Auf der Leinwand zeichnen sich die kleinsten Teilchen in 3D ab. Foto: Uni Stuttgart/Visus

Am Visus genannten Visualisierungsinstitut der Uni Stuttgart machen Algorithmen kleinste Teile für das menschliche Auge sichtbar. Zu Besuch bei den Vaihinger Wissenschaftlern.

Vaihingen - Die Frage hat ja durchaus seine Berechtigung. Was passiert, wenn ein Laserstrahl eine Aluminiumoberfläche von der Größe eines Centstücks trifft und nebeneinander 1000 feinste Löcher ins Metall brennt? Die Antwort: die Abplatzungen verstopfen das Minisieb gleich wieder. Um das zu vermeiden, könnten die Physiker der Uni Stuttgart einfach ein Experiment nach dem anderen machen, viel Geld und Zeit aufwenden, und anschließend vielleicht doch nicht so recht wissen, was da auf atomarer Ebene abläuft. Oder sie gehen zum Visualisierungsinstitut, kurz Visus genannt. Dort haben sich die Wissenschaftler darauf spezialisiert, Dinge, die dem menschlichen Auge sonst verborgen bleiben, mit modernster Computertechnik sichtbar zu machen.

„Wir leben in einem Datenzeitalter“, sagt Tina Barthelmes vom Visus. „Und vieles ist mit einem Bild einfacher zu verstehen als mit einer Zahlentabelle.“ Für das Foto rechts, das den Laserstrahl beim Auftreffen zeigt, wurden mehrere Milliarden Atome berechnet, wie sie von der Hitze weggesprengt werden, wie sie sich gegenseitig abstoßen und anziehen, wie sie zu Klumpen verkleben. Mit einer 3-D-Brille können die Physiker sich das Bild anschauen, es drehen und hineinzoomen – und damit das Minisieb besser machen.

Ein Kinosaal im Dienste der Wissenschaft

Das Visus in Vaihingen wurde 2006 gegründet. Weil schnell klar wurde, wie wichtig es ist, bezog es 2010 ein eigenes Gebäude auf dem Unicampus. Das Hysolar-Gebäude am Allmandring 19 stand seit Jahren leer. Dort hatten die Mitarbeiter einst erforscht, wie Solarenergie in Form von Wasserstoff gespeichert werden kann. Die Informatiker ließen ihre neue Heimstätte umbauen und integrierten das Visualisierungslabor im Untergeschoss – einen kleinen Kinosaal im Dienste der Wissenschaft.

Zu Gast sind dort Mediziner, Biochemiker, Materialwissenschaftler, Maschinenbauer, Fahrzeugtechniker. Sie lassen sich zeigen, wie Enzyme Fett binden, hochauflösend und in Farbe. Sie schweben über einen Virus und suchen nach Hohlräumen, um medizinische Wirkstoffe anzudocken. Sie sind ganz nah dran, wenn eine Turbinenschaufel bricht und dabei Atom um Atom aus der Gitterstruktur gerissen wird.

„Wir visualisieren auch Twitterdaten“, sagt Barthelmes. Auf einer Weltkarte wird in Echtzeit angezeigt, wo gerade welche Schlagworte besonders häufig über das soziale Netzwerk verbreitet werden. Aus dem Grundrauschen von hunderttausenden Tweets in der Minute werden die Häufungen herausgefiltert. Geschieht ein Unglück und schreiben die Menschen in der näheren Umgebung darüber, lässt sich das sofort erkennen. „Wir hatten aber auch schon Britney Spears auf der Karte, als sie irgendwo ein Konzert gab“, sagt Barthelmes.

Ein Cluster ist das Herz der Powerwall

Die 64 Rechner summen vor sich hin. In einem klimatisierten Serverschrank, die Anzeige steht auf 19 Grad, formen die Computer einen Cluster. Sie sind verbunden und darauf ausgelegt, große Datenmengen zu verarbeiten. „Das ist eine ganz kleine Ausführung des HLRS“, sagt Christoph Müller. Das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart hat seinen Sitz 500 Meter entfernt an der Nobelstraße. In der Rangliste der schnellsten Supercomputer der Welt belegt es Platz 44. Das Netzwerk im Visus ist tausendfach kleiner, weshalb die Forscher bei besonders aufwendigen Berechnungen die Kollegen um Hilfe bitten.

Christoph Müller hat dabei geholfen, den Visus-Cluster aufzubauen. Es ist das Herz des Powerwall genannten Kinos gleich nebenan. Müller öffnet die Tür in einer grünen Wand und gibt den Blick auf eine dunkle Höhle frei. Schwarzer Boden, schwarze Wände, schwarze Decke, alles matt, damit ja keine Reflexionen über die Leinwand oder die 3-D-Brillen flackern, die auf einem Tisch bereit liegen.

Während die Projektoren warmlaufen, zehn Stück an der Zahl und hinter der transparenten Leinwand aufgestellt, setzt sich Müller an einen Arbeitsplatz mit zwei Bildschirmen. Manchmal ist er tagelang in diesem Raum, tippt auf der Tastatur, reist mit anderen in die Welt der Nanopartikel. „Aber auf die Dauer hält man das nicht aus“, sagt er. Das Sonnenlicht fehlt. Die Vorarbeit, das Programmieren, das Erfinden cleverer Algorithmen erledigt er in seinem Büro, wie die anderen Mitarbeiter im Visus auch.

Arbeiten vor der 6 auf 2,25 Meter messenden Leinwand

Die Leinwand erwacht zum Leben. Mit einem DNA-Strang kann Müller heute nicht dienen, dafür mit einer Ansicht von New York. Er fliegt über den Hudson in Richtung Manhattan, durch die Häuserschluchten der Wall Street und kommt vor dem Empire State Building zum Stehen, einen dreiviertel Kilometer über der Erde.

„Detail on Demand“, sagt Müller. Also Details nur dann, wenn gewünscht. Aus einigen Schritten Entfernung schweift der Blick über die sechs mal 2,25 Meter große Wand, über die Stadt und den Central Park. Doch ganz nah dran, die Nasenspitze berührt fast die Wand, ist die Aussichtsplattform auf dem Wolkenkratzer zu erkennen. Normalerweise müsste man für diesen Effekt am heimischen Bildschirm am Mausrad drehen und ständig rein- und rauszoomen. Am Visus ist das unnötig. „Untersuchungen haben ergeben, dass man so effektiver arbeiten kann“, sagt Müller.