Kleine Maske, große Wirkung: Innerhalb weniger Sekunden verwandeln sich Julia Bayer (links) und Annina Baur in menschliche Erschrecker. Foto: Lichtgut/Volker Hoschek

Abends ab 19 Uhr wird es doppelt gruselig in der Geisterschlange auf dem Volksfest. Dann jagen nicht mehr nur Puppen den Fahrgästen Angst ein. Die Cannstatt-Reporterinnen Annina Baur und Julia Bayer wagen den Selbstversuch als menschliche Erschrecker.

Bad Cannstatt - Robert Lehmann ist in der Geisterbahn groß geworden. Seit 1950 betreibt seine Familie Geisterbahnen, mit denen sie über Volksfeste und Rummelplätze in der Republik tingelt. Seit 35 Jahren ist die Geisterschlange in ihrem Besitz, mit der die Lehmanns regelmäßig auf dem Cannstatter Wasen gastieren. So auch derzeit beim 170. Volksfest. Tagsüber jagen gruselige Puppen den Fahrgästen auf der dreiminütigen Fahrt Angst ein.

Von 19 Uhr an sind auch menschliche Erschrecker am Werk. Vier lebendige Geister warten an mehreren Stellen im Dunkeln darauf, den Fahrgästen Schauer über den Rücken zu jagen. „Es ist schwer, die richtige Dosis Grusel zu finden“, sagt Lehmann. Schließlich sollen sich in seiner Bahn Kinder und Erwachsene vergnügen. Manchmal steckt der Juniorchef persönlich hinter den Masken. Er erschreckt gerne, wie er sagt. „Mitleid habe ich keines“, sagt er auf Nachfrage und lacht. Wie man am besten erschreckt? „Ganz klassisch, wie in der Küche hinter der Tür“, erklärt der Mann, der mit der Angst der Leute Geld verdient. Nach dieser kurzen Einweisung geht es für seine beiden Auszubildenden ins Innere der Geisterbahn.

Kurz vor der Verwandlung Foto: Lichtgut/Volker Hoschek
Julia Bayer: Robert Lehmann drückt uns kleine Taschenlampen in die Hand, dann betreten wir die Geisterschlange durch den Ausgang. Entlang der Schienen, auf denen die Wagen der Geisterbahn fahren, tippeln wir Richtung Grusel. Dabei ergeht es mir nicht anders, als wäre ich Passagier in einem solchen Fahrgeschäft: Ich weiß genau, dass gleich etwas kreischt, blinkt und sich bewegt und erschrecke trotzdem. Nach ein paar Metern ist es geschafft, Robert Lehmann lüftet eine schwarze Plane und es wird wieder hell. Annina Baur: Erstaunlich, wie viel Platz sich hinter den Kulissen einer Geisterbahn verbirgt. Hinter der Plane tut sich eine Art Werkstatt auf. Ein Mitarbeiter bosselt an einer kleinen Werkbank. Kleinere Reparaturen werden vor Ort erledigt. „Irgendetwas ist immer zu tun“, sagt Lehmann. In einem Container werden Schutzhelme, Kabel und Werkzeug gelagert. Die Werkstatt fungiert auch als Umkleide für lebendige Geister: An einem Kleiderständer hängen vornehmlich schwarze Umhänge, auf einem Tisch liegen schaurige Masken neben Hustenbonbons. „Manch einer bringt sogar sein eigenes Kostüm mit“, erzählt Lehmann.

Wir greifen auf seinen Fundus zurück. Die Verwandlung dauert nur wenige Sekunden: Ein bodenlanges Samtcape und eine gespenstische Maske machen aus zwei Cannstatt-Reporterinnen lebendige Geister. Einen Tipp gibt uns Robert Lehmann noch: „Schön laut schreien und nah ran an die Fahrgäste.“ Dann geht es auch schon los. Wir nehmen unseren Platz zwischen einem Grabstein aus Plastik und einem elektrischen Stuhl ein. Der erste Wagen rollt heran. Es rauscht, kreischt, das Licht geht an, ich springe hoch – und habe den richtigen Moment verpasst: Viel zu lange vorher hat mich die Familie schon gesehen und Vater und Töchter lachen lauthals. Mein nächster Auftritt als menschlicher Erschrecker endet ebenso kläglich. Jetzt soll erst mal die Kollegin ran. Julia Bayer: Ich fühle mich wie Sulley und Mike Glotzkowski aus dem Zeichentrickfilm Monster AG. Die beiden arbeiten in der gleichnamigen Firma, erschrecken Menschenkinder, und mit der Energie der gesammelten Schreie wird ihre Stadt Monstropolis versorgt. Nun muss ich mich zwar nicht um den Energiehaushalt von Bad Cannstatt kümmern, mein Ehrgeiz ist trotzdem geweckt: Wie gut schaffe ich es, die Leute zu erschrecken? Anfangs habe ich noch etwas Mitleid mit den Vorbeifahrenden, dann macht es immer mehr Spaß. Immer wenn sich die Puppendame im weißen Nachthemd gegenüber von unserem Standort unter Zischen, Knarren und Kreischen zu den Fahrgästen gedreht hat, ist der beste Moment, um nach vorn zu hüpfen und laut zu brüllen: Teenager-Mädel kreischen, gestandene Mannsbilder zucken heftig zusammen – was für ein Spaß. Annina Baur: Die Kollegin ist gut. Genau im richtigen Moment lässt sie die weiten Ärmel ihres Umhangs über die Fahrgäste streifen. Ich beobachte sie eine Weile und versuche zu lernen. Schnell wird klar: Das Wichtigste ist, den richtigen Moment zu erwischen, wenn der Wagen um die Kurve biegt. Mein Ehrgeiz ist geweckt. Ich wage noch einen Versuch. Volle Konzentration, diesmal darf ich nicht zu früh oder zu spät sein. Der Wagen rattert heran, ich breite die Arme aus und stoße einen lauten Schrei aus. Und diesmal habe ich alles richtig gemacht. Drei coole Jungs im Teenageralter schreien laut auf. Während für die Jungs die Reise weitergeht, streife ich Umhang und Maske ab. Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist. Als wir wieder ins Tageslicht treten und die Erlebnisse Revue passieren lassen, wird mir auch klar, warum Hustenbonbons zum Kostümfundus gehören: das laute Schreien hat uns ein bisschen heiser gemacht.

Öffnungszeiten:
Das 170. Cannstatter Volksfest dauert noch bis 11. Oktober. Geöffnet ist Montag bis Donnerstag von 12 bis 23 Uhr, freitags von 12 bis 24 Uhr, samstags von 11 bis 24 Uhr und sonntags von 11 bis 23 Uhr.