Verwirrend, wertend, Reisebüro-Gestaltung, Schülerzeitungs-Grafik: Der Werber Martin Kießling gibt zu den Wahlplakaten der S-21-Befürworter und -Gegner ein vernichtendes Urteil ab. Quelle: Unbekannt

Vernichtendes Urteil: Werber Martin Kießling über die Wahlplakate für und gegen Stuttgart 21.  

Stuttgart - Die Stadt ist überschwemmt von Plakaten, die uns zur Volksabstimmung ermuntern sollen. Doch die Fragestellung ist kompliziert, und so war es für die Gestalter der Wahlaufrufe nicht einfach, den richtigen Ton zu treffen. Wir sprachen mit dem profilierten Werber Martin Kießling über deren Wirkung.

Herr Kießling, erfüllen die Plakate der S-21-Gegner und -Befürworter ihren Zweck?
Nein. Ein Plakat muss in erster Linie plakativ sein. Das sind sie in der Mehrzahl nicht.

Woran liegt das?
Die Aussage muss formal und inhaltlich schnell erfassbar sein, auch wenn man morgens müde mit der Stadtbahn daran vorbeifährt. Wenn man dann noch bedenkt, dass die Plakate an Laternenmasten und teilweise auf der Pinkelhöhe von Hunden hängen, kann das bei den meisten Motiven nicht funktionieren.

Können Sie das am Beispiel erklären?
Nehmen wir ein Plakat von Pro 21. "Weiter ärgern oder fertig bauen?" ist dort die Headline. Auf diese Frage kann kein Mensch eindeutig mit Ja oder Nein antworten. Ja könnte heißen, ich will mich weiter ärgern, Nein könnte bedeuten, dass nicht fertig gebaut werden soll. Mehr Verwirrung geht nicht. Dazu kommt noch eine Zeile, die den Leuten sagt, dass in dieser Abstimmung "Nein" eigentlich "Ja" heißt. Also: Dieses Plakat ist wertend und daher alles andere als klar in der Aussage. Es hinterlässt eher eine Menge Schwaben, die sich nachdenklich am Kopf kratzen.

Können Sie den anderen Pro-21-Plakaten mehr abgewinnen?
Im Prinzip sind auch die das Resultat unsauberen Nachdenkens. Nehmen Sie das Motiv, auf dem steht: "1,5 Milliarden für den Ausstieg verschwenden?" Milliardensummen sind abstrakt und vor dem aktuellen wirtschaftlichen Hintergrund fast schon beliebig. Das ist alles zu kompliziert. Außerdem enthalten sie gestalterisch viel zu viele Elemente.

"Mischung aus Reisebüro-Gestaltung und Schülerzeitungs-Grafik"

Sind die bunten Plakate der S-21-Gegner gelungener?
Auch die nicht. Die Ja-Kampagne ist eine Mischung aus Reisebüro-Gestaltung und Schülerzeitungs-Grafik. Einerseits enthalten sie emotional gemeinte Bildausschnitte wie beispielsweise den Hauptbahnhof, andererseits machen mich die Unterzeilen mürbe: Da geht es plötzlich nicht mehr um ein Ausstiegsgesetz, sondern um Allgemeinplätze wie Sparsamkeit, Umweltschutz und Bürgerbeteiligung. Das kommt daher wie die üblichen Politfloskeln, die den Menschen schon in einem normalen Wahlkampf auf die Nerven gehen.

Woran erinnern Sie diese Plakate?
Jede Zeile weist in eine andere Richtung: Das "Ja zu Sparsamkeit und Kostenwahrheit" könnte von einer Bank sein, das "Ja zu Bürgerbeteiligung und mehr Demokratie!" ein Aufruf des Deutschen Bundestags. Und das "Ja zu modernem Verkehr" könnte ich mir auch auf einem ADAC-Plakat vorstellen. Unsicherheit signalisiert mir auch die Zusatzzeile "im ganzen Land!". - Hier wird versucht, das Abstimmungsergebnis außerhalb Stuttgarts um einige Promille zu erhöhen. Mir scheint, da hat jemand die Nerven verloren und glaubt nicht an eine einzige Message.

Ihr Urteil ist vernichtend. Gibt es wirklich nichts Positives?
Doch, ein Lob habe ich auch parat. Die gelbe Kampagne der Gegner ist plakativ und klar. Bei der Gestaltung wurde die richtige Typografie gewählt, es ist die DIN-Schrift, die auf allen deutschen Ortsschildern einen guten Job macht; dieselbe Schrift wie auf den weitverbreiteten Stuttgart-21-Aufklebern mit dem roten Balken. Damit gehören die Plakate zur gleichen Familie und sind sofort als Gegner-Plakate zu erkennen. Auch die Formulierung "Milliardenloch" ist sehr plastisch und damit populär, da sehe ich doch förmlich den aufgerissenen Boden, in den die Euro-Scheine flattern.

Sind die Gegner im Vorteil, weil sie mit dem Ja spielen können?
Ich glaube schon, bei einer Volksabstimmung zur Ja-Partei zu gehören. Denn der Mensch sagt nun mal gern Ja. Nicht umsonst gibt es Bücher mit Anleitungen zum Nein-Sagen.

Also hatten die Befürworter grundsätzlich schlechtere Karten?
Nein. Sie hätten aber ihr "Nein" deutlich positiv besetzen müssen und die Gegner als unqualifizierte Ja-Sager bezeichnen können.

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