaf, warnt die Zahnmedizinerin Ingrid Peroz: Die Folgen reichen von Zahn- und Kieferschmerzen beim Aufwachen bis zu Dauerschäden an der Zahnsubstanz. Sie rät Knirschern zu mehr Achtsamkeit.

Stuttgart – Frau Peroz, ist Zähneknirschen eine Volkskrankheit?
Es ist zumindest weit verbreitet. Den sogenannten Bruxismus – das heißt, die sich wiederholende Aktivität der Kaumuskulatur im Sinne von Pressen oder Knirschen mit den Zähnen oder das Anspannen oder Hacken des Unterkiefers – beobachten wir häufig in Zahnarztpraxen. Verschiedene Studien zeigen, dass acht bis zehn Prozent der Erwachsenen und sogar bis zu 20 Prozent der Kinder mit den Zähnen knirschen. Bei Kindern ist das Phänomen etwas Normales. Es ist eine Umstellung für sie, wenn sie die ersten, dann die bleibenden Zähne bekommen. Deshalb probieren Kinder die neuen Zähne aus, indem sie zum Beispiel mit dem Kiefer mahlen.
Und warum knirschen Erwachsenemit den Zähnen?
Eine wesentliche Ursache ist Stress und der falsche Umgang damit. Stress bedeutet die Vorbereitung auf Flucht oder Angriff. Man spannt den Körper an und presst dabei auch die Zähne zusammen. In vielen Situationen wie am Arbeitsplatz ist es aber gar nicht möglich loszurennen oder loszubrüllen.Also arbeitet der Körper den Stress durch Anspannung ab. Insgesamt haben wir neben den Anspannungsphasen zu selten Ruhephasen. Außer Stress sind weitere psychosoziale Faktoren wie Angststörungen oder Depression als Auslöser möglich. Auch können Drogenmissbrauch, Alkohol, Rauchen und Koffein infrage kommen. Fehlstellungen des Gebisses oder Probleme mit Füllungen, Brücken oder Kronen werden heute kaum noch als Ursache für Knirschen gesehen. In den meisten Fällen hat es mehrere Ursachen.
Und das Knirschen passiert häufig unbewusst, besonders nachts.
Genau. Nachts im Bett hört es entweder der Partner, oder man merkt selbst, dass etwas nicht stimmt, weil man zum Beispiel nach dem Aufwachen verspannt ist. Wenn man regelmäßig zum Zahnarzt geht, erkennt der in der Regel mit einer klinischen Untersuchung Zähneknirscher.
Ingrid Peroz. Foto: DGFDT
Wie gefährlich ist Knirschen bei Erwachsenen?
Das hängt von der Stärke und Dauer ab. Viele Menschen beißen ab und zu mal die Zähne zusammen, sei es aus Konzentration, Stress oder Anstrengung. Wenn das Knirschen allerdings oft passiert und Spuren hinterlässt, sollte man sich behandeln lassen.
Welche Folgen hat Zähneknirschen?
Zähneknirschen übt einen immensen Druck auf Kiefer und Zähne aus. Verspannungen der Kaumuskulatur können zu teils heftigen Kopfschmerzen im Schläfenbereich führen. Die Schmerzen können sich bis in den Kiefer, die Zähne und Knochen ausdehnen. Die Kaumuskulatur kann nicht nur verhärtet sein, sondern auch vergrößert, Hypertrophie genannt. Wer die Zähne fest zusammenbeißt, hat dann ein eher viereckiges Gesicht.
Wie stark schädigt Knirschen die Zähne?
Abnutzungserscheinungen der Zähne treten vor allem bei exzessiven Knirschern auf. Das kann dazu führen, dass die Frontzähne alle gleich lang aussehen, obwohl normalerweise die Eckzähne und die mittleren Frontzähne länger sind als die seitlichen Frontzähne. Ich habe Patienten, die sich ein Drittel der Zahnlänge ihrer Zähne weggeknirscht haben. Bei leichteren Fällen erkennen Zahnärzte die markanten Schlifffacetten. Das sind abgeriebene Flächen an gegenüberliegenden Zähnen, die wie Schloss und Schlüssel ineinanderpassen, wenn man die Zähne aufeinander verschiebt. Ist der Zahnschmelz weggeknirscht, fehlt diese äußere Schutzschicht, und der Zahn kann schmerzempfindlich werden. Bei keramischen Restaurationen kann die Keramik abplatzen.
Was können Zahnärzte dagegen tun?
Indem sie den Menschen vor sich selbst schützen. Viele Knirscher bekommen eine Schiene für nachts. Das schont die Zähne, der Nutzen von Schienen ist wissenschaftlich belegt. Das Knirschen selbst können sie aber meist nur kurzfristig reduzieren. Schienen sind erst mal ungewohnt im Mund, weshalb der Patient bloß am Anfang weniger knirscht. Manche beißen ihre Schienen regelrecht durch und brauchen alle ein, zwei Jahre eine neue. Am besten hebt man das Zahnmodell auf, mit dem die Schiene angefertigt wurde. Dann kann der Zahnarzt bei den Kontrollen die Zähne miteinander vergleichen, um zu erkennen, ob der Zahnsubstanzverlust schnell voranschreitet oder nicht. Muskelverspannungen können dagegen nur Entspannungsübungen oder Physiotherapie lindern.
Zähneknirschen ist also nicht heilbar?
Schienen mildern lediglich die Symptome des Zähneknirschens. Wer das Problem wirklich bekämpfen will, muss die Ursachen dafür herausfinden und behandeln. Manche Patienten knirschen auch nur phasenweise.Gestresste Menschen können sich etwa überlegen, wie sie Stress abbauen, ohne die Zähne zu benutzen. Grundsätzlich sollten Zahnärzte ihre Patienten auf das Knirschen aufmerksam machen. Beratung, Überwachung sowie die Dokumentation des Knirschens sind hier sehr wichtig.
Haben Sie einen Tipp, wie Betroffene sichwenigstens im Alltag mögliches Knirschen bewusst machen können?
Es hilft, sich und sein Verhalten am Tag zu beobachten und zu reflektieren. Man kann sich optische Erinnerungsreize setzen und einen roten Punkt auf den Computerbildschirm, das Mobiltelefon oder den Spiegel kleben. Wer regelmäßig einen Blick darauf wirft, kann sich in dem Moment gedanklich in den Mund schauen und fragen, ob er soeben die Zähne zusammengepresst oder mit dem Kiefer gemahlen hat. In Stresssituationen merkt man meist nicht, dass man die Kaumuskulatur anspannt.